Herr Rittmann: Wie kamen Sie darauf, Auszubildende aus Afrika zu holen?

Seit Jahren arbeiten die BAUVERBÄNDE NRW e. V. für verschiedene Auftraggeber in Afrika südlich der Sahara. Vor der Corona Pandemie war es u. a. unser Ziel, über Joint Ventures Bauprojekte für unsere Mitglieder zu akquirieren. Dann entwickelten sich die verschiedenen Baumärkte in Deutschland sehr positiv und das Interesse an Baumaßnahmen in Afrika ging zurück.  Leider fehlten und fehlen qualifizierte Facharbeiter bzw. Auszubildende in Deutschland, um all diese Baumaßnahmen umzusetzen. 2020 trat das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft. Vor diesem Hintergrund haben wir gemeinsam mit unseren Bauunternehmen eine Lösung entwickelt, die hervorragend zur afrikanischen jungen Bevölkerungsstruktur und unserer mittelständisch geprägten Branche in Deutschland passt: den Pool Ansatz. Die Partner vor Ort identifizieren jährlich einen Pool an Ausbildungsinteressierten und wir einen Pool an Ausbildungsbetrieben.

Herr Rittmann: Wie ist denn die Situation in den beiden Ländern – auch in Bezug auf die Duale Ausbildung?

Äthiopien gehörte im letzten Jahrzehnt zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften weltweit. Gleichzeitig ist Äthiopien mit seinen geschätzt 130 Millionen Menschen das zweitbevölkerungsreichste Land Afrikas und extrem jung. Im Schnitt sind die Menschen dort 19,5 Jahre alt - in Deutschland 45,8 Jahre. Mosambik ist mit 33,9 Millionen. Einwohnern hingegen wesentlich kleiner aber ähnlich jung.

Ein dem unseren vergleichbares Duales Ausbildungssystem gibt es in beiden Ländern leider derzeit nicht. In Äthiopien ist es beispielsweise gesetzlich verankert, dass eine gewerbliche Ausbildung im Bau 70  Prozent Praxis- und 30 Prozent Theorieanteile beinhalten muss. Da aber zum einen die Bauunternehmen nicht in die Ausbildung eingebunden und zum anderen die staatlichen Ausbildungszentren unterfinanziert sind, kann eine effektive und effiziente  Duale Ausbildung im Bau nicht umgesetzt werden. Ende 2024 waren wir beispielsweise mit Bauunternehmern über eine Geschäftsanbahnung der AHK in Äthiopien, um uns auch über die Qualität der Ausbildung im äthiopischen Bausektor zu informieren. Alle kamen zu der Erkenntnis, dass zwischen beiden Staaten die Ergebnisse der Dualen Ausbildung differieren.

Herr Rittmann: Wie ging es dann weiter?

Mit dem Ministry of Labor and Skills in Äthiopien haben wir als Deutscher Auslandsbau-Verband e. V. (DABV) seit Ende 2022 einen „Letter of Intend“ über die faire Vermittlung deutschsprechender Azubis für baugewerbliche Unternehmen abgeschlossen. 2022 kam auch der erste Ausbildungsanwärter aus Mosambik. 2023 waren es dann schon sechs aus Mosambik und zehn aus Äthiopien. 2024 kamen fünf junge Erwachsene aus Mosambik und 23 aus Äthiopien. Für 2025 haben wir bereits jetzt rund 20 unaufgeforderte Interessensbekundungen von Betrieben erhalten. Da wir 2024 mehr nachfragende Bauunternehmer hatten, als deutschsprechende Azubis aus den genannten Staaten, haben wir über ein Projekt der Bertelsmann Stiftung und der Migration Partnership Facility – eine Institution der Europäischen Union – auch Ghana und den Senegal neu in den Kreis der Ursprungsländer aufgenommen. Wir versuchen auch in diesem Projekt, neue Wege der legalen und fairen Arbeitsmigration zu entwickeln.

Herr Rittmann: Wie werden die Kandidaten genau gefunden?

Die Kandidaten werden vor Ort von unseren afrikanischen Partnern auf Basis unseres gemeinsamen Kriterienkataloges identifiziert. Die Mehrzahl der Interessenten ist Mitte 20 und hat einen baulichen Hintergrund Sobald die Interessenten die B1-Deutschprüfung bestanden haben, kommt es zu ein oder zwei Videokonferenzen in deutscher Sprache mit unseren Bauunternehmen. Danach entscheiden sich beide Seiten und es wird der Ausbildungsvertrag unterzeichnet. Im Regelfall startet anschließend der Visaprozess. Seit 2022 haben wir alle Interessenten, die die Deutschprüfung bestanden haben, zu 100 Prozent vermittelt. 2024 wurden zudem auch 8 weibliche Auszubildende aus Äthiopien erfolgreich vermittelt.

Herr Rittmann: Was ist Ihnen besonders wichtig?

Auf der Kandidatenseite ist uns wichtig, dass diese bereits in ihrer Heimat ein realistisches Bild zum Themenkomplex „Ausbildung, Facharbeiter und Karrieremöglichkeiten im deutschen Baugewerbe sowie Leben in Deutschland“ vermittelt bekommen. Ansonsten ist die deutsche Sprache das A und O. Bei der Ankunft sollten sie bereits möglichst gut Deutsch sprechen, das bedeutet Niveau B1. Allerdings ist Deutsch lernen vor Ort gar nicht so einfach, denn die Plätze sind limitiert. Wir hoffen, hier mit dem Goethe Institut in Zukunft eine adäquate Lösung zu finden. Übrigens müssen die Kandidaten den Deutschkurs und alle Kosten bis zur Ankunft in Deutschland vorfinanzieren (!). Wir reden für Äthiopien derzeit über eine Summe zwischen 2.500 und 3.000 Euro, die i. d. R. von den Familien aufgebracht werden. Unsere Unternehmen zahlen dann erfolgsabhängig diese Summe zurück. So wird ein gewisses Kommittent von beiden Seiten kreiert. Derzeit führen wir Gespräche mit internationalen Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit, um möglicherweise einen revolvierenden Finanzierungsfonds aufzulegen, damit der Vorfinanzierungsaufwand für die Familien reduziert, aber nicht abgeschafft wird.

Seitens der Mitgliedsunternehmen legen wir großen Wert darauf, dass sie sich wirklich um die Auszubildenden kümmern. Da wir uns in der Immobilienwirtschaft bewegen, sind beispielsweise Wohnungen kein großes Problem. In der Regel kann hier vom Betrieb etwas angeboten werden – das ist eine wirklich wichtige Unterstützung. Wenn es um das Einrichten der Wohnung geht, werden schon mal im jeweiligen Betrieb die Mitarbeitenden gefragt, ob sie nicht Einrichtungsgegenstände spenden können. Das klappt oft erstaunlich gut und bindet die Mitarbeitenden direkt in die Aktivitäten ein.

Herr Rittmann, wie ist Ihr Fazit?

Welche Antwort erwarten Sie? Es kommen bis heute jährlich neue Betriebe hinzu, die erfahrenen Betriebe erkundigen sich nach weiteren deutschsprechenden Azubis und dementsprechend sind wir auch über diese neue Verbandsdienstleistung begeistert. Das Beste daran ist: Die Abbruchquote liegt bei Null. Das bedeutet, dass bislang weder die Auszubildenden noch die Unternehmen die Ausbildung abgebrochen haben. Im Gegenteil, alle Seiten sind sehr zufrieden.
 

BAUVERBÄNDE NRW e. V.
Heinz G. Rittmann
Mail: Rittmann(at)bauverbaende.nrw

Bildquellen und Copyright-Hinweise
  • © Heinz G. Rittmann / BAUVERBÄNDE NRW e. V. / Privat/Non-kommerziell – Tellerrand-Afrika.jpg

Bleiben Sie auf dem Laufenden!

Mit unseren RKW Alerts bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Wir informieren Sie automatisch und kostenlos, sobald es etwas Neues zum Projekt "Fachkräftesicherung – jedes Alter (ist) gefragt" auf unserer Website gibt. Alles, was Sie dafür brauchen, ist eine E-Mail-Adresse und 10 Sekunden Zeit.

Wofür interessieren Sie sich besonders?

Bitte geben Sie hier das Wort ein, das im Bild angezeigt wird. Dies dient der Reduktion von Spam.

CAPTCHA-Bild zum Spam-Schutz Wenn Sie das Wort nicht lesen können, bitte hier klicken.