Dass es bei der Gleichberechtigung im Job noch Luft nach oben ist, merkt Frau in Deutschland allerspätestens, wenn sie Mutter wird. Tatsächlich leben Paare in Deutschland ziemlich gleichberechtigt – bis sie Kinder bekommen. Vorher teilen sie sich die Arbeit im Haushalt, und beide arbeiten an ihrer Karriere. Sobald das erste Kind da ist, ändert sich die Situation: Knapp 70 Prozent der Mütter, aber gerade mal vier Prozent der Väter geben an, selbst den überwiegenden Teil der Care-Arbeit zu leisten. Frauen haben 2022 pro Woche rund neun Stunden mehr unbezahlte Arbeit geleistet als Männer. Der sogenannte "Gender Care Gap" hat sich zwar in den vergangenen zehn Jahren leicht verringert; am klassischen Ernährer-Modell hat das aber wenig gerüttelt. Das zeigen viele Studien und auch mein eigenes Umfeld.
Frauen werden in der Wirtschaft dringend gebraucht
Im letzten Jahr fehlten mehr als 500.000 Fachkräfte in Deutschland – Tendenz auf Grund des Renteneintritts der Boomer weiter steigend. Frauen könnten ein Baustein sein, diese Fachkräftelücke zu schließen. Die Erwerbstätigenquote von Frauen in Deutschland ist zwar mit knapp 78 Prozent im europäischen Vergleich sehr hoch, gleichzeitig arbeitet aber fast die Hälfte in Teilzeit. Dadurch ist die durchschnittliche Stundenzahl – vor allem in Partnerschaften mit Kindern – relativ gering.
Gender Pay Gap in Deutschland und Europa
In Deutschland lag der Gender Pay Gap 2024 – also der Verdienstabstand zwischen Mann und Frau - bei 16 Prozent. Die Lücke wird zwar stetig kleiner, aber nur langsam. Übrigens ist in Europa Lettland das Land mit dem größten Gender Pay Gap – er liegt dort bei 19 Prozent.
Aber es gibt auch positive Beispiele: Island steht seit 15 Jahren in Folge an der Spitze des Global Gender Gap Index des World Economic Forum. Im Jahr 2024 erreichte das Land einen Wert von 93,5 %- und ist damit sehr nah an den 100 Prozent. Unter den Top Ten sind außerdem diese europäischen Länder: Finnland auf Platz 2 (mit 87,5%), Norwegen auf Platz 3 (mit 87,5%), Schweden auf Platz 5 (mit 81,6%). Und erstaunlicherweise Deutschland – immerhin auf Platz 7 (mit 81%) noch vor Irland und Spanien. Die verbleibenden drei Top Ten Plätze werden von Volkswirtschaften aus Ostasien und dem pazifischen Raum eigenommen.
Wie wurde Island zum „Paradies“ für Frauen?
Die Veränderung begann mit einer starken Frauenbewegung in dem 400.000 Einwohner Staat, welche 1975 den „Women's Day Off“ einführte. Am „Women´s Day off“ weigerten sich unglaubliche 90 Prozent der isländischen Frauen zu arbeiten. So wurde auf all die sichtbaren und unsichtbaren, bezahlten und unbezahlten Aufgaben hingewiesen, die Frauen jeden Tag verrichten und welche die Grundlage unserer Gemeinschaften bilden. Dieser Tag war der Beginn einer wichtigen Bewegung, die zu einem enormen sozialen Wandel in Island führte.
Der Staat hatte das Ziel im Visier und flankierte mit passenden Maßnahmen
Zwei wichtige staatliche Maßnahmen unterstützen die Entwicklung. Erstens bietet Island eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung. So können Frauen an Wirtschaft und Gesellschaft teilnehmen. Zweitens wollte sich die isländische Regierung nicht damit abfinden, dass die Kinderbetreuung bei den Frauen hängen bleibt, während die Männer Karriere machen. Daher reformierte sie die Elternzeit. Insgesamt haben isländische Eltern 12 Monate Anspruch, in dieser Zeit bekommen sie 80 Prozent ihres Gehaltes bezahlt. Fünf Monate davon müssen von der Frau genommen werden, fünf Monate vom Mann. Die übrige Zeit können sich die Eltern selbst aufteilen. Der Vorteil daran: Wenn die Männer ebenso wahrscheinlich eine Pause von der Arbeit nehmen, um sich um Kinder zu kümmern, wird diese strukturelle Diskriminierung abgebaut.
Viel erreicht – und es geht noch weiter
Kein Wunder, dass das isländische Parlament zu 47,6 % mit Frauen besetzt ist. Übrigens war Vigdís Finnbogadóttir 1980 die erste weibliche Präsidentin Islands und damit weltweit die erste Frau, die zum Staatsoberhaupt eines Landes gewählt wurde. Weibliche Beschäftigte verdienen in Island rund 40 500 Euro im Jahr. Das Land fördert die Karrieren von Frauen wie kein anderes in Europa. Im Jahr 2018 legte die isländische Regierung mit einem weiteren Gesetz nach, sie wollte den Gender Pay Gap komplett eliminieren. Seitdem müssen Unternehmen mit mehr als 25 Angestellten nachweisen, dass sie Männer und Frauen für die gleiche Arbeit auch gleich bezahlen. Kann ein Unternehmen keine Zertifizierung der Vergütungsstrukturen nachweisen kostet jeder Tag Strafe.
Gleichberechtigung als Schulfach
Damit nicht genug. Islands Politik setzt nicht nur bei den Betrieben an, sondern bereits in der Vorschule. Hier lernen Kinder alles über den Wert der Gleichberechtigung. Aktive Förderung ermuntert Mädchen dazu, sich mehr zuzutrauen. Gleichberechtigung ist aber auch Querschnittsmaterie in allen Fächern – und sexistische Schulbücher sind per Gesetz verboten.
Beispiel Schweden: Werbefilm zur Elternzeit
Keine Frage, Island ist uns um Jahrzehnte voraus. Andere skandinavische Länder waren ebenfalls vorne mit dabei. In Schweden muss die Elternzeit unter Paaren aufgeteilt werden. Bereits 1971 (!) machte die schwedische Regierung mit einem Film für die Elternzeit von Männern Werbung dafür. Auch das Ehegattensplitting ist in Schweden bereits vor fast 30 Jahren abgeschafft worden, während es in Deutschland weiterhin besteht.
Diese Beispiele zeigen: Wo die Politik die richtigen Rahmenbedingungen setzt, klappt es mit dem gesellschaftlichen Wandel.
Quellen:
Benchmarking gender gaps, 2024 - Global Gender Gap Report 2024 | World Economic Forum
How to build a paradise for women. A lesson from Iceland | World EconoForum
Erwerbsbeteiligung von Frauen | Fachkräftemangel | bpb.de
Care-Arbeit, Gleichstellung und der Blick auf Männer - Bundesstiftung Gleichstellung
- © borchee / Getty Images – Wasserfall Island (3435_wasserfall-island.jpg)