Das weltweite Marktvolumen für KI betrug 2023 bereits 208 Milliarden US-Dollar; die Prognosen sagen tendenziell eine Verdreifachung bis 2026 voraus. Das belegen Daten von Statista. Zum Vergleich: Das weltweite Marktvolumen der Automobilindustrie lag 2023 bei geschätzt 2,6 Billionen US-Dollar.

Am Thema KI kommen wir somit nicht mehr vorbei – das ist spätestens seit ChatGPT klar. Für Unternehmen hat der Handlungsdruck beim Thema künstliche Intelligenz zugenommen. Durch das Boom-Jahr 2023 und den Durchbruch von einfach zu nutzenden Tools auf Basis generativer künstlicher Intelligenz wurde eine neue Ära eingeläutet. Allerdings haben die KI-Tools noch einen schweren Stand: Laut einer Bitkom-Umfrage nutzen erst 3 Prozent der Unternehmen bereits generative KI, weitere 6 Prozent haben den Einsatz für 2024 geplant. 13 Prozent wollen in den nächsten 5 Jahren tätig werden.

Diese Zögerlichkeit ist sicherlich auch Ängsten und Vorbehalten geschuldet. Dazu haben wir mit Prof. Dr. Antonio Krüger, einem der renommiertesten Experten zum Thema KI in Deutschland, gesprochen. Er ist Leiter des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz GmbH (DFKI) und wir sprechen über die Frage, wo Deutschland beim Thema KI im weltweiten Vergleich steht.

Herr Professor Krüger, wo steht Deutschland beim Thema KI-Forschung?

Die Forschung am Thema künstliche Intelligenz begann bereits vor 60 Jahren. (Anmerkung der Redaktion: Als Geburtsstunde der künstlichen Intelligenz gilt in der Literatur gemeinhin die 1956 am Dartmouth College in Hanover, New Hampshire (USA) abgehaltene Konferenz von John McCarthy, dem Organisator der Konferenz).

In Deutschland ist man seit den 1970er Jahren dabei; das DFKI gibt es seit 35 Jahren. In der Forschung an den Universitäten ist Deutschland sehr gut aufgestellt und nimmt einen Spitzenplatz in Europa ein! (Anmerkung der Redaktion: Nach einer Erhebung der Bitkom gibt es rund 220 Lehrstühle in Deutschland, an denen KI schwerpunktmäßig erforscht wird.). Wir haben einige vielversprechende Start-ups und auch in der Industrie gibt es sehr gute Forschungs- und Entwicklungsinitiativen.

Wenn wir uns nun die Unternehmen in Deutschland ansehen: Wie sieht es beim Einsatz von KI hier aus?

Leider nicht so gut wie in der Forschung. Ein großes Problem sind die Rahmenbedingungen: Es ist traurig, dass man das im Jahr 2024 noch sagen muss, aber die Politik muss für den Ausbau der digitalen und KI-Infrastruktur sorgen. Auf dem Land gibt es immer noch kein flächendeckendes Breitbandinternet. Die Menschen, die dort wohnen, können daher nicht an der Wertschöpfung von KI partizipieren und sind quasi für KI-basierte Geschäftsmodelle nicht erreichbar.

Ein ebenfalls struktureller Nachteil ist, dass wir keine ausreichende Rechenzentreninfrastruktur haben. Diese wird aktuell zwar stark ausgebaut, ist aber immer noch weit hinter den USA und China zurück. Rechenzentren: Den Markt für Rechenzentren dominieren die USA und China. Sie sind die weltweit mit Abstand größten Umsatztreiber im Markt für Rechenzentren. Das zeigt eine Infografik auf Basis einer Schätzung der Statista Market Insights. Japan, Deutschland und das Vereinigte Königreich folgen auf den Plätzen drei bis fünf.

Der Markt für Rechenzentren umfasst alle hardwarebezogenen Ausgaben von Unternehmen und des öffentlichen Sektors, die für den Aufbau und die Instandhaltung der IT-Infrastruktur verwendet werden. Dies umfasst die drei großen Teilbereiche Server, Speicherlösungen sowie die Netzwerkinfrastruktur wie Router und Switches.

In der Regel besitzt jedes Unternehmen heutzutage eine eigene IT-Infrastruktur, wobei auch ganz oder teilweise auf externe Anbieter zurückgegriffen werden kann. Dies kann beispielsweise durch Anmietung von Kapazitäten in Rechenzentren geschehen.

Das heißt, die Politik muss hier liefern. Was kann sie bzw. die Verwaltung noch besser machen?

Ein sehr wichtiger Punkt verbessert sich glücklicherweise gerade langsam: das Auftreten des deutschen Staates als Nachfrager. Das ist eine neue Entwicklung und sie ist sehr wichtig. Ich nenne Ihnen mal ein Beispiel: Ein ehemaliger chinesischer Doktorand des DFKI hat eine eigene Firma in China. Er entwickelt Laserscanner. Mit diesen Geräten kann man ganz einfach einen Unfallort in 3D scannen. Er konnte die chinesische Polizei als Kunden gewinnen. So verdient er das Geld, das er braucht, um weiter an der Technik zu forschen. In Deutschland hingegen war es lange so, dass bei Aufträgen nur „die alten Tanker“ berücksichtigt wurden, aber keine Start-ups. Landläufig traut man jungen Unternehmen deutlich weniger zu. Das ist in China und den USA anders: Die Unterstützung von Start-ups ist ein wichtiger Teil des wirtschaftlichen Ökosystems! Die damit verbundenen finanziellen Risiken werden in Kauf genommen.

Gibt es – neben der Forschung – auch weitere Bereiche, in denen Deutschland besonders stark ist?

In einem Segment stehen wir sehr gut da: im industriellen Bereich. Unser starker Mittelstand besitzt viele Daten. Das hilft! Unternehmen mit großen Datensätzen können die neue Technologie viel leichter an ihre Anforderungen anpassen, deshalb produktiv einsetzen und folglich profitieren. Tatsächlich haben Mittelständler und Großunternehmen einen ordentlichen Grad an Digitalisierung erreicht – ganz im Gegenteil zu weiten Teilen der öffentlichen Verwaltung. Das ist eine große Chance für Deutschland. Akteure wie SAP haben das erkannt und versuchen, diese Karte auszuspielen. Im industriellen Sektor haben die USA und China tatsächlich keine Datenvorteile. Der industrielle Mittelstand in den USA ist nicht so stark und die Daten fehlen. Ähnlich sieht es im Maschinenbau in China aus. Sie sind im Aufbau, aber schlicht noch nicht so gut aufgestellt wie wir. Allerdings haben wir ein Problem: Ein einziger Mittelständler allein mit seinen Daten hilft nicht viel. Wir brauchen eine kritische Menge an Daten. Die Daten müssten gepoolt werden, damit es eine Grundgesamtheit gibt. Das heißt, sie müssen von einer möglichst großen Zahl von Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, und damit tun sich manche Mittelständler schwer.

Ich vermute, China und die USA sind uns weit voraus. China aufgrund der großen Datenmengen und der Offenheit der Bevölkerung, die USA aufgrund der hohen Investitionen und ebenfalls vorhandener Daten. Wie sehen Sie das?

Bei den Consumer-Produkten – vor allem im Handel – sind uns die Chinesen und die Amerikaner tatsächlich meilenweit voraus. Im Vergleich zu vielen Chinesen leben wir in der digitalen Steinzeit. Wir wollen in Europa jedoch nicht komplett gläsern sein – aus gutem Grund! In China und den USA ist man deutlich weniger sensibel, was das Erfassen und Speichern von Daten angeht. Daraus ergibt sich dort eine höhere Datenverfügbarkeit, insbesondere im öffentlichen Raum. China nutzt Videomaterial aus dem ganzen Land. Dieses Material wird zum Trainieren der Systeme genutzt. Das gibt es in Deutschland und der EU – auch mit EU AI Act – aus gutem Grund nicht. Im industriellen Bereich sieht es wie gesagt ganz anders aus. Hier haben wir Daten und sind gut aufgestellt. Und diesen Zug sollten wir nicht verpassen. Die Unternehmen haben sich bereits auf den Weg gemacht und die Europäische Union bietet Unterstützung an verschiedenen Stellen an. Trotzdem: Chinesische und amerikanische Firmen entwickeln clevere neue Geschäftsmodelle und sind sehr agil. Wenn zum Beispiel die chinesische Regierung eine Entwicklung als vielversprechend ansieht, unterstützt sie diese intensiv und alles kann dann sehr schnell gehen. Sehen Sie sich an, wie schnell der chinesische AI Act veröffentlicht wurde – quasi über den Sommer 2023 hat die VR China als einer der ersten Staaten überhaupt eine Gesetzgebung zur KI erlassen.

Gibt es denn noch andere Länder, die stark im Bereich KI sind?

Kleine Länder haben viele Vorteile, denn sie können sich schneller bewegen. Sehen Sie sich Estland an. Dort werden auf die hervorragende Digitalisierung einfach KI-Dienste draufgesetzt. Skandinavische Länder sind grundsätzlich entspannter mit Daten. Hier schaut man einfach, was gleichzeitig technisch möglich und legal nicht untersagt ist und macht dann einen Service draus. In Deutschland ist es genau andersherum: „Alles was nicht ausdrücklich erlaubt ist, ist verboten.“

Wenn es um die Einführung von KI bei Unternehmen geht, hört man oft vom Thema Angst. Die „GermanAngst“ ist ja weltweit legendär. Wie sehen Sie das?

Ich denke, man sollte die Neugier der Menschen auf das Thema bedienen. Viele Leute sind etwas verunsichert, aber gleichzeitig neugierig. Daher ist Aufklärung wichtig. Man sollte mehr mit den Mitarbeitenden sprechen, sie eigene Erfahrungen machen lassen. Dadurch findet man wunderbar heraus, was geht und was nicht. Anschließend kann man KI im Unternehmen schrittweise einführen. Die Mitarbeitenden sollten immer das Gefühl haben – und auch die Erfahrung machen –, dass sie davon profitieren. Ich habe das gerade in Medienhäusern miterlebt – wie bei Funke oder der FAZ. In diesem Bereich machen sich die Mitarbeitenden natürlich besonders viele Gedanken, was aus ihrem Job wird. Was haben die Unternehmen also gemacht? Zunächst eine Taskforce gebildet. Diese hat beleuchtet, bei welchen Aufgaben die KI am besten unterstützen kann. Dann wurden hausinterne Tools um ChatGPT herumgebaut. Mit diesen konnten die Mitarbeitenden aus 100 Aufgaben auswählen, die sie für die Arbeit benötigen. Dieses Tool hat man den Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt und sie beim Testen begleitet.

Was wird denn die Einführung der KI in Unternehmen uns für die Zukunft bringen?

Das Ziel ist ganz klar die Produktivitätssteigerung. Und die benötigen wir ganz dringend, nicht zuletzt wegen des demografischen Wandels. Durch die KI werden sich Tätigkeitsprofile verändern. Gleichzeitig können weniger Mitarbeitende die gleiche Menge an Arbeit erledigen – und dabei sogar die Qualität der Ergebnisse steigern.

Vielen Dank für das interessante Gespräch, Herr Professor Krüger!

Bleiben Sie auf dem Laufenden!

Mit unseren RKW Alerts bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Wir informieren Sie automatisch und kostenlos, sobald es etwas Neues zum Projekt "Fachkräftesicherung – jedes Alter (ist) gefragt" auf unserer Website gibt. Alles, was Sie dafür brauchen, ist eine E-Mail-Adresse und 10 Sekunden Zeit.

Wofür interessieren Sie sich besonders?

Bitte geben Sie hier das Wort ein, das im Bild angezeigt wird. Dies dient der Reduktion von Spam.

CAPTCHA-Bild zum Spam-Schutz Wenn Sie das Wort nicht lesen können, bitte hier klicken.