„Unser Thema ist nicht neu, aber aktueller denn je“, so Dr. Andreas Hinz, Leiter des RKW-Projektes „Demografiefeste Arbeit“ in seiner Einführung. Dringender betrieblicher Handlungsbedarf ergebe sich vor allem durch Veränderungen der Arbeitsbedingungen und Arbeitsanforderungen im Zuge einer verstärkten Dienstleistungs- und Prozessorientierung sowie durch die rasante Entwicklung im Bereich der Digitalisierung und Vernetzung.
Den Mittelpunkt der RKW-Fachtagung bildeten die authentischen Berichte aus der Praxis sozialer und industrieller Dienstleistungen sowie des Einzelhandels. Es wurde deutlich, mit welchem Engagement auch kleinere Betriebe mit dem Thema demografiefeste Arbeitsgestaltung umgehen und mit wie viel Weitsicht dort Maßnahmen entwickelt werden, die eine leistungsstarke, gesunde Belegschaft versprechen und dabei wirtschaftlich effizient sind. Dass deren Entwicklung neben dem zeitlichen und finanziellen Aufwand auch einiges an Mut abverlangt, unterstrich Elke Habig, die gemeinsam mit ihrem Mann drei EDEKA-Supermärkte betreibt:
„Man muss bereit sein, sich den Spiegel vorhalten zu lassen, Kritik von den Mitarbeitern zu akzeptieren. Nicht immer bekommt man das erwünschte positive Feedback für seine Bemühungen, dann ist auch die Fähigkeit zur Selbstmotivation gefragt.“
Michael Jersch, Personalratsvorsitzender der Stadt Eschborn, berichtete von seinen Erfahrungen in der öffentlichen Verwaltung, ausgehend von einer Altersstrukturanalyse. Schwerpunkt bildeten schnell die Kitas, wo neben einer Beschäftigtenbefragung unter anderem ein Pilotprojekt zur Lärmreduzierung initiiert worden war. Neben baulichen Maßnahmen (Trennwände, Türabdichtungen) waren kostengünstige Lösungen (Moltontischdecken zur Lärmdämpfung), und organisatorische Instrumente (Tagesgestaltung) entwickelt worden. Ergänzend erhielten die Fachkräfte „Lärm- und Zuhörtagebücher“, die Sie unterstützen sollten, das Geschehen in der Kita, ihr eigenes Verhalten sowie das der Kinder zu reflektieren.
Jens Fahrion führt gemeinsam mit seinem Bruder das väterliche Unternehmen Fahrion Engineering in einer der wirtschaftsstärksten Regionen Südwestdeutschlands. Er steht dort bei der Gewinnung von Fachkräften in starker Konkurrenz zu Großunternehmen, die zum Teil zu seinem Kundenstamm gehören. Wie schon sein Vater setzt er bei Neueinstellungen seit Jahren gezielt auf die „älteren Semester“, die als Projektleiter nach relativ kurzer Einarbeitungszeit wesentlich effizienter eingesetzt werden können als „frische“ Uniabsolventen, für die nach seiner Einschätzung eine bis zu 15jährige Projektarbeit zum Aufbau vergleichbarer Kompetenzen notwendig ist. Das Unternehmen lässt sich dabei einiges einfallen, um die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der 70köpfigen Belegschaft zu unterstützen. Anfangs als reichlich exotisch belächelt, wird die Strategie inzwischen immer wieder als beispielshaft zitiert und über die Branche hinaus aufmerksam beäugt.
Dass Praxishilfen für Unternehmen nach wie vor sinnvoll und notwendig sind, unterstrich Norbert Breutmann, Leiter Arbeitswissenschaft bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Er berichtete von den Hürden, die Unternehmen häufig zu überwinden haben. So seien rechtliche Forderungen und Schutzziele wenig hilfreich, wenn nicht möglichst zeitnah Hilfestellungen bereit stehen, wie diese konkret im Betrieb umzusetzen sind. Die Sammlung und Aufbereitung entsprechender arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse lasse allerdings oft auf sich warten. Mit einer gemeinsam erarbeiteten Erklärung zur „Psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt“ suchten BMAS, DGB und BDA bereits 2013 Lücken zu schließen und auf die zentralen Instrumente des Arbeitsschutzes hinzuweisen. Eine weitere Erklärung zur „Alterns- und Altersgerechten Arbeitsgestaltung“, an deren Erarbeitung auch das RKW Kompetenzzentrum beteiligt ist, befinde sich in der „Pipeline“. Sie verfolgt unter anderem das Ziel, Fachbegriffe zu klären, die nicht selten für Verwirrung sorgten. So orientiere sich eine „altersgerechte“ Arbeitsgestaltung an den spezifischen Fähigkeiten und Bedürfnissen der Beschäftigten einzelner Altersgruppen.
„Alternsgerechte Arbeitsgestaltung dagegen verfolgt einen umfassenderen Ansatz. Sie ist auf den Alterungsprozess aller Beschäftigten bezogen und verfolgt das Ziel, die gesundheitlichen Ressourcen zu sichern sowie die vorhandenen Kompetenzen zu nutzen und zu fördern“,
stellte der BDA-Vertreter fest. Damit verbunden sei eine Orientierung gestalterischer Maßnahmen am gesamten Erwerbsverlauf der Mitarbeiter. Entsprechende Maßnahmen, etwa in der Gesundheitsförderung, wirken präventiv, da sie bereits bei den Jüngeren ansetzen. Herr Breutmann machte darüber hinaus auf die hohe Bedeutung der Arbeitszeitgestaltung für die Gesundheit der Beschäftigten aufmerksam.
Damit lieferte er einen guten Anknüpfungspunkt für den Vortrag von Simone Back, Beraterin der RKW Hessen GmbH. Sie präsentierte Ergebnisse aus einer 2015 durchgeführten Studie zum Thema Arbeitszeit. Dabei hob sie den Zusammenhang von fehlenden Einflussmöglichkeiten auf die individuelle Arbeitszeit und körperlich/psychovegetativen Beschwerden hervor.
Darüber hinaus berichtete Back, dass nur wenige kleine und mittlere Unternehmen über ausreichende Informationen zum Thema Arbeitszeitgestaltung verfügen und sie in den seltensten Fällen wissen, wohin sie sich wenden können, wenn sie einen Beratungs- bzw. Unterstützungsbedarf haben. Im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration sei jetzt das Informationsportal „Arbeitszeit klug gestalten“ im Aufbau, das unter anderem rechtliche Aspekte beleuchtet, verschiedene Arbeitszeitmodelle erklärt und Praxisbeispiele bereitstellt.
Wie mit zunehmend älteren Beschäftigtenstrukturen und angesichts eines sich allenthalben abzeichnenden Fach- und Nachwuchskräftemangels die Leistungsfähigkeit aufrecht erhalten, Flexibilität gewährleistet und dabei die Produktivität gestärkt werden kann, wird im „Wegweiser „Demografiefeste Arbeit“ auf den zentralen Handlungsfeldern
beschrieben, praxiserprobte Vorgehensweisen und die wichtigsten Instrumente sind enthalten. Die Empfehlungen in der druckfrischen RKW-Veröffentlichung zielen vor allem auf eine bessere Verzahnung von Personalpolitik und der Gestaltung von Arbeitsprozessen und Arbeitsbedingungen. Sie basieren auf der Erkenntnis, dass sogenannte „Demografiemaßnahmen“ nicht allein den Beschäftigten zu Gute kommen, sondern auch bestens dafür geeignet sind, die Prozesse im Unternehmen zu verbessern und damit die Produktivität zu erhöhen. Wesentlicher Erfolgsfaktor sei dabei in jedem Fall die frühzeitige Einbindung der Beschäftigten.
- © Martinan / Fotolia – 106-frau-fernglas.jpg