Steht der Mensch im Mittelpunkt? Die Mehrzahl der Teilnehmer, die zu Beginn der Veranstaltung auf einer Punkteskala über diese Frage abstimmten, zeigte sich eher skeptisch und neigte folglich zur Aussage "trifft nicht zu". Prof. Dr. Andreas Boes, ISF München, machte in seinen einleitenden Worten die Brisanz des Themas und die Notwendigkeit zur aktiven Gestaltung der digitalen Transformation deutlich. Angesichts des drohenden Verlustes gesellschaftlicher Integrationsfähigkeit, in Zeiten steigender Zukunftsangst und daraus resultierender rechtspopulistischer Tendenzen, ginge es darum, so der Leiter des Verbundprojektes, glaubhaft vermitteln zu können, dass der Mensch jetzt und auch weiterhin einen zentralen Platz einnimmt. Allerdings, so der Forscher
"Was wir nicht verstehen, können wir nicht gestalten"
Daher sei neben der Befähigung des Menschen zum Umgang mit der Technologie das "Empowerment", die Entwicklung persönlicher und in ihrer Kombination einzigartiger Kompetenzen wichtig. Das Verständnis größerer Zusammenhänge und die Fähigkeit zur Gestaltung setze unabhängiges Denken, persönliche Werte und Überzeugungen voraus. Schlüsselkompetenzen, wie Teamfähigkeit und Empathie wie das Zusammenspiel von vielfältigen Talenten seien gleichermaßen wichtig.
Mitarbeiterpartizipation ausbaufähig
Dr. Andrea Fehrmann, IG Metall, Bezirksleitung Bayern, unterstrich in ihrem Statement die Bedeutung von breit angelegten Kompetenzen, von Kreativität und Entscheidungsfähigkeit, die zurzeit weder an Schulen noch Universitäten ausreichend gefördert würden. Sie vermisste vor allem politische Visionen im Hinblick auf die New Work-Debatte und eine menschengerechte Technikgestaltung. In den Betrieben, so Fehrmann sei noch eine Menge Luft nach oben, was die Beteiligung der Beschäftigten an Managementprozessen und deren Möglichkeit angehe, die Arbeit mitzugestalten
Marc Stoffel, elected CEO bei der Haufe-umantis AG, bemängelte fehlende Experimentierfreude in den Unternehmen. "Die Leute haben viel mehr drauf, als wir ihnen zutrauen". Innovative Führungskonzepte, Schutzräume für Innovationen, die Auflösung von Fach- und Führungskarrieren, der Abschied von zu engen Job-Profilen nannte Stoffel u.a. als Wegbereiter einer erfolgreichen Transformation der Arbeit.
Wie sich Empowerment und Mitarbeiterbeteiligung in der betrieblichen Praxis fördern lässt, welche Herausforderungen es zu bewältigen gibt, darüber referierten Experten aus unterschiedlichsten Perspektiven.
Agile Organisationsformen, offene Kultur
Eine moderne Unternehmensleitung und Personalpolitik fördere, so Dr. Wolfgang Fassnacht., Senior Vice President, HR, SAP SE, die sinnhafte Arbeit. Menschen würden durch Empowerment zu Innovationen befähigt, agile Arbeitsformen böten Raum für Experimente. Dazu sei es wichtig, Steuerungsdaten für die Mitarbeitenden transparent zu machen und den Zugang zu Daten als Basis für Entscheidungen zu ermöglichen. Bei SAP bemühe man sich um ein Führungsprinzip, das von Wertschätzung und Coaching getragen wird. Das Command-and-Control-Prinzip sei, so Fassnacht, passé. "Es gibt keinen Grund für Misstrauen, es gibt jeden Grund für 100 Prozent Vertrauen", betont der HR-Experte.
Empowerment – Voraussetzung für agile Arbeit
Ohne Empowerment könne Agilität nicht wirklich umgesetzt werden und die gewünschten Potenziale entfalten, fasste Thomas Lühr, die Erkenntnisse des ISF hinsichtlich der vielerorts zu beobachtenden Agilitätsbestrebungen zusammen. Statt nachhaltiger Arbeitsweisen könnten sich neue Belastungssituationen entwickeln, bis hin zu dem Gefühl, "an einem digitalen Fließband zu arbeiten". Auch für den ISF-Wissenschafter gilt die Entwicklung agiler Führungskonzepte als zentrale Stellschraube zur Durchsetzung eines ernst gemeinten Empowerments, die über den einzelnen Betrieb hinaus den Weg in eine neue Humanisierung der Arbeitswelt ebnen könne.
Wie wollen wir in der Zukunft arbeiten?
In parallel stattfindenden Werkstätten entwickelten Teilnehmerinnen und Teilnehmern zusammen mit den Vertretern der eda-Teilprojekte Ansatzpunkte und Ideen zur Gestaltung des digitalen Umbaus.
Die Moderatorin Kira Marrs begrüßte als abschließendes Highlight Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising und Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz. Der Geistliche forderte, jenseits von ökonomischem Denken und dem technisch Machbaren, im Interesse der Zukunft von Demokratie und Freiheit, die Entwicklungen nicht dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen. Die Würde des Menschen sei auf engste mit der Arbeit verbunden. Darum dürfe diese auch im digitalen Zeitalter nicht sinnentleert und wertlos sein. Die Gestaltungsaufgabe sei von den Betroffenen her zu denken und ergebe sich auch unbedingt aus der katholischen Soziallehre. Marx unterstrich, es gehe um nicht weniger als um die Zukunft der Menschheit und um eine globale Dimension, wie sie den Bemühungen um Abrüstung und Klimaschutz zukomme.
Es bleibt abzuwarten, inwiefern die Forschungsarbeiten zum eda-Projekt erfolgreiche Beispiele zur Förderung des Empowerments hervorbringen, aus denen sich positive Zukunftsperspektiven für den Menschen und die Gestaltung seiner Arbeit ergeben. Wir sind gespannt, bleiben dran - und im Gespräch.
Das Projekt "Empowerment in der digitalen Arbeitswelt" (EdA) ist ein Forschungsprojekt unter der Leitung des Instituts für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. – ISF München und in Zusammenarbeit mit der Universität Kassel, dem Betriebsrat der AUDI AG Ingolstadt, der IG Metall und der andrena objects ag. Es wird durch Mittel des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm "Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen" und des Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert und vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut. Wie unser Forschungsprojekt APRODI, in dem es ebenfalls um Partizipation und die Unterstützung der Handlungsfähigkeit von Beschäftigten geht, ist es Teil des TransWork-Verbundes.