Nach Wochen des absoluten Ausnahmezustandes geht es nun wieder darum, in der vielbesagten „neuen Normalität“ Fuß zu fassen. Kein leichtes Unterfangen, handelt es sich doch nicht um einen fröhlichen Aufbruch, sondern eher um ein beklommenes Vortasten. Das Virus ist schließlich weiterhin überall und nirgends. Wie finden wir wieder zurück in den Alltag?

… und ewig grüßt das Murmeltier

Ich habe schließlich aufgehört die Tage zu zählen, verliefen sie doch in einem sonderbaren Gleichmaß, gerahmt von Corona-FAQs im Morgenradio und einem Corona-Special am Abend. Dabei gehöre ich zu einer absolut privilegierten Spezies: Keine Kündigung, keine Kurzarbeit, keine „freigesetzten“ Kita- oder Schulkinder oder zu betreuenden Angehörigen und dazu Aufgaben, die zum wesentlichen Teil am Schreibtisch resp. PC von zu Haus aus erledigt werden können. Zwar lässt die ergonomische Ausstattung des ad hoc-Arbeitsplatzes (Familien-Esstisch) ein bisschen zu wünschen übrig.  Die technische Ausrüstung inklusive Internet- bzw. VPN-Anschluss stand jedoch dank einer vorausschauenden IT-Planung sofort weitgehend störungsfrei zur Verfügung. Telefonkonferenzen waren schon vor Corona Routine und sind zumindest für „eingespielte“ Teams kein Problem mehr. Anders sah es mit Webkonferenzen aus, die häufig nicht leicht zustande kamen und leider auch nicht ohne technische Mängel verliefen: Mein Desktop bietet zurzeit sechs verschiedene Apps, die mit wechselnden Partnern im Einsatz sind. Recherchen, Korrespondenz und Koordinationsaufgaben mit digitaler Unterstützung: auch eigentlich gar kein Problem. Was fehlte, waren alles in allem natürlich die „analogen“ Erlebnisse. Physische Kontakte mit Angehörigen und Freunden, aber auch mit Kolleginnen und Kollegen, mit Projektpartnern, der fachliche Austausch face to face, gemeinsame Mittagessen, der kurze Plausch am Morgen oder im Leistungstief am Nachmittag.  Auch den Zugriff auf „richtige“ Fachbücher und einige (zugegebenermaßen immer noch liebevoll gehegte) Papierakten begann ich schon sehr zu vermissen.  

Und jetzt die Rolle rückwärts?

Seit kurzem gilt die Ansage: Einmal die Woche Anwesenheitspflicht im Büro – Risikogruppen selbstverständlich ausgenommen – und auch nicht für alle zur gleichen Zeit. Nein, im gemeinsamen Kalender tragen sich die Kollegen und Kolleginnen in Zeitfenster ein, zu viel Verkehr auf den Gängen, in Treppenhäusern, Gemeinschaftsräumen soll so verhindert werden. In Teeküche und Toiletten stehen zusätzlich Desinfektionsmittel und Einmalhandtücher bereit. Vorbildlich. Bei nicht immer zu vermeidenden Begegnungen auf dem Flur, im Aufzug oder am Kopierer drückt sich gottlob keiner panisch an der Wand entlang, dafür bin ich dankbar. Und es ist gut zu hören, dass man auch vermisst wurde. Am Arbeitsplatz: den Laptop in die Ladestation und – ah, endlich wieder ein ordentlicher Bildschirm und dann der liebe Schreibtischstuhl. Das fühlt sich doch ganz gut an. Die Zimmerpflanzen haben dank der umsichtigen, die „Stellung haltenden“ Kolleginnen überlebt.

Das erste Teamtreffen findet in einem großzügig bemessenen Konferenzraum statt: mindestens doppelt so viele leere Stühle wie Anwesende – immer schön Abstand halten. Die Daheimgebliebenen wählen sich über Videokonferenz ein. Behalte ich die Schutzmaske an? Nein, glücklicherweise (noch) kein Vermummungsgebot am Arbeitsplatz!

VUCA

In allen Gesprächen schwingt die Frage mit: Wie arbeiten wir weiter? Für welche Themen interessieren sich die Unternehmen jetzt und in den nächsten Monaten, wie können wir sie am besten unterstützen? Werden unsere Veranstaltungen im Herbst stattfinden? Wann können wir mit Werbemaßnahmen beginnen? Was wird aus Projekten, für die eine Präsenz in Unternehmen erforderlich ist? Was wird überhaupt „nach Corona“ sein? Vieles, zu vieles bleibt im Unklaren. Schon jetzt zeichnen sich aber bedenkliche Entwicklungen ab: Viele Unternehmen, darunter viele kleine, kämpfen ums Überleben. Handwerksbetriebe fahren voraussichtlich ihre Ausbildungsaktivitäten zurück. In großen Unternehmen wird mit  Stellenabbau gerechnet.

Das VUCA-Schlagwort und die in letzter Zeit wohlfeile Empfehlung an Unternehmen, einer durch Schwankungen, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit geprägten Welt durch gesteigerte Anpassungsfähigkeit zu begegnen, kommt mir immer wieder in den Sinn. Dass wir uns, wenn es sein muss, sehr schnell anpassen können, haben die vergangenen Wochen gezeigt. Dass die finanztechnische und sozialverträgliche Anpassungsfähigkeit sehr wohl Grenzen hat, ebenfalls. Der „Corona-Wackel-Zustand“ kann noch längere Zeit anhalten. Wie wird es weitergehen?  Wir werden einen langen Atem brauchen. Und Zuversicht und letztlich auch den Willen zu grundlegenden Veränderungen. Mehr denn je sind wir dazu aufgerufen, nicht nur flexibel gewappnet zu sein für weitere Krisenszenarien, sondern über die engen individuellen, nationalen Grenzen hinaus die Folgen von Handeln wie Nichthandeln zu bedenken und die globalen Lebensgrundlagen in den Blick zu nehmen. Eine Rückkehr zur gewohnten Tagesordnung sollte jedenfalls keine Option sein.

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