Psychische Belastungen sind seit Jahren auf dem Vormarsch. Sie können krank machen. Steigende Fehlzeiten und Frühverrentungen sprechen eine deutliche Sprache. Arbeitsverdichtung und Zeitdruck gelten als Hauptursachen. Dies gilt auch für die Produktionsarbeit. Durch die zunehmende Digitalisierung und die Ausweitung globaler Wertschöpfungsketten könnte sich die Entwicklung noch verschärfen. Damit gewinnt das arbeitswissenschaftliche Gestaltungswissen betrieblicher Akteure an Bedeutung. Mögliche Gefährdungen müssen erkannt, Belastungen richtig eingeschätzt werden, um wirksame Gegenmaßnahmen entwickeln und rechtzeitig einleiten zu können. Zwar verlangt § 5 des Arbeitsschutzgesetzes schon seit Ende 2013 psychische Belastungen bei der obligatorischen Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen und präventive Vorkehrungen zu treffen. Wenn aber das erforderliche arbeitswissenschaftliche Basiswissen fehlt, bleiben Potenziale zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen ungenutzt, die zum Beispiel schon bei der Planung und Einführung neuer Technologien berücksichtigt werden sollten.
Belastungen in der Metall- und Elektroindustrie
Anja Gerlmaier und Laura Geiger führen in ihrem Forschungsbericht eine Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes aus 2015 an. Sie zeige, dass zwischen 27 und 34 Prozent der Beschäftigten in der Industrie durch Zeitdruck belastet sind. Über 40 Prozent der Beschäftigten im Metall- und im Elektrobereich berichteten, dass sie sich ständig mit neuen Aufgaben konfrontiert sehen. Regelmäßige Überstunden wirkten belastend. Es bliebe weniger Zeit zur Regeneration. Die Folgen von Stress und etwaiger Erschöpfungssymptome würden von Beschäftigten und Führungskräften häufig zu spät erkannt.
Gleichzeitig sind in vielen Betrieben die belastungsreduzierenden Effekte etwa von Kurzpausen, von gesundheitsgerechten Schichtsystemen oder von regelmäßigen Tätigkeitswechseln nicht bekannt.“
Gestaltungswissen aufbauen
Im Verbund mit Unternehmen untersucht das Projekt einerseits Möglichkeiten der Stressreduzierung durch adäquate Arbeitsgestaltung, andererseits sollen Qualifizierungsmaßnahmen entwickelt werden, die Führungskräfte, Mitarbeitende und Arbeitsschutzakteure bzw. Betriebsräte mit dem notwendigen Wissen ausstatten. Dabei geht es um Kenntnisse über Gesundheitsrisiken und ihre Ursachen sowie um "gesundheitsstärkende Arbeitsressourcen", etwa in Gestalt von Handlungsspielräumen oder sozialer Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen und Vorgesetzte.
Insgesamt kommen die Forscherinnen zu dem Ergebnis, dass das Wissen um gesundheitliche Risikopotenziale zurzeit bei allen betrieblichen Akteursgruppen "ausbaufähig" ist. Führungskräfte wiesen jedoch vergleichsweise geringer ausgeprägte Kenntnisse über Stressrisiken und präventive Gestaltungsmöglichkeiten auf als Arbeitsschutzakteure. Ein zunächst erstaunlicher Befund ist, dass offenbar
Personen mit einem hoch ausgeprägten stressbezogenen Gefahrenwissen schlechtere Gesundheitswerte aufweisen."
Eine Erklärung dafür sehen die Wissenschafterinnen darin, dass sich diese Personengruppe aufgrund einer eigenen stressassoziierten Erkrankung bewusster mit deren Ursachen und Folgen auseinandersetzen könnten als andere.
Aufgrund der vorliegenden Ergebnisse werde die Notwendigkeit, betriebliche Gesundheitsförderung mit neuen Präventionskonzepten zu fördern und diese zu verbreiten, deutlich. Welche Gestaltungsoptionen bei verschiedenen Formen von Industriearbeit zu beobachten sind, wird in einem weiteren IAQ-Report dargestellt.
TIPP:
Wie der Einsatz digitaler Technologie nicht nur Effizienz- und Flexibilitätszielen dienen, sondern gleichzeitig die Qualität der Arbeit verbessern kann, wie Handlungsspielräume und Kompetenzaufbau zu fördern sind, untersuchen Arbeitswissenschaftler und Industrieunternehmen im Projekt APRODI - Arbeits- und prozessorientierte Digitalisierung in Industrieunternehmen.
- © fritz international / Photocase – 718-vorsicht-stufe.jpg