Welche Bedeutung hat Industrie 4.0 für kleine und mittlere Unternehmen, wie gehen sie mit den Herausforderungen um, welche Kompetenzen braucht das Personal, wo erhalten sie Unterstützung? Diesen Fragen widmete sich ein Innovationsworkshop der IHK Hessen Innovativ am 14. Juni an der Frankfurt University of Applied Science (UAS).
Worum geht es eigentlich?
Obwohl viele Fragen offenblieben, angesichts der komplexen Thematik offenbleiben mussten, bot die Veranstaltung der IHK wichtige Einblicke in den Stand der Diskussion zum Thema Industrie 4.0 und Digitalisierung und dessen vielfältige Facetten, gerade auch für die Vertreter der kleinen und mittleren Unternehmen. Ob es sich um eine revolutionäre resp. "disruptive" Entwicklung handle, würde zwar die Geschichte entscheiden, so Prof. Ulrich Schrader, Informatiker an der UAS, in seiner Begrüßung. Unbestreitbar aber handele es sich um einen globalen Prozess, dem sich alle Unternehmen stellen müssen.
Die Auseinandersetzung mit Chancen und Herausforderungen der sich in schnellem Tempo vollziehenden Entwicklungen, erläutert Dr. Thomas Niemann, IHK Hessen innovativ, dürfe nicht auf "später" verschoben werden. Ängste seien nicht angebracht, wohl aber "Respekt vor der Vision". Die Innovationskraft der KMU spiele eine wichtige Rolle. Die IHK unterstützt deshalb ihre Mitglieder mit Rat und Tat, unter anderem in Fragen der Weiterentwicklung innovativer Ideen, der Kooperation mit wissenschaftlichen Einrichtungen und bei der Antragstellung in Forschungsförderprogrammen, berichtete der IHK-Berater Dr. Kai Blanck. Ein anschauliches Praxisbeispiel zum Forschen im Mittelstand unter dem Hessischen Innovationsförderprogramm LOEWE 3 lieferte Dr. Sven Spieckermann (SimPlan AG) mit der Vorstellung eines Verbundprojekts zur Simulation innovativer Fördertechnik. Der Experte sieht keine "Digitalisierungslücke" in den Unternehmen, Daten wären ausreichend vorhanden. Was fehlt, ist die Fähigkeit, daraus die "entsprechenden Informationen zu generieren und neue Geschäftsmodelle" zu entwickeln.
Vor allem gehe es für Unternehmen darum, die immer anspruchsvolleren Kundenanforderungen zu befriedigen ("schnelle Lieferung"), so Prof. Dr. Kai-Oliver Schocke in seinem Impulsvortrag, und dabei nicht "der Dumme" zu sein. Kommunikation ist wichtig. Die Werkzeuge seien vorhanden, würden aber noch nicht ausreichend eingesetzt. Mit Hilfe digitaler Technologie könnten Prozessabläufe in der Produktion schlanker, d.h. effizienter gestaltet werden, dabei dürften die Serviceprozesse nicht vergessen werden. Prozessorientierung gehöre daher zu den wichtigsten Mitarbeiterkompetenzen.
Maschinen machen Menschen überflüssig?
Wie sieht die Produktionsarbeit im Zeichen rapide fortschreitender Digitalisierung aus, welche Anforderungen an die Beschäftigten gibt es, welche Kompetenzen werden in Zukunft gebraucht? Diese Fragen stellten sich die Teilnehmer eines Forums im Rahmen des IHK-Innovationsworkshops. Teils desillusioniert, teils ratlos mögen die meisten Diskutanten aus der Runde hervorgegangen sein. Denn in spätestens 30 Jahren werden in der Produktion – und in weiten Teilen des Dienstleistungsbereiches gar keine Menschen mehr gebraucht, so die Theorie von Dr. Christian Rieck, Professor für Finance und Wirtschaftstheorie an der UAS. Selbst Vorstandsfunktionen würden dann von künstlicher Intelligenz übernommen.
Digitalisierung, so der Wissenschaftler, verändert alles. Das menschliche Gehirn wird ersetzt und nach einer Übergangszeit, in der der Mensch eine Art "Symbiose" mit der Maschine eingeht, wird er überflüssig. Schlüsselkompetenzen, die bis dahin gebraucht würden, könnten sich an den Charakteristika von "R2D2" und "C3PO" orientieren. Für Nicht-Kenner der Science-Fiction-Saga "Krieg der Sterne": Es handelt sich dabei um zwei Androiden (menschenähnliche Gestalten), die sich einerseits durch hohe Intelligenz als "Problemlöser" (C3PO) und andererseits durch ausgeprägte Kommunikationskompetenz als "Übersetzer" (R2D2) auszeichnen.
"Hört sich nach Propaganda aus dem Silicon Valley" an und "Maschinen werden immer Objekte bleiben", ließen sich Zuhörer vernehmen. "Was soll aus den Menschen werden, wenn sie auf Arbeit als sinnstiftende Beschäftigung und als Einkommensquelle verzichten müssen"? Darauf gab es zunächst keine befriedigende Antwort. Es wurde aus meiner Sicht vielmehr deutlich, dass hier auch ein umfangreicher gesellschaftlicher Diskurs notwendig ist (Stichwort: bedingungsloses Grundeinkommen).
Maschinen unterstützen und entlasten?
Nicht ganz so drastisch wie sein Kollege wollte Dr. Benjamin Bierwirth die zukünftige Arbeitswelt sehen. Für ihn stünden zunächst die Unterstützungsfunktionen, die sich durch Digitalisierung ergeben, im Vordergrund. Lösungen der augmented reality (z.B. Datenbrillen) könnten Hilfestellung bei komplexen Aufgaben geben und gerade älteren Arbeitnehmern zugutekommen. Auch Dr. Claus Peter Ernst wies auf die Rolle von "wearables" hin, die einerseits dazu dienen, Servicefunktionen zu optimieren, andererseits zur Motivation und Leistungssteigerung von Mitarbeitern beitragen können (Belohnung durch badges/"Gamification"). Der Wissenschaftler setzt auf Kreativität als besonders zu fördernde Kompetenz, der in der Ausbildung von Nachwuchskräften mehr Raum gegeben werden solle. Sie sei gerade für die Gestaltung des Verhältnisses von Mensch und Maschinen von hoher Bedeutung.
Unter dem Strich
sehe ich durch die Veranstaltung den Nutzen unserer RKW-Aktivitäten bestätigt, insbesondere, was die Sensibilisierung von KMU für Entwicklungen angeht, deren Mitgestaltung schon heute aktiv betrieben werden muss, weil es morgen vielleicht schon zu spät sein könnte. Den Kopf in den Sand zu stecken, ist keine Lösung. Mehr denn je sind kluge und kühle Köpfe gefragt, die nach den Maßgaben einer nachhaltigen, umweltschonenden und an den Bedürfnissen des Menschen orientierten Zukunft mit bauen. Wir setzen weiterhin auf die Stärke der mittelständischen Unternehmer, sich immer wieder neu zu erfinden, moderne Technologien mit Augenmaß, d. h. unter Effizienzgesichtspunkten und im Hinblick auf gesunde, sinnstiftende und sichere Arbeitsplätze einzusetzen. Was nutzen schließlich die effizientesten Produkte und Dienstleistungen, wenn da keine Konsumenten mehr sind, die sie brauchen und die sie sich leisten können…
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