Unlängst auf einer Kölner Karrieremesse testete der Discounter ALDI Süd die Extremvariante der Inkognito Bewerbung, des Blind Recruiting. Bewerbungsgespräche in absoluter Dunkelheit. Können Vorurteile abgebaut werden, wenn die Gesprächspartner nur die Stimme hören?
Für den Geschäftsführer Stefan Bürkle, von Bürkle & Schöck Transformatoren in Stuttgart, ist es immer wieder spannend und überraschend zu sehen, wem er in seinen Vorstellungsgesprächen gegenübersitzt. Denn ihm liegt kein Foto der Jugendlichen vor noch kennt er die Namen oder das Alter. Für ihn ist das anonyme Bewerbungsverfahren längst eine Erfolgsstory, seit sich das Unternehmen 2012 am Modellprojekt „Anonym bewerben in Baden- Württemberg" teilgenommen hatte. Lesen Sie das Interview mit Stefan Bürkle und seine Auszubildenden im Praxisbeispiel.
Anonymisieren - wofür?
Ein kurzer Blick auf das Foto, Name, Schulnote, Alter, Geschlecht oder Herkunft reicht oft aus, um den Bewerber oder die Bewerberin auszusortieren. Personalverantwortliche nehmen sich mit dem herkömmlichen Bewerbungsverfahren die Chance junge Menschen kennenzulernen, die das Potenzial mitbringen würden, um den Ausbildungsberuf zu erlernen.
Die Folge: Lehrstellen bleiben unbesetzt - Frust auf beiden Seiten. Für den Bewerbenden sind die Auswahlkriterien oft nicht transparent und nachvollziehbar. Zum Beispiel ist nicht klar, warum früher für die Lehre zum Bankkaufmann ein Realschulabschluss ausreichte und heute gerne Abitur gefordert wird. Schüler und Schülerinnen frustrieren zu weil die Auswahlkriterien und schrecken vor der Bewerbung zurück, obwohl sie doch begeistert für ein Hobby brennen und das zum Beruf machen wollten.
Der leer gefegte Nachwuchskräftemarkt macht es heute notwendig auch den Rekruiting Prozess in den Unternehmen zu überdenken. Gesucht sind neue Bewerbergruppen und passgenaue Kandidaten.
Das anonyme Bewerbungsverfahren verzichtet bewusst auf Angaben zur Person. Somit ist es nicht nur ein wertvolles Instrument um Diskriminierung im Bewerbungsprozess zu begegnen sondern es ermöglicht vor allem eine neue Sicht auf die Kandidaten und Kandidatinnen. (Check zum Bewerberprofil)
Die Auswahlkriterien werden passgenauer
In der ersten Sichtung der Bewerbungen, wie beim anonymes Formular oder der Blackbox, stehen die üblichen Auswahlkriterien nicht mehr zur Bewertung zur Verfügung. Was tun? Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gibt konkrete Tipps im Leitfaden für Arbeitgeber „ Anonymisierte Bewerbungsverfahren“.
Für die Umstellung der Rekruiting Methode gilt grundsätzlich: Sie sollte aus unternehmerischer Überzeugung geschehen. Dann kann damit begonnen werden, sich über das tatsächliche Anforderungsprofil des Ausbildungsberufes und die wahren Qualifikationen und Kenntnisse der möglichen Interessierten Gedanken zu machen. Denn erforderlich werden ein geschärftes Anforderungsprofil sowie klare und nachvollziehbare Bewertungskriterien. Kriterien, die zum Berufsbild passen und im direkten Zusammenhang mit der Ausbildungsstelle stehen. Je genauer Sie wissen, nach welchen Kompetenzen und Eigenschaften Sie suchen, desto einfacher wird es sein, anonymisierte Bewerbungsverfahren so zu gestalten, dass Sie alle gewünschten Informationen erhalten.
Versetzen Sie sich in die Lage der Schülerin und des Schülers. Was können junge Menschen neben Zeugnisse noch vorweisen, damit sie Sie von sich überzeugt und zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden? Jugendliche können neben schulischen Leistungen Manches mitbringen, das in der Schule nicht gelehrt wird. Zum Beispiel Erfahrungen im Ehrenamt (Jugendgruppenleitung), Fremdsprachenkenntnis (Muttersprache), Praktika, Hobbys die zum Ausbildungsberuf passen (backen - Konditorin, schwimmen – Fachkraft für Bädertechnik) sein. Warum nicht Arbeitsproben wie Bilder von selbst gebackenem anfordern?
Stefan Bürkle setzt in seinem Auswahlprozess auf das Motivationsschreiben, Sprachkenntniss und ehrenamtliche Tätigkeit. Nach seiner Erfahrung trennt das Motivationsschreiben oft die Spreu vom Weizen.
Die Informationen werden nachgereicht
Anonym ist nur der erste Eindruck. Es hilft, vorschnell Urteile zu vermeiden. Schon im zweiten Auswahlschritt, wenn Zeugnisse oder Tätigkeitsnachweise vorliegen, können Beurteilungen nach Alter, Herkunft und Geschlecht wieder einfließen.
In den USA und Kanada sind anonyme Bewerbungen bereits seit den 60er Jahren üblich. Durchgesetzt hat es sich auch in Skandinavien und in der belgischen Verwaltung, nach Angaben der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Auch Frankreich und die Schweiz setzen zunehmend auf Inkognito Bewerbungen. Die Arbeitgeber hierzulande tun sich noch schwer damit, doch in Zeiten des Fachkräftemangels und der Nachwuchssorgen könnte sich eine Trendwende ankündigen.
Praxisbeispiel: Talente entdecken - das anonyme Bewerbungsformular macht's möglich
Check zum Bewerberprofil im RKW Leitfaden 1: Klein - aber fein
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