Viele von ihnen sind gut qualifiziert. Lösen sie unsere Fachkräfteengpässe?
Bisher waren die Aussichten auf die Bevölkerungs- und Fachkräfteentwicklung für Deutschland eher düster: So rechnet das Statistische Bundesamt bis 2060 mit einem deutlichen Bevölkerungsrückgang, der besonders stark die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter betrifft. Ausgegangen wird bei diesen Berechnungen bereits von einer jährlichen Nettozuwanderung von 500.000, die über die Jahre hinweg sinkt. Die aktuellen Flüchtlingszahlen überholen diese Annahme. Mit ihnen müssen die bisherigen Bevölkerungsprognosen für Deutschland wohl korrigiert werden.
Und mit Blick auf die Fachkräftesituation hat die Politik bereits darauf reagiert: Asylsuchende dürfen in Deutschland im Vergleich zu früher schneller eine Arbeit oder Ausbildung aufnehmen. Nach drei Monaten erhalten sie bereits einen generellen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. 15 Monate lang aber wird geprüft, ob nicht auch ein anderer deutscher oder ein EU-Bürger für eine Arbeitsstelle geeignet wäre. Der hätte dann Vorrang. In Mangelberufen aber ist die Vorrangprüfung reine Formsache.
Unklar ist jedoch, welche Qualifikationen die derzeit nach Deutschland kommenden Flüchtlinge mitbringen. Wir reden hier schließlich von Kriegsflüchtlingen, die keine Zeit hatten, ihre Zertifikate einzupacken oder einen Lebenslauf zu verfassen. Nicht immer lassen sich die Abschlüsse eins zu eins mit den deutschen vergleichen. Schätzungen gehen davon aus, dass viele gar keinen vergleichbaren Berufsabschluss haben. Bei rund einem Drittel wird derzeit von einem Hochschulabschluss oder einem Berufsabschluss ausgegangen.
Nicht vergessen werden sollte auch, dass viele der Flüchtlinge traumatisiert sind. Sie haben ihre Heimat, viele ihre Familie und Freunde zurückgelassen, Gewalt, Krieg, Verfolgung und Hunger erlebt und eine lange, strapaziöse, oft lebensgefährliche Flucht hinter sich. Viele sprechen kaum Deutsch, kommen aus einem völlig anderen Kulturkreis. Hier bedarf es schnell und zu aller erst medizinischer, therapeutischer und sozialer Unterstützung und einer menschenwürdigen Unterbringung.
Doch die positiven Wirkungen einer Arbeitsintegration sind nicht zu unterschätzen. Arbeit bringt Normalität in das Leben, bietet Kontakte zu neuen Mitmenschen, schafft Selbstvertrauen, Perspektiven und Sicherheit. Arbeitsangebote für Flüchtlinge können daher auch als Chance und Hilfe verstanden werden. Große Unternehmen fackeln jedenfalls nicht lange. So kündigte der Chef eines großen deutschen Automobilherstellers an, in Aufnahmezentren für Flüchtlinge Arbeitskräfte suchen zu wollen. Gerade aber die kleinen Unternehmen haben Stärken, mit denen die Arbeitsintegration besonders gut gelingen kann. Man denke an kleine Teams, flache Hierarchien, eine starke Mitarbeiterorientierung und Familienfreundlichkeit. Jeder kennt jeden und packt mit an.
Mein Fazit: Die Menschen, die heute in Deutschland Schutz suchen, lösen vielleicht nicht alle Fachkräfteengpässe von morgen. Kleine Unternehmen sollten sich aber dieser Chance öffnen und von den Großen nicht abhängen lassen. Das kann sich menschlich lohnen und betrieblich rechnen!
Übrigens: Der RKW-Leitfaden "Fachkräfte finden & binden – Vielfalt nutzen" gibt Anregungen und Hilfestellungen zur Anwerbung und Bindung von Fachkräften mit Migrationsgeschichte.
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