Meistens sprechen wir von Industrie 4.0 oder von Digitalisierung. Die Veranstaltung "Handwerk 4.0" am 29. September beim ZDH zeigte aber deutlich, dass a) es keineswegs nur um Produktion = Industrie geht und b) das Ganze keine “Revolution” ist, sonders schon ein länger laufender Prozess. Gleichwohl: Die Auswirkungen für die Fachkräftesicherung sind immens.
Alter Wein in neuen Schläuchen, so könnte man die These von Welf Schröter zusammenfassen. In seinem Vortrag wies er darauf hin, dass die Technologien für die Digitalisierung schon vor Jahren entwickelt wurden, aber unverkäuflich waren. Erst jetzt, nachdem aus dem Internet der Dinge Cyber-Physical-Systems (CPS) wurden, beflügeln sie die Diskussion. Stichwort Selbstfahrendes Auto, das bei der IAA neulich Top-Thema war (bis VW sich selbst zerlegte…). Das Neue daran: Bisher kennen wir digitale Assistenzsysteme, im Auto z. B. den Parkassistenten, in der Fabrik die automatische Nachbestellung oder Handbücher auf dem Tablet.
Jetzt geht es um Delegation: Wenn ein Handwerker mittels App ein digitales Aufmaß erstellt, berechnet das System Zeit- und Materialbedarf und erstellt automatisch ein Angebot. Das System kommuniziert eigenständig mit Lieferanten und bestellt just in time zum besten Preis. Es teilt die betriebsinternen Ressourcen entsprechend ein und berücksichtigt dabei Abwesenheiten ebenso wie Wartungstermine für Werkzeuge und Autos. Schicken die Handwerker auf der Baustelle ein Foto von der fertigen Arbeit, sendet – wiederum eigenständig – das System die Rechnung an den Kunden.
Und dann erst sorgt die Digitalisierung wirklich für Produktivitätsgewinne.
Die Systeme und Software dafür gibt es längst. Und die digitalen Kompetenzen bei den Mitarbeitern meistens auch, schließlich nutzen sie alle privat im Schnitt 3,47 miteinander vernetzte Geräte. Wo sind also die Herausforderungen?
1. Erfahrungswissen wird noch wichtiger: Köpfe entscheiden
Technik ist immer nur Mittel zum Zweck, darum muss vor der Nutzung von Technik klar sein, wozu sie dient. Innovationen entstehen nicht in Maschinen, sondern in Köpfen. Sie entstehen nicht aus dem Nichts, sondern bauen auf Vorhandenem auf. Nur mit Erfahrungswerten und vielen aktuellen Informationen können Systeme eigenständig Ergebnisse liefern. Diese Erfahrungen und Informationen haben die Menschen, die mit den Systemen arbeiten und sie "füttern".
2. Abstraktion und Komplexität nehmen zu: Augenhöhe gefordert
Eine elektronische Zeiterfassung dient z B. dazu, Erfahrungswerte für die Kalkulation zu ermitteln. Sie bekommt neue Dimensionen gegenüber den “gängigen” Stundenzetteln, wird genauer und überprüfbarer. Mitarbeiter sehen oft zuerst die Kontrollfunktion, der weitere Zweck muss vermittelt werden. Gelingt das, kann das auch ein Instrument für mehr Eigenständigkeit und Unternehmertum bei den Beschäftigten sein. Entscheidend ist, dass Geschäftsführung, Beschäftigte und die digitalen Systeme auf “Augenhöhe” miteinander kommunizieren.
3. Datensicherheit gewährleisten: Sensibilität entscheidet über Speicherort und Zugang
Der ideale Ort für vernetzte Daten ist die Cloud, aber sie ist tendenziell auch unsicher. Eine Frage ist also, wie sensibel Daten sind, die dort abgelegt werden und ob sichere Lösungen erforderlich sind.Eine andere Frage ist, wer Zugang zu welchen Daten hat. Bleiben wir bei der Zeiterfassung: Kann ein Chef sehen, wie lange der Mitarbeiter A für eine bestimmte Aufgabe gebraucht hat, überwiegt die Kontrollfunktion. Sieht er aber, wie lange es gedauert hat, eine Aufgabe A zu erledigen, hat er erstens Kalkulationswerte. Und zweitens die Chance, Prozesse zu verändern, wenn er nämlich feststellt, dass viel Zeit unproduktiv auf das Hin- und Hertragen von Material drauf ging..
4. Wirtschaft 4.0 geht nur im analogen Netzwerk
Systeme, die miteinander kommunizieren, kommen in Produkten und Dienstleistungen natürlich von verschiedenen Anbietern. Wieder ein Beispiel aus dem Handwerk: Im "Smart Home" sind Heizungs- und Lüftungsbauer ebenso gefragt wie Dachdecker, Elektriker, Fensterbauer, Mauerer und Inneneinrichter. Das Haus ist nicht mehr die Summe von Gewerken, sondern ein Gesamtsystem, das um so reibungsloser funktioniert, je besser die verschiedenen Beteiligten miteinander bei Planung, Konstruktion und Wartung kommunizieren. Das fängt bei der gemeinsamen Investition in kompatible Systeme für die Vernetzung an und hört bei der Abrechnung von Wartung auf. Ganz abgesehen davon, dass Kunden zunehmend Paketlösungen kaufen wollen, reduziert die Kooperation die Overheadkosten bei den digital vernetzten Beteiligten.
Was heißt das jetzt für Personalverantwortliche?
Vor allem heißt es, dass sie mitreden müssen und die Digitalisierung der Wirtschaft nicht den Technikern überlassen dürfen. Sonst landen wir wieder bei "Moderne Zeiten", wo der arme Charly Chaplin leider nicht kompatibel mit dem Fließband war.
Zweitens heißt es, Qualifizierung noch viel mehr als Daueraufgabe zu verstehen – und zwar für alle im Betrieb, auch für die Älteren, auch und ganz besonders für die mit geringer Qualifikation.
Drittens wird sich vieles in der Arbeitsorganisation und Arbeitsgestaltung verändern (müssen), betriebsintern und vermutlich auch bei den Rahmenbedingungen. Hier wird es darauf ankommen, unsere Standards zu sichern.
Nach drei industriellen Revolutionen – 1. Dampfmaschinen, 2. Massenproduktion, 3. Automatisierung – sollten wir eigentlich wissen, worauf es ankommt bei der 4. industriellen Revolution – der Digitalisierung. Ich habe jedenfalls am 29. September gelernt, dass es uns alle betreffen wird, egal wie und wo wir arbeiten.