Aus Sicht unseres Vereins, der bereits seit 40 Jahren das Thema „Frauen und Selbständigkeit“ im Fokus hat, ist vor allem ein ganzheitliches Mindset wichtig, um (potenzielle) Gründerinnen und Unternehmerinnen nachhaltig zu aktivieren und mehr Vielfalt im Gründungsgeschehen zu erreichen.

Die folgenden Fragen laden dazu ein, Ihr Mindset zu reflektieren, ehe Sie mit der Umsetzung der ersten Handlungsempfehlung loslegen:

1. Was ist meine Motivation dafür, mehr Frauen im Bereich Entrepreneurship erreichen zu wollen?

Vielleicht „Female Entrepreneurship ist eben ein Trend, da versuchen wir irgendwie mitzumachen“ oder „Ich verstehe gar nicht, warum Frauen eine Extrawurst brauchen, aber der Chef hat gesagt, wir sollten politisch korrekt sein“? Dann lohnt es sich, sich ausführlicher mit dem „Warum“ zu beschäftigen, um eine authentische bzw. intrinsische Motivation zu entwickeln. Ein oberflächliches Interesse am Thema geht nämlich oft mit einer wenig ganzheitlichen Herangehensweise einher. Ein Beispiel: Wenn Sie künftig in der Bewerbung Ihrer Angebote mehr Bilder verwenden, auf denen Frauen zu sehen sind, besuchen vielleicht etwas mehr Frauen die nächste Veranstaltung. Wenn aber dann doch wieder überwiegend Männer auf dem Podium stehen, in der Moderation nur die männliche Form verwendet wird, oder die Themen an der Gründungsmotivation von Frauen vorbeigehen – dann werden die meisten gründungsinteressierten Frauen kein zweites Mal kommen. Es ist daher wichtig, möglichst in allen fünf Handlungsfeldern aktiv zu werden bzw. verschiedene Änderungen aufeinander abzustimmen.

Je mehr Sie über die Motivation, Potenziale, Hürden und Bedürfnisse von Frauen im Bereich Entrepreneurship wissen, desto stärker werden Sie sich mit dem Thema identifizieren. Dann wirken Ihre kommunikativen Bemühungen sofort authentischer und überzeugen. Die am Ende dieses Artikels verlinkte Lehreinheit „Female Entrepreneurship“ bietet einen guten Ausgangspunkt. Es ist kein Muss, die Perspektive der Zielgruppe aus eigener Erfahrung zu kennen. Hauptsache, Sie hören unvoreingenommen zu – in der Einzelberatung, beim Besuch von themenspezifischen Veranstaltungen, oder auch durch die Durchführung kleiner Umfragen zu den Interessen der potenziellen Gründerinnen und Unternehmerinnen in Ihrem Einzugsgebiet. Das ist auch deshalb sinnvoll, weil es nicht DIE Gründerin gibt – je nach Alter, Familienstand, Herkunft, beruflichem Hintergrund usw. können die Perspektiven unterschiedlich sein. Hier kann es hilfreich sein, mit Personas zu arbeiten.

2. Wie offen bin ich für Veränderung?

Eine bestimmte Gruppe von Menschen stärker einzubinden und anzusprechen wird mit Veränderungen einhergehen – in den Arbeitsabläufen Ihrer Organisation, in der Unternehmenskultur, und auch in der Verteilung von Mitteln. Andere Stockfotos heraus zu suchen, Werbemittel sprachlich zu überarbeiten – das bedeutet Mehraufwand. Deshalb sind die Punkte „Motivation“ und „sich informieren“ wichtig, um sich den Mehrwert dieser Aktivitäten bewusst zu machen.

Wenn dann vermehrt Frauen bei Ihnen in der Gründungsberatung sitzen oder an Ihrem Start-up-Akzelerator teilnehmen, werden sich dadurch neue Anliegen und Fragestellungen ergeben. Hier gibt es Parallelen zur Diskussion um das Konzept der „Integration“, die im Kontext von Migration angestrebt wird. Im „Inventar der Migrationsbegriffe“ heißt es dazu: „Die Integration von Teilen in ein Ganzes verändert dieses Ganze.“. Wenn mehr unterschiedliche Menschen ihre Interessen äußern, wird ein Veränderungsprozess angestoßen. Und weiter: „Gelungene Integration steigert entsprechend das Konfliktpotenzial in einer Gesellschaft.“. Falls Sie also während oder nach der Anpassung Ihrer Kommunikation und Ihres Angebots von internen oder externen Stakeholdern kritische Kommentare erhalten, sehen Sie es als Zeichen dafür, dass Sie tatsächlich einen Veränderungs- und Aushandlungsprozess angestoßen haben, der zu mehr Vielfalt führt.

3. Wieviel Einfluss habe ich innerhalb meiner Organisation darauf, wie das Thema behandelt wird?

Wenn Sie als Kopf einer Organisation dieses Themenheft lesen – wunderbar! Falls nicht: Bitte sorgen Sie dafür, dass die Berücksichtigung von Vielfalt im Gründungsgeschehen zur Chefsache wird. Sprechen Sie andere aus Ihrem Team an, die das Potenzial des Themas sehen, suchen Sie sich aus Studien ein paar gute Fakten heraus und überzeugen Sie die Führung davon, die Veränderung von ganz oben aus zu unterstützen.

Ein Beispiel für die Vorteile eines ganzheitlichen Ansatzes

Oft ist nicht vorauszusehen, welche der potentiell interessierten Personen am Ende tatsächlich gründen. Hier eine Geschichte aus der Praxis: Vor einigen Jahren veranstaltete jumpp ein Networking-Event zum Thema „Women in Tech“. Bei Anmeldung wurde abgefragt, wer sich vorstellen könnte, einen Kurzimpuls zu halten. Eine Frau gab als Kommentar an: „Ich habe da eine Idee im Tech-Bereich, aber zum Präsentieren bin ich noch nicht weit genug.“ Sofort griff ich zum Telefonhörer und konnte die Frau überzeugen, doch einen Kurzvortrag zu halten. Denn gerade die Startphase mit ihren Hürden und Unsicherheiten ist für ein weibliches Publikum spannend – der Vortrag kam gut an. Kurz darauf ermutigten wir die Frau, sich bei einem Preis für innovative Gründungsideen von Frauen zu bewerben. Als Ingenieurin war Texten nicht ihre Stärke, also unterstützte unsere PR-Frau beim Formulieren. Die einzigartige Idee überzeugte und sie belegte den 1. Platz. Spätestens jetzt wuchs das Selbstvertrauen der Gründerin. Sie bewarb sich eigenständig für weitere Preise und wurde dreimal ausgezeichnet. Diese Erfolge sowie die Teilnahme am jumpp-Projekt „Shape your future“ gaben wertvolle Impulse. Inzwischen bringt sie ihr Start-up als Teil eines renommierten Inkubators weiter voran in einem Umfeld, das – anders als unser „Women in Tech“- Event – keinen genderspezifischen Safe-Space mehr darstellt, sondern zum Mainstream gehört. Das zeigt: Es braucht das Zusammenspiel verschiedener Formate wie Events, persönliche Beratung, Projekte und Wettbewerbe, um aus einer zögerlichen Gründerin eine echte Vorbild-Unternehmerin zu machen.

Der Artikel ist Teil des Themenheft Female Entrepreneurship

Autorin:
Unica Peters ist Geschäftsführerin und Vorständin bei jumpp – Frauenbetriebe e.V..

 

Literatur und Leseempfehlungen

Peters, U. (2023): Lerneinheit „Female Entrepreneurship“ im Rahmen des Qualifizierungsprogramms für Gründungsinteressierte und Gründende von StartMiUp – Startupnetzwerk Mittelhessen

„Female Entrepreneurship“ Modul auf der digitalen Lernumgebung der Philipps-Universität Marburg. (letzter Abruf: 16.09.2024)

Begriffsdefinition Migration. (letzter Abruf: 16.09.2024)

Tipps für diskriminierungsfreie Medienarbeit. (letzter Abruf: 16.09.2024)

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