Warum entstehen in Deutschland vergleichsweise wenige neue Unternehmen? Haben wir zu wenige Gründer ausschließlich aufgrund der guten Arbeitsmarktsituation und des demografischen Wandels? Oder fehlt den Deutschen vielleicht die Begeisterung für die Selbstständigkeit?
Kultur der Selbstständigkeit in Deutschland
Möglicherweise drückt der Schuh zusätzlich auch noch woanders: Es fehlen in Deutschland mehr Menschen, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen und ein eigenes Unternehmen tatsächlich als Alternative zur abhängigen Beschäftigung verstehen. Der Grund dafür ist offensichtlich das Fehlen eines Klimas für eine ausgeprägte Gründer- und Unternehmerkultur, die unser Land dringend braucht, wenn es auf Dauer weltweit zu den wirtschaftlich erfolgreichen Industrieländern zählen will.
Betrachtet man die Ergebnisse des Global Entrepreneurship Monitors (GEM), dem weltweit bedeutendsten Forschungsprojekt zur Analyse von Gründungsaktivitäten und zu Gründungseinstellungen in mehr als 50 Ländern, so zeigt sich, dass die gründungsbezogenen Rahmenbedingungen in Deutschland unterschiedlich bewertet werden. So steht beispielsweise Deutschland in Sachen physische Infrastruktur, Wertschätzung von Innovationen oder Schutz des geistigen Eigentums sehr gut da. Schwächen zeigen sich dagegen in den Bereichen der schulischen und außerschulischen Gründungsausbildung sowie bei den Belastungen durch Steuern und Regulierungen.
Ohne Zweifel hat Deutschland eine eher sicherheits- als chancenorientierte Bevölkerung . Daraus ergibt sich ein Handlungsbedarf im Bereich von Werten und Normen hinsichtlich der unternehmerischen Selbstständigkeit. Diese Meinung teilen nicht nur die befragten (tatsächliche und potenzielle) Gründer, sondern auch ausgewählte Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, die sich an der GEM-Studie beteiligt haben. Somit ergibt sich für Deutschland ein zweigeteiltes Bild bezüglich gründungsbezogener Rahmenbedingungen.
Einfluss gesellschaftlicher Werte und Normen
Die Rahmenbedingung „Gesellschaftliche Werte und Normen“ des GEM-Berichts umfasst den Einfluss der landesweiten Kultur auf die Wahrnehmung und Ausübung eigener unternehmerischer Aktivitäten (vgl. Sternberg/Wallisch et al., 2018). Insgesamt wird dieser Themenbereich von GEM-Experten in Deutschland negativ eingeschätzt. Die oben gezeigte Abbildung veranschaulicht, dass auch alle Einzelaussagen aus Sicht der befragten Experten innerhalb dieses Konstrukts unterdurchschnittlich bewertet werden.
Am wenigsten Zustimmung finden die Aussagen, dass die landesweite Kultur die Bereitschaft zur Übernahme unternehmerischen Risikos fördert oder Selbstständigkeit, Autonomie und Eigeninitiative betont. Etwas besser wird die landesweite Kultur als fördernder Aspekt der Kreativität und Innovation gesehen. Ähnlich bewertet ist der Aspekt, dass kulturelle Einflüsse das Erreichen individuellen Erfolgs durch eigene, persönliche Anstrengungen begünstigen.
Soziale und gesellschaftliche Werte in Deutschland werden ebenfalls im Vergleich zu anderen Industrieländern bezüglich der „Gründungskultur“– der Einstellung der Bevölkerung hinsichtlich ihrer Werte und Normen bezogen auf die unternehmerische Selbstständigkeit – regelmäßig innerhalb der Referenzländergruppe schlecht bewertet (vgl. Sternberg/von Bloh, 2017). Im Jahr 2017 nahm Deutschland den 37. Platz unter den 54 GEM-Ländern ein und liegt daher im hinteren Teil des Rankings. Israel, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kanada oder Holland und Estland aus den europäischen Ländern stehen ganz vorne hinsichtlich soziokultureller Normen. Der Vorteil der genannten Länder bezüglich gründungsrelevanter Werte und Einstellungen korrespondiert mit ihren Gründungsquoten, die teilweise etwa doppelt so hoch wie die Deutschlands sind.
Geringes Ansehen und niedrige Fehlertoleranz
Der GEM-Bericht untersucht neben der Expertenbefragung auch die Aussagen zu Gründungsaktivitäten und -einstellungen von tatsächlichen als auch beabsichtigenden Gründer. Unter zahlreichen Fragen wurden auch gesellschaftliche Werte in Hinblick auf unternehmerisches Handeln berücksichtigt. Die Mehrheit der befragten Personen in Deutschland sieht die Unternehmensgründung als keine gute berufliche Wahl im Gegensatz beispielsweise zu Volkswirtschaften in Nordamerika. Nur etwa die Hälfte der Gründer in Deutschland ist der Meinung, dass unternehmerisches Handeln eine gute Karrierewahl ist. Zudem sind das Ansehen von Unternehmern sowie das Medieninteresse, um unternehmerische Aktivität hervorzuheben, in Deutschland relativ gering. So wirkt sich das in einer Gesellschaft vorherrschende Unternehmerbild auch auf die individuelle Gründungsbereitschaft aus.
Weiterhin ist die Angst vor unternehmerischem Scheitern in Deutschland relativ stark ausgeprägt: 42 Prozent der Deutschen würde die Angst vor dem Scheitern von einer Gründung abhalten, so die Ergebnisse aus dem GEM-Bericht. In Deutschland fehlt die Kultur der zweiten Chance: ein Misserfolg bedeutet in der Regel ein Verlust an sozialem Ansehen. Dagegen wird die Berufstätigkeit in etablierten Beschäftigungsstrukturen mit Sicherheit und Anerkennung in der deutschen Gesellschaft assoziiert. Selbst das vorbildliche duale Ausbildungssystem in Deutschland motiviert junge Absolventen selten dazu, ein eigenes Unternehmen zu gründen, sondern eher Jobs in etablierten Unternehmen und Industrien aufzunehmen.
Gründungskultur in Deutschland – wie geht es weiter?
Für den langfristigen Bestand der mittelständischen Wirtschaft in Deutschland ist von sehr hoher Relevanz, eine Kultur der Selbstständigkeit in der Gesellschaft zu verankern und das Interesse für Unternehmensgründung und -übernahme zu stärken.
Verschiedene Initiativen versuchen bereits, den Unternehmergeist in Deutschland zu stärken und zielen auch darauf ab, unternehmerische Aspekte sozial und kulturell stärker in der Bevölkerung zu verankern. Neben der Verbesserung der Gründungsausbildung im schulischen, aber auch im außerschulischen Bereich schlagen die befragten Experten unter anderem Formate vor, die sowohl den gescheiterten als auch den erfolgreichen Unternehmern die Möglichkeit geben, ihre Erfahrungen mit der Öffentlichkeit zu teilen.
Diese sind weiterzuverfolgen und auszubauen, obwohl ein Wandel der soziokulturellen Normen nicht kurzfristig erfolgen kann. Gemeinsame Anstrengungen der Politik, der Bildungseinrichtungen und der Gesellschaft können hier fördernd einwirken. Allerdings sind die Einstellungen gegenüber unternehmerischer Selbstständigkeit historisch gewachsen und lassen sich oftmals nur mittel- bis langfristig verändern (vgl. Fritsch/Wyrwich 2014, S. 2 f.).
In Zusammenarbeit mit dem Institut für Wirtschafts- und Kulturgeographie der Leibniz Universität Hannover hat das RKW Kompetenzzentrum den ersten gemeinsamen Global Entrepreneurship Monitor 2017/2018 zur Lage des Unternehmertums in Deutschland veröffentlicht. Er zeigt sowohl Gründungsaktivitäten und -einstellungen als auch gründungsbezogene Rahmenbedingungen in Deutschland auf.
Zur PublikationDr. Natalia Gorynia-Pfeffer Gründung / Referentin
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