Am 30. August fand das diesjährige GEM-Expertenforum statt. Mehrere Expertinnen und Experten aus Verbänden, Wirtschaftsförderungen, Kammern, Ministerien und Wissenschaft kamen zusammen, um über Kernergebnisse des Global Entrepreneurship Monitors (GEM) Länderberichts Deutschland 2020/21 zu diskutieren. Als Einleitung in die Diskussion erfolgte eine Präsentation der GEM-Schlüsselergebnisse durch Herrn Prof. Dr. Sternberg, Leiter des deutschen GEM-Teams. Die Ergebnisse der anschließenden Diskussion haben wir hier für Sie nachfolgend zusammengestellt.
Die Gründungsquote erreicht 2020 in etwa das Niveau von 2018, dies zeigen die aktuellen GEM-Zahlen. Im Vergleich zu anderen Ländern mit hohem Einkommen, besteht in Deutschland noch ein Steigerungspotenzial. Die Gründe für eine im internationalen Vergleich eher niedrige Gründungsquote sind komplex und auf mehrere Faktoren zurückzuführen – u.a. auf die Rahmenbedingungen, denen Gründungswillige in Deutschland begegnen. Wo kann man nun ansetzen, um einen noch fruchtbareren Boden für Gründungen zu schaffen? Mögliche Stellschrauben aus Sicht der bei dem Expertenforum anwesenden GEM-Expertinnen und -Experten sind:
Gründungskultur stärken
Ein wichtiger Faktor ist das Gründungsklima. Gerade unter jüngeren Menschen ist gründen schon attraktiver geworden, die GEM Ergebnisse verzeichnen insbesondere in den jungen Altersgruppen eine Steigerung. Insgesamt gründen 2020 6,8 Prozent der 18–24-Jährigen in Deutschland oder planen eine Gründung. Die Gründungsquote ist in dieser Altersgruppe so hoch wie in keiner anderen Altersgruppe. Laut einer Expertenmeinung ist das Gründungsklima der wichtigste Katalysator für unternehmerische Aktivität. Die mediale Aufmerksamkeit von Startups oder Rollenvorbildern sind Beispiele, welche die Gründungskultur stärken können. Die GEM-Expertinnen und -Experten halten eine Grundstimmung für förderlich, die Unternehmensgründungen als einen normalen oder gar anstrebenswerten Karriereweg ansieht.
Ökonomische Bildung stärken
Neben dem Wissen um die Option der unternehmerischen Selbständigkeit oder der Unternehmensnachfolge als Karriereweg, ist zudem die Gründungskompetenz sehr wichtig. Dabei kann es aus Sicht der GEM-Expertinnen und -Experten aufschlussreich sein zu erörtern, inwiefern die neueingeführten Schulfächer „Wirtschaft“ in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, die ökonomische Kompetenz bei jungen Menschen steigern. Die Verankerung des Faches „Wirtschaft“ in den Lehrplänen der Schulen ist ein wichtiger Ansatzpunkt – bei diesem Thema besteht aus Sicht der GEM-Expertinnen und -Experten in Deutschland noch Steigerungspotenzial – um mehr jungen Menschen eine mündige und bewusste Entscheidung für oder gegen eine berufliche Selbständigkeit zu ermöglichen. Der Initiativkreis „Unternehmergeist in die Schulen“ bietet ein breites Angebot an Wirtschaftsplanspielen für junge Menschen, wie beispielsweise „JUGEND GRÜNDET“ oder die „IW JUNIOR“ Schülerfirmen. Das Angebot ermöglicht es jungen Menschen ihr Wirtschaftswissen zu erweitern sowie spielerisch eigene Erfahrungen im wirtschaftlichen Handeln zu sammeln.
Finanzierungsmöglichkeiten für Gründungen stärken
Neben dem Wissen um die Option der Selbständigkeit und der Kompetenz zur Gründung ist die Finanzierung von Gründungen aus Sicht der GEM-Expertinnen und -Experten ein entscheidender Faktor. Durch weitere Angebote der Gründungsfinanzierung kann die Anzahl der Startups und jungen Unternehmen in Deutschland noch gesteigert werden. Die GEM Expertinnen und -Experten haben in diesem Zusammenhang auch diskutiert, ob ein Gründungszuschuss in der durch die Corona-Pandemie geprägten Wirtschaftssituation ein probates Mittel sein kann, um Gründungen zu fördern.
Gleiche Möglichkeiten für Frauen und Männer schaffen
Die GEM-Daten zeigen, dass der Rückgang der Gründungen bei Frauen im Jahr 2020 nicht so stark ausgeprägt ist wie bei den Männern. Auch der aktuelle KfW Gründungsmonitor kommt zum gleichen Ergebnis. Das hängt nach Einschätzung der GEM-Expertinnen und -Experten unter anderem damit zusammen, dass Frauen sich leichter tun, ihr intendiertes Geschäftsmodell grundsätzlich anzupassen und zu überarbeiten. Dies kann jedoch auch an Brancheneffekten liegen, da Frauen beispielsweise häufiger im Bereich persönlicher Dienstleistungen gründeten, die stark von den Coronarestriktionen betroffen waren und somit Geschäftsmodellanpassungen öfter notwendig waren. Zudem haben vor allem Frauen, die im Nebenerwerb tätig sind, ihr Geschäftsmodell häufiger als Männer im Nebenerwerb coronabedingt angepasst. Es ist wünschenswert, dass die gründungsbezogenen Rahmenbedingungen so fortentwickelt werden, dass Gründen schon bald keine Frage des Geschlechtes mehr ist – also für beide Geschlechter einfach möglich ist – und nur noch eine Frage der unternehmerischen Idee ist.
Vorsprung durch digitale Gründungsberatung
Laut Expertinnen und Experten bleibt auch in der Pandemie die Nachfrage nach Gründungsberatung stabil. Gerade um durch die Krise zu kommen, ist Beratung und Coaching wichtig und sollte durchgehend zugänglich sein. Die Gründungsberatung sollte nah an der Lebensrealität der jeweiligen Gründenden ausgerichtet sein. Dabei hat sich in den letzten Monaten insbesondere die digitale Gründungsberatung als gute Methode erwiesen, die auch in der nach Pandemie-Zeit hohes Potenzial hat. In der digitalen Beratung/dem digitalen Coaching können auch in ländlichen Regionen Gründende schnell und flächendeckend erreicht werden, was sich durch vor Ort Termine viel schwerer gewährleisten lässt. Nach Erfahrung der GEM-Expertinnen und -Experten ist der Datenschutz dabei jedoch ein Thema bei dem Anpassungen nötig sind, um ein rechtssicheres digitales Coaching- und Beratungsangebot anbieten zu können. Auch bezüglich der digitalen Beratung ist aus Sicht der GEM-Expertinnen und -Experten der Ausbau von schnellen Internetverbindungen auf dem Land sehr wichtig.
Stärkerer Fokus auf Gründungen im Nebenerwerb
Auch Gründungen im Nebenerwerb haben eine hohe gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung. Nach Sicht der GEM-Expertinnen und -Experten sind diese Gründungen oft genauso innovativ wie Gründungen im Vollerwerb. Dadurch das heutzutage in vielen Bereichen Komponenten – wie eine effiziente Buchhaltung – leicht und kostengünstig eingekauft werden können, werden Gründungen im Nebenerwerb immer attraktiver. In der Gründungsförderung und Beratung sollte aus Sicht der GEM-Expertinnen und -Experten daher die Nebenerwerbsgründung noch stärker als bisher in den Fokus rücken.
Stärkerer Fokus auf die Unternehmensnachfolge
Gleichzeitig ist neben der Neugründung auch die Unternehmensnachfolge ein genauso wichtiger und lohnenswerter Weg in die berufliche Selbständigkeit. Insbesondere da heute und in den kommenden Jahren viele Handwerksbetriebe zur Übernahme anstehen, muss aus Sicht der GEM-Expertinnen und -Experten in der Gründungsberatung und Gründungsförderung stärker als bisher auf die Unternehmensnachfolge fokussiert werden. Das BMWi fördert in der Initiative „Unternehmensnachfolge – aus der Praxis für die Praxis“ bundesweit mehr als 30 Modellprojekte, die neue Lösungen bezüglich der Steigerung der Unternehmensnachfolgen in Deutschland entwickeln.
Zusammenfassend stellt sich die Frage, wie mit den GEM-Erkenntnissen wirtschaftspolitische Maßnahmen noch stärker unterstützt werden können. Das GEM Team aus dem RKW Kompetenzzentrum hat sich einige Gedanken dazu gemacht, wie man insbesondere mit digitalen Tools die GEM Ergebnisse neben der Wissenschaft auch für andere Zielgruppen des RKW Kompetenzzentrums (wie z.B. politische Entscheidungsträger, Wirtschaftsförderungen, Kammern, Technologie- und Gründerzentren, mittelstandsnahe Verbände, RKW-Landesverbände, Partnerinnen und Partner der BMWi Gründungswoche Deutschland) leicht zugänglich und niedrigschwellig verwendbar machen und für diese praxisorientiert aufarbeiten kann. Dazu gehören beispielweise: eine geplante digitale interaktive Karte, mit der GEM-Ergebnissen pro Bundesland in anschaulicher Form abgerufen werden können, ein Powerpoint Downloadpaket mit Folien, die direkt in Vorträge eingebunden werden können sowie eine Bildergalerie mit grafisch aufbereiteten GEM-Schlüsselergebnissen die u.a. in Social-Media Kanälen oder auf Webseiten verwendet werden können.
Das GEM-Team Deutschland und das RKW Kompetenzzentrum bedanken sich bei allen teilnehmenden Expertinnen und Experten des virtuellen GEM-Forums für die Beiträge, Einschätzungen und die Diskussion.
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