Das Jahrestreffen des Global Entrepreneurship Monitor (GEM)-Konsortiums mit mehr als 30 GEM-Länderteams fand in diesem Jahr am 16. und 17. Februar in Fribourg (Schweiz) statt. Der GEM ist die größte internationale repräsentative Vergleichsstudie zum Unternehmertum. Seit 2018 führt das RKW Kompetenzzentrum in Kooperation mit der Leibniz Universität Hannover den GEM in Deutschland durch. Ziel der Konferenz war der Austausch über neue Forschungs- und Erhebungsmethoden, die Diskussion der Gesamtausrichtung des GEM-Forschungsprojektes, der Dialog mit der Politik zum Thema Gründungsförderung sowie der fachliche Austausch der GEM Teams zu den Themen wie die Gestaltung der GEM-Länderberichte und zusätzliche Fragen für die neue GEM-Erhebungsrunde.
Im Rahmen der Veranstaltung wurden die neuesten GEM-Daten auf der Grundlage von Interviews mit mehr als 175.000 Personen und Expertinnen und Experten aus 51 Volkswirtschaften zur Lage des Unternehmertums präsentiert. Der GEM Global Report 2022/2023 trägt den Titel „Adapting to a new normal“ und zeigt, dass die globale Pandemie unterschiedliche Auswirkungen auf das Unternehmertum in den einzelnen GEM-Ländern hatte. Bemerkenswert ist, dass in den meisten Volkswirtschaften die Gründungsquote im Laufe der Pandemie gestiegen ist.
Das deutsche GEM-Länderteam im RKW Kompetenzzentrum hat am ersten Konferenztag der GEM-Jahrestagung den zweistündigen Programmpunkt „Policy Impact: Replicable Policy Impact Models“ moderiert und durchgeführt. Das Konzept wurde im Dialog mit dem internationalen GEM Konsortium erarbeitet und umfasste die Präsentationen von Good-Practice-Beispielen aus fünf Ländern (Tunesien, Schweiz, Vereinigtes Königreich, Österreich, Kanada) sowie drei parallele thematische Workshops zu den Themen Gründungen durch Frauen, Gründungen durch Migrantinnen und Migranten sowie Social & Sustainable Entrepreneurship.
Im ersten Teil haben Partnerinnen und Partner aus ausgewählten GEM-Ländern in der von Dr. Florian Täube moderierten Session anhand des „Policy Canvas Model“ der OECD gezeigt, dass die GEM-Daten eine wichtige Grundlage zur Ableitung von Handlungsempfehlungen für die Politik spielen können. Referentinnen und Referenten aus Tunesien, Österreich, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich und Kanada haben Beispiele präsentiert, die zeigen wie GEM-Daten zur Förderung von Frauen bzw. jungen Menschen in ihren Ländern beigetragen haben. Die GEM-Daten haben in diesen Ländern mit als Grundlage für die Politik – und Akteure des Privatsektors wie Banken oder Stiftungen – gedient, um spezielle Förderprogramme ins Leben zu rufen.
Anschließend wurden in drei interaktiven Workshops neue Ideen sowie weitere Good-Practice-Beispiele zur Förderung des Unternehmertums aus allen anwesenden GEM-Ländern entwickelt und gesammelt. Die Ergebnisse werden auch im diesjährigen deutschen GEM Länderbericht aufgegriffen und vorgestellt.
Workshop 1: Unterstützung von female entrepreneurship
Der von Dr. Florian Täube geleitete Workshop arbeitete in zwei Teilgruppen am Policy Canvas. Eine Gruppe diskutierte sehr breit alle den Diskussionsteilnehmern bekannten Maßnahmen aus Ländern wie Südafrika, Brasilien und Kanada. Die andere Gruppe fokussierte stärker auf das Thema Finanzierung, das als ein großer Engpassfaktor identifiziert wurde.
Beim Thema Zugang zu Finanzen ging es insbesondere um den Zugang zu kleineren Beträgen als die großen an (schnellem) Wachstum orientierten VC-Runden. Dabei kamen wir u.a. auf verschiedene Ausprägungen von Kleinkrediten zu sprechen, wie z.B. die Village Savings and Loan Association (VSLA) oder sogenannte rotierende Spar- und Kredit-Vereinigungen (Rotating Saving and Credit Associations, ROSCAs). Darüber hinaus wurden exemplarisch der Financial Stability Plan (FSP) aus den USA, der Working Capital Loan Fund der Cartier Women‘s Initiative oder die 10.000 Women von Goldman Sachs genannt.
Aufgrund der aus vielen Mikro-Finanz-Programmen in Schwellenländern bekannten Wirkungsweise und Wirksamkeit von Frauen-orientierten Programmen werden die Risiken als eher niedriger eingeschätzt. Gerade VSLA und ROSCAs haben niedrigere Ausfallraten über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte nachweisen können.
Anhand dieser Beispiele sieht man, dass beteiligte Stakeholder nicht nur dem öffentlichen Sektor zuzuordnen sind, sondern auch Banken, Stiftungen und andere Akteure beinhalten. Gerade in den USA ist Frauenförderung aus Grundsätzen der Gleichbehandlung oft einfacher umzusetzen, wenn z.B. entsprechende Programme nicht Gründungszentren von Universitäten durchgeführt werden, sondern von assoziierten Instituten, die oft von Alumni finanziert werden.
Der Zeithorizont solcher Programme sollte mittel- bis längerfristig ausgelegt sein, mindestens 3-5 Jahre und idealerweise messbar gemacht werden. Nur so seien Politikmaßnahmen möglich, die unabhängig von Legislaturperioden wirken.
In der breiteren Diskussion kamen bei den finanziellen Aspekten noch der Impuls für mehr weibliche VCs und eine Gender-spezifische Perspektive auf Investitionen allgemein. Darüber hinaus kamen weitere Unterstützungsmaßnahmen zur Sprache, die allerdings mehr oder weniger weit verbreitet sind. Beispielhaft seien hier Preise für Gründerinnen (Brasilien) oder Frauen-orientierte Trainings, Netzwerk oder Mentoring-Veranstaltungen.
Etwas origineller ist die Idee von Mentorinnen für Männer oder Frauen-orientierte Beschaffung. Außerdem wurde Kinderbetreuung für 10$/ Tag genannt, woran sich automatisch die Frage der Finanzierung sowie der Fachkräfte anschließt.
Abschließend wurde von Vertretern aus mehreren Ländern die Wichtigkeit betont, dass Regierungen auf verschiedenen Ebenen wie Bund, Länder, Kommunen sowie Agenturen zur Implementierung mit dem Privatsektor und NGOs zusammen arbeiten müssten, um dieses Thema voran zu bringen.
Workshop 2: Unterstützung von migrant entrepreneurship
Die Teilnehmenden des von Dr. Natalia Gorynia-Pfeffer geleiteten Workshops waren sich einig, dass Zuwandernde als potenzielle Gründende mit größeren Hemmfaktoren und Herausforderungen konfrontiert werden als Nicht-Zuwandernde. Die Hindernisse betreffen insbesondere den schwierigeren Zugang zu Finanzmitteln, kleinere Unternehmensnetzwerke bzw. auch fehlende Sprachkenntnisse.
Gewünscht wären mehr gezielte Schulungen zum Thema Unternehmertum, Coaching und ein erleichterter Zugang zu Finanzierungsprogrammen. Die Regierungen könnten sich stärker dafür einsetzen, qualifizierte Arbeitskräfte anzuziehen, da sie großes Potenzial aufweisen, Innovationen hervorzubringen und Arbeitsplätze zu schaffen. Seit Januar 2023 gibt es beispielsweise in Spanien ein Start-up-Gesetz, mit dem die spanische Regierung innovative Gründende, Investorinnen und Investoren, Hochqualifizierte und Digitalnomaden anziehen will. Für Selbstständige wird ein Komplettpaket in der Sozialversicherung angeboten, welches die Kranken-, Renten- und Unfallversicherung abdeckt.
Hier wäre auch wichtig, gute Verbindungen zwischen den zugewanderten Unternehmern und den lokalen unternehmerischen Ökosystemen aufzubauen bzw. zu erweitern. Zu den am meisten angewendeten Maßnahmen gehören u.a. Start-up-Visa, Inkubator- und Accelerator-Programme sowie finanzielle Anreize. Viele Länder haben Visa für Existenzgründende oder Unternehmerinnen und Unternehmer eingeführt, um hochqualifizierten, potenziellen migrantischen Arbeitsuchenden den Einstieg in die Selbstständigkeit zu erleichtern. Eine andere wichtige Maßnahme ist die Mikrofinanzierung, die eine Möglichkeit bietet, die Finanzierungslücken speziell der Zugewanderten zu schließen. Im Rahmen der Mikrofinanzierung wird den Kreditnehmern, die keinen Zugang zum klassischen Finanzsystem haben, Startkapital zur Verfügung gestellt.
Ein Beispiel für die Förderung lokaler und internationaler Unternehmen in allen Phasen ihrer geschäftlichen Entwicklung bietet die Wirtschaftsagentur Wien. Sie wurde 1982 als Wiener Wirtschaftsförderungsfonds von der Stadt Wien, der Wirtschaftskammer Wien, der UniCredit Bank Austria AG sowie der Erste Bank der Österreichischen Sparkassen AG gegründet. Die Gründungsberatung wird in 17 Sprachen zur Verfügung gestellt, des Weiteren unterstützt das Projekt „CORE“ geflüchtete Personen bei der Unternehmensgründung in Wien.
In der Slowakei bietet das Migrationsinformationszentrum kostenlose Beratungsdienste für Migrantinnen und Migranten, darunter auch Beratung zur Gründung eines eignen Unternehmens und zu damit verbundenen rechtlichen und regulatorischen Anforderungen.
Crescenda – ein gemeinnütziger Verein in Basel – ist das erste Zentrum für Existenzgründungen von Migrantinnen. Crescenda hat zum Ziel, Frauen mit Migrationserfahrung in eine nachhaltige berufliche und soziale Selbständigkeit zu begleiten. Zu diesem Zweck führt Crescenda jährlich Aus- und Weiterbildungsprogramme durch und fördert das Empowerment und die Selbstwirksamkeit der Frauen.
Workshop 3: Unterstützung von Social & Sustainable entrepreneurship
Im von Armin Baharian geleiteten Workshop zum Thema Förderung von Social & Sustainable Entrepreneurship wurden von den Teilnehmenden unterschiedliche Politikfelder wie Steuern, Landwirtschaft, Innovation/Innovationsförderung sowie die Sozialpolitik als mögliche Ansatzpunkte diskutiert.
Es wurde sich dann dafür entschieden, das Thema Bildung im Workshop vertieft zu bearbeiten. Die dazu entwickelten Ideen umfassen die Einführung von Wirtschafts- und Entrepreneurship-Lerneinheiten an Schulen und Hochschulen (Kurse mit einer Laufzeit von mindestens drei Jahren, damit Wirtschaftswissen umfassend vermittelt sowie Theorie-Praxis-Transfer-Übungen stattfinden können), die Durchführung von Forschungsprojekten und Studien an Schulen und Hochschulen, die erörtern, wie Wirtschaftsbildung verbessert und gestaltet werden kann.
Darüber hinaus wurde auch über die Entwicklung von Unterrichts- und Lehrcurricula diskutiert, die Bezug auf die Lösung gesellschaftlicher Probleme nehmen und das Themengebiet der Unternehmensnachfolge mit umfassen, sowie über die Entwicklung und flächendeckende Ausrollung (kostenloser) Bildungsangebote für Erwachsene im Bereich Wirtschaft und Gründung als Weiterbildungsangebote (Stichwort: lebenslanges Lernen).
Unter den Teilnehmenden bestand Einigkeit, dass das Thema Gründungs-Bildung von der Politik nicht nur in Bezug auf Schulen und Hochschulen gedacht werden sollte, sondern die Erwachsenenbildung wie auch Qualifikationsmöglichkeiten für Arbeitslose mit umfassen sollte. Als politische Stakeholder für die Etablierung entsprechender Angebote wurden neben der jeweiligen Landes-Regierung u. a. die OECD, die Vereinten Nationen sowie globale Entrepreneurship-Bildungs-Initiativen wie das Junior Achievement Programm identifiziert. In finanzieller Hinsicht waren sich die Teilnehmenden einig, dass keine zusätzlichen Steuergelder aufgewendet werden sollten, sondern bestehende Bildungsbudgets umgeschichtet werden können.
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