Laut des Global Entrepreneurship Monitors (GEM) 2019 ist in Deutschland die Neigung, ein Unternehmen zu gründen, deutlich geringer ausgeprägt als in den meisten anderen Ländern mit hohem Einkommen. Gleichzeitig gibt es einen hohen Anteil an etablierten Unternehmen. Also Firmen, die länger als 3,5 Jahre auf dem Markt bestehen. Dies deutet auf eine langfristige Orientierung des Unternehmertums hin und führt zu einer kontinuierlichen und stabilen volkswirtschaftlichen Entwicklung. Der GEM untersucht seit 1999 das Gründungsgeschehen im internationalen Vergleich. An der aktuellen Ausgabe haben sich 49 Länder beteiligt. Die nachfolgend dargestellten Ergebnisse basieren auf einer Bevölkerungsbefragung und sind repräsentativ.
Einerseits ist es für die Entwicklung einer Volkswirtschaft wichtig, junge Unternehmen und Start-ups zu haben, die wirtschaftliche Dynamik erzeugen. Andererseits sind etablierte Unternehmen als Stabilitätsfaktor des privaten Sektors elementar. Betriebe, die schon länger auf dem Markt bestehen, sorgen für hohe Beschäftigung und haben eine hohe Produktivität. Dies trifft sowohl auf Konzerne als auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zu.
Europa und Nordamerika im Vergleich
In Deutschland beträgt die Quote von etablierten Unternehmen 7,5 Prozent. Im Vergleich zu den 19 ausgewählten GEM-Ländern aus Europa und Nordamerika landet Deutschland auf dem sechsten Platz. Die Niederlande (12 Prozent), die Schweiz (11,5 Prozent) und Griechenland (10,8 Prozent) platzieren sich vor Deutschland. Den höchsten Anteil an etablierten Unternehmen weißt Polen (13 Prozent) auf. Die USA landen knapp vor Deutschland (7,9 Prozent). Einen vergleichsweise kleinen Anteil an etablierten Unternehmen gibt es in Frankreich (2,5 Prozent), Luxemburg (3,4 Prozent) und Kroatien (4,2 Prozent).
Die Gründe, weshalb es im internationalen Vergleich überdurchschnittlich viele etablierte Unternehmen in Deutschland gibt, sind vielfältig. 99,6 Prozent aller deutschen Unternehmen zählen zum Mittelstand. Diese zumeist familienorientierten Unternehmen mit langjähriger Tradition zeichnen sich durch eine besonders langfristig orientierte Geschäftspolitik, stabile Kundenbeziehungen, eine stete Personalpolitik und eine starke Bindung zur Region aus. In Deutschland gibt es zudem viele „Hidden Champions“ – also mittelständische Weltmarktführer – die mit ihren Produkten erfolgreich Nischen besetzen. Somit ist der Mittelstand ein wichtiger Innovations- und Technologiemotor der deutschen Wirtschaft.
Wie die GEM-Expertenbefragung1typo3/ außerdem zeigt, gehören seit Jahren insbesondere das Angebot und die Qualität öffentlicher Förderprogramme und die Unterstützung von Beratern und Zulieferern für neue und wachsende Unternehmen zu den Stärken Deutschlands. Die bestehenden Förderprogramme und vorhandenen Rahmenbedingungen leisten einen wichtigen Beitrag, um die Wettbewerbs- und Überlebensfähigkeit von jungen Unternehmen zu stärken.
In Deutschland geben Unternehmen am seltensten ihr Geschäft auf
Lediglich bei 1,6 Prozent der Unternehmen, die einer Person gehörten oder von ihr geleitet wurden, erfolgte 2018 in Deutschland in den letzten 12 Monaten ein Verkauf, eine Aufgabe oder eine Schließung. Mit diesem Wert belegt Deutschland den ersten Platz im Vergleich zu 19 ausgewählten europäischen und nordamerikanischen Ländern. Die Werte für Italien und Spanien liegen auf einem ähnlichen Niveau. Die Persistenz etablierter Unternehmen ist in Deutschland somit sehr hoch. Dagegen ist der Anteil der Gründer, die ihr Unternehmen nicht weiterführen, in Kanada, den USA und Österreich am höchsten. In diesen drei genannten Ländern ist allerdings auch die TEA-Quote2 auf einem relativ hohen Niveau. Mehr Gründungen stehen somit auch mehr Unternehmensaufgaben und -schließungen gegenüber. Die Entrepreneurship-Aktivitäten bewegen sich insgesamt auf einem höheren Niveau. Die Möglichkeit, dass das eigene Unternehmen nicht weiter geführt werden kann oder die Gründung scheitert, wirkt in diesen Ländern offensichtlich weniger abschreckend.
In den meisten untersuchten GEM-Ländern wurden Unternehmen nicht weiter geführt, weil sie entweder nicht profitabel waren oder es anderweitige Finanzierungsprobleme gab. Auch persönliche Gründe, die nicht weiter spezifiziert sind, werden von den befragten Personen häufig genannt.
Gründungsquote in Deutschland unterdurchschnittlich
Typisch für viele europäische Länder sind einerseits die niedrigen TEA-Quoten und die entsprechend hohen Anteile etablierter Unternehmen. Andererseits kann die TEA-Quote auch auf einem relativ hohen Niveau liegen und die Anzahl etablierter Unternehmen sehr gering sein. Die Situation in Deutschland entspricht dem ersten beschriebenen Fall. 2018 waren nur knapp 5 Prozent der Deutschen dabei, ein eigenes Unternehmen zu gründen oder waren erst seit Kurzem ihr eigener Chef. Das heißt, etwa jeder Zwanzigste im Alter von 18 bis 64 Jahren hatte entweder seit 2015 ein Unternehmen gegründet oder ist gerade dabei, diesen Schritt vorzubereiten.
Der Rangplatz Deutschlands liegt bei dieser Gründungsquote unter den 19 Referenzländern aus Europa und Nordamerika im hinteren Drittel. Am häufigsten wird in Kanada (18,7 Prozent) und den USA (15,6 Prozent) gegründet. Unter den europäischen Ländern haben die Niederlande und die Slowakei die Nase vorn (rund 12,3 Prozent bzw. 12,1 Prozent).
Inwieweit die Langlebigkeit etablierter Unternehmen, insbesondere im Mittelstand, neue Gründungen erschweren, lässt sich anhand der Daten nicht eindeutig beantworten. Die Konkurrenz durch etablierte Unternehmen stieg in den vergangenen Jahren und viele von diesen suchen intensiv nach qualifizierten Fachkräften. Daher bieten sich für potenzielle Gründer in Deutschland vielfältige und lukrative Erwerbsalternativen im Vergleich zur Selbstständigkeit, die aufgrund der wahrgenommenen Risiken einer Gründung häufig präferiert werden.
1) Der National Expert Survey (NES) ist eine in allen beteiligten GEM-Ländern in weitgehend gleicher Form durchgeführte Expertenbefragung. Der NES dient der Einschätzung gründungsbezogener Rahmenbedingungen in den jeweiligen Ländern. In Deutschland haben 2018 insgesamt 53 Gründungsexpertinnen und –experten an der Befragung teilgenommen.
2) Die Gründerquote im GEM-Bericht „Total early-stage Entrepreneurial Activity (TEA)" ist definiert als die Quotensumme des Anteils all jener 18-64-Jährigen des betreffenden Landes, die „werdende Gründer“ oder „Gründer junger Gründungen“ sind, bezogen auf die Gesamtheit der 18-64-Jährigen.
Der GEM Länderbericht Deutschland 2018/2019 steht unter www.rkw.link/gem2019 zum Download oder zur kostenfreien Bestellung als Printexemplar zur Verfügung. Sämtliche GEM-Länderberichte Deutschland seit 1999 stehen unter www.wigeo.uni-hannover.de/gem.html als Download zur Verfügung.