Der Landkreis Marburg-Biedenkopf liegt in Mittelhessen im Regierungsbezirk Gießen und hat etwa 245.000 Einwohner. Die Gründungsintensität des Landkreises ist im deutschlandweiten Vergleich relativ hoch. Der Landkreis belegt im NUI-Regionenranking des IfM Bonn den 53. Rang von 402 Plätzen.

Frank Hüttemann ist Fachdienstleiter der Wirtschaftsförderung Marburg-Biedenkopf und beantwortet mit seiner Kollegin Angela Schmidt unsere Fragen zum Gründerökosystem des Landkreises.

Herr Hüttemann und Frau Schmidt, wie entwickelt sich das Gründungsgeschehen in Ihrer Region? Lassen sich Schwerpunkte erkennen?

Frank Hüttemann und Angela Schmidt: Der Landkreis Marburg-Biedenkopf ist ein moderner und leistungsfähiger Wirtschaftsstandort. Die Arbeitslosenzahlen sind im Vergleich zu dem Bundes-, Hessen- und Mittelhessenschnitt seit Jahren auf einem ausgesprochen guten Niveau. Und auch die Zahl der Gewerbeanmeldungen war im Jahr 2016 im Landkreis Marburg-Biedenkopf im Vergleich zu allen Flächenlandkreisen im Kammerbezirk Kassel-Marburg am höchsten.
Allerdings hat im Landkreis seit 2010 auch eine Projektförderung durch das Land Hessen in Form der „Gründungsinitiative“ des Landkreises Marburg-Biedenkopf stattgefunden. Sie endete im November 2014. Mit dieser Initiative hat die Wirtschaftsförderung das Thema Existenzgründung in der Region forcieren können und den Gründenden selber eine Reihe von unterstützenden Angeboten unterbreitet. Es ist gelungen, das Gründungsaufkommen regional zu festigen und zu erhöhen. Und dies in einer Zeit, in der sich bundes- und hessenweit, bedingt durch die geringe Arbeitslosigkeit und den damit verbundenen guten Chancen auf dem Arbeitsmarkt, der Anteil von Gründungen reduziert hat, besonders deutlich in den Jahren ab 2012. Der Landkreis hat sich bemüht, auch nach Abschluss der „Gründungsinitiative“ - als EFRE (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung, Anm. d. Red.) - Förderprojekt - wichtige Säulen des Angebots aufrecht zu erhalten, wenn auch in reduziertem Umfang.
Schwerpunkte lassen sich nur schwierig in Form von Branchen nachweisen. Eindeutig zeigen aber der ausgeprägte Standort für den Gesundheitssektor und der Pharmaindustrie seine Folgen ebenso wie die regional bedeutsame Universität. Für den Landkreis sehr erfreulich ist die starke Ausprägung von zwei besonderen Zielgruppen als Gründende. Mit der Auswertung der Zahlen konnte ermittelt werden, dass insbesondere die Anzahl der Gründungen durch Frauen sowie durch Migranten im Landkreis Marburg-Biedenkopf hessenweit hervorstechen. Nahezu sechs von zehn Neugründungen erfolgen durch Frauen. Bei Migranten liegt der Anteil bei knapp über 50 Prozent. So ist der Landkreis seit Jahren und kontinuierlich in Hessen führend bei Gründungen durch Frauen und hält stetig den 2. oder 3. Platz bei Gründungen durch Migranten. Diese überdurchschnittlich hohen Zahlen lassen sich vermutlich darauf zurückführen, dass es im Landkreis Marburg-Biedenkopf bereits seit rund 30 Jahren ein intensives Engagement in der Frauen- und Migrationsarbeit gibt, die u.a. auch besondere Maßnahmen in der zielgruppenspezifischen Informations- und Beratungsarbeit hat.

Welche sind für Ihre Organisation die größten Herausforderungen bei der Gründungsförderung?

Unsere Gründungsförderung besteht im Wesentlichen aus einer individuellen Beratung und der Durchführung von Impulsvorträgen zu Themen, die die Existenzgründungsphase betreffen sowie durch Workshops zur Einübung von Präsentationskompetenz.
In der Beratung liegt der Fokus darauf, den Gründungsgedanken und den Gründungsgeist der Personen in den Blick zu nehmen, sie an die fachlich richtigen Stellen zu verweisen, Grundsätze aufzuzeigen und sie zu einer branchenmäßigen Vernetzung zu motivieren. Grundsätzlich ist für alle Organisationen bei der Gründungsberatung die große Herausforderung, eine Beratung in die Eigenständigkeit zu erreichen bei Einhaltung eines realistischen Bezugs. In Anbetracht der Größe des Landkreises ist der Weg zu uns als Ort der Erstorientierung natürlich nicht für alle gleich leicht, weshalb wir sehr viel Wert auf die Pflege unserer Homepage legen, auf der viele Lernmodule und Selbsttests abgerufen werden können.
Auch fehlt es insgesamt in Deutschland in vielen Unternehmen und in unserer Gesellschaft immer noch an einem mentalen Gründergeist. Viel stärker könnten in Schulen und auch im Elternhaus die Entwicklung und Verfolgung von Produktideen und Geschäftsmodellen unterstützt anstatt als „spinnert“ abgetan werden.

Bitte beschreiben Sie eine Maßnahme, wie Sie Gründungen in Ihrer Region unterstützen?

Ein Standbein unserer Unterstützung von Gründungen ist es, wie bereits erwähnt, die Präsentationskompetenz von Gründenden zu stärken. Dabei geht es nicht nur um verbale Vorstellungen der Geschäftsidee. In unserem Vitrinen-Projekt unterstützen wir daher Neugründende bei der schwierigen Phase des Markteintritts. Sie bekommen die Chance, ihre Gründungsidee mit einem professionell ausgearbeiteten Konzept für ca. 3 bis 6 Monate in den Vitrinen zu präsentieren. Die Vitrinen stehen verteilt im Kreisgebiet an Stellen mit hohem Publikumsverkehr (Krankenhäuser, Banken, Einkaufszentren). Dies hilft, den Bekanntheitsgrad und die Gewinnung von Neukunden zu steigern. Es handelt sich bei den Präsentationen um kleine anschauliche Modelle, die zum einen Passanten und Passantinnen visuell ansprechen und neugierig machen, zum anderen aber ohne Worte das Geschäftsmodell erklären.

Inwieweit hat Ihnen der Einsatz des Gründerökosystem-Canvas bei der Entwicklung von Maßnahmen weiter geholfen?

Der Gründerökosystem-Canvas hilft, die bestehenden Zusammenhänge eines Gründerökosystems transparent zu machen. Fakten, um die man weiß, werden sichtbar. Der Überblick über das Gründerökosystem stößt somit wiederum neue Denkrichtungen an.
Da wir das Canvas-Poster zusammen mit der an der Universität angegliederte Einrichtung Mafex (Marburger Institut für Innovationsforschung und Existenzgründungsförderung, Anm. d. Red.) befüllt haben, wurde zum Beispiel deutlich, wie verschieden die jeweiligen Sichtweisen der beiden Einrichtung auf eine Region sind.

Herr Hüttemann, Frau Schmidt, vielen Dank für das Interview!

Nachfolgend das ausgefüllte Canvas für den Landkreis Marburg-Biedenkopf zum Anklicken.

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