Am späten Abend gemeinsam mit dem Filmteam von forStory von Schwerin aus angekommen empfängt mich Lüneburg mit seiner zauberhaften mittelalterlichen Atmosphäre. Die Ilmenau führt viel Wasser – zum Glück hat es nach einem weiteren trockenen Sommer nun endlich viel geregnet. Das Hotel liegt direkt am Fluss und nah an der Innenstadt. Ich durchstreife die kleinen Gassen und stehe unerwartet vor dem Drehort für unsere RKW-Videoreihe „Gründen in Deiner Region“ am nächsten Tag.
Über unsere Partner in der Region
Am nächsten Morgen kenne ich den Weg zu dem mittelalterlichen Gebäude der Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg bereits und freue mich, Wiebke Wenzel kennen zu lernen. Sie kümmert sich um das Gründerfenster, einen Wettbewerb für junge Unternehmen in den ersten drei Jahren, und sie betreut mit viel Engagement „Gründergold“, ein großes Gründungsnetzwerk in Nordostniedersachsen mit sehr vielen Partnern. Gründergold ist eine Initiative der IHK Lüneburg-Wolfsburg und der Leuphana Universität Lüneburg. Die Website der Initiative richtet sich konsequent an Gründer*innen: Viele Termine, Veranstaltungsangebote und Gründerstorys seien nur exemplarisch genannt – es lohnt sich, hier vorbeizuschauen. Einige der Akteure und Unterstützer von Gründergold werden wir heute in den Interviews kennenlernen. Außerdem werden uns drei Gründer*innen ihre Geschichten erzählen. Die Phase der tatsächlichen Gründung ist heute unser Thema, also der Moment, ab dem es ernst wird und man seine Gründungsidee umsetzt und hoffentlich zum Fliegen bringt.
Beim Drehtermin
Zwei der Gründerinnen vor der Kamera sind Social Entrepreneurs. Sie sind überzeugt: Ein Geschäftsmodell sollte mehr umfassen als Gewinn zu generieren. Eine dieser beiden Social Entrepreneurs war lange als Angestellte in der Modebranche tätig. Bis sie ihre Mitwirkung an intransparenten Lieferketten, schlechten Arbeitsbedingungen in den Textilproduktionsländern und den katastrophalen Umweltfolgen unseres Konsumverhaltens nicht länger verantworten wollte. Es besser zu machen, war ihr Antrieb ein nachhaltiges Modelabel für Frauen in der Lüneburger Innenstadt zu etablieren. Sie beschäftigt in der eigenen Produktion Frauen mit Fluchthintergrund. Das Startkapital (und auch ein wertvolles Netzwerk) erhielt sie über das Crowdfunding von „Heidecrowd“ bei dem jährlich stattfindenden „Wintermarkt“ der Gründergold-Initiative. So glatt wie es sich anhört, läuft es aber nicht immer für die Gründerin. Frauen fiele es manchmal schwer, ruhig zu bleiben, Vertrauen zu haben auch dann, wenn man am Anfang nicht ganz sicher weiß, ob der Umsatz reicht, um die laufenden Kosten zu decken. Dies verbindet sie mit der zweiten Gründerin, ebenfalls Sozialunternehmerin, die einen Onlineshop für nachhaltige Kindermode aus ökologischen Materialien betreibt. Mit unternehmerischen Mitteln gesellschaftliche Probleme zu lösen – das ist ihre persönliche Leidenschaft und ihr unternehmerischer Antrieb. Konsequent vertreibt sie ihre Kleidungsstücke der vergangenen Saison unter dem Motto „RESCUE“. Beide Gründerinnen waren sehr interessiert an der RKW-Videoreihe „Social Entrepreneurship – Behind the Scenes“.
Der dritte Gründer hat gerade ein Tech-Startup gegründet, eine von Schüler*innen mitgestaltete Plattform, die zwischen diesen und ihren potentiellen Ausbildungsbetrieben anonym Profile vermittelt. Er möchte damit das Problem angehen, dass Betriebe auf der einen Seite zu wenige Azubis finden und Schulabgänger*innen viel zu häufig nicht wissen, was sie beruflich machen möchten. Von Lüneburg aus möchte er sein Startup in den norddeutschen Raum hinein entwickeln. Entwickler für diese Plattform zu finden ist dabei eine große Herausforderung.Einen Einblick in die vielfältigen Unterstützungsstrukturen von Gründergold erhalten wir bei den Interviews mit einigen Partnern der Initiative – es geht um Finanzierung, Beratung für Frauengründungen und um die Idee der gemeinschaftlichen Initiative Gründergold.
Die Repräsentantin eines öffentlich-rechtlichen Finanzinstituts konstatiert: „Wir investieren in Menschen“. Einer Finanzierung geht immer eine Beratung voraus, gefolgt von einer Bewertung des Geschäftskonzepts. Dieses ist aber nur die eine Seite der Medaille, die andere Seite ist die Unternehmerpersönlichkeit. Wenn beides stimmig zueinander passt, macht das die Finanzierung leichter. Bei der Gründungsfinanzierung spielt die öffentliche Förderung eine enorm große Rolle, beispielsweise der bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau angesiedelte ERP-Gründerkredit – StartGeld oder auch ERP-Kapital. Auch die Landesinstitute bieten Gründerkredite und Beteiligungskapital an. Aktuell nimmt die erfahrene Finanzberaterin wahr, dass Gründer*innen besser informiert in Bankgespräche gehen als früher. Und dass Männer häufiger im Team gründen möchten, Frauen hingegen ihr „eigenes Ding“ suchen.
Damit die Gründungsquote von Frauen steigt, erläutert die Beraterin von EXISTA (aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und des Landes Niedersachsen gefördert), dass individuelle Beratung sich lohnt. Frauen, die eine Geschäftsidee aus der Elternzeit heraus umsetzen, eine „kleine“ Selbständigkeit ausprobieren möchten oder im Nebenerwerb gründen haben häufig gute Gründe, die klassischen Gründungsthemen parallel zu ihrer Verantwortung für die Familie zu bearbeiten. So entstehen tragfähige Konzepte. Die Beratungserfahrung zeigt: Frauen haben starke innere Überzeugungen, ihnen liegt an Selbstverwirklichung und sie brauchen starke Vorbilder möglicherweise mehr als Männer.
Allen den Vortritt gelassen – als letzte Protagonistin des Tages vor der Kamera sprüht Wiebke Wenzel vor Energie, während sie über die Lüneburger Gründerszene und Gründergold erzählt. Mit Gründergold wurde eine ganz neue Marke geschaffen, die es allen beteiligten Institutionen leicht macht, die gemeinsame Arbeit für die Gründer*innen im Fokus zu behalten. Die IHK-Lüneburg-Wolfsburg betreut rund 65.000 Unternehmen und für Gründer*innen bringt sie viele Angebote wie Veranstaltungen, kostenfreie Sprechtage, eine Konzeptberatung zum Businessplan und vieles mehr in die Initiative ein. Wiebke Wenzel ist überzeugt, dass sowohl die Gründer*innen profitieren, als auch die IHK. Gründergold hat mit seinem modernen Erscheinungsbild eine positive Wirkung auf alle, die mitmachen. Ein modernes Image, gerade bei jüngeren Unternehmergenerationen, tut auch ihrer Industrie- und Handelskammer gut.
Gründerspots
Nach den Interviews wird das Set abgebaut, alle Kabel, Lichtanlagen und die vielen, vielen Utensilien in den grauen Kisten verstaut, bevor wir den zentral in der Lüneburger Innenstadt gelegenen FREIRAUM besuchen, ein flexibler Ort, der als Bürogemeinschaft, Coworking Space, Seminarzentrum und Veranstaltungsraum dient. Und wir dürfen bei unserer Interviewpartnerin vom Vormittag vorbeischauen und in ihrem Modeatelier Schnittbilder für das Lüneburger Video drehen.
Unterwegs
Für mich geht es nach drei Tagen Drehterminen heute zurück nach Frankfurt am Main, forStory fährt im bis unters Dach beladenen Erdgas-Auto nach München zurück. Im Zug lasse ich den heutigen Tag nochmals an mir vorbeiziehen: Inspirierende Gespräche und engagierte Gründer*innen – wir hatten fünf Frauen vor der Kamera und nur einen Mann! Muss ich mir Sorgen machen um das Geschlechterverhältnis in unserer Videoreihe?
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