Zuerst ist wichtig klarzustellen, dass es in einer Krise solchen gewaltigen Ausmaßes wie die, die wir aktuell durchleben, keine „richtigen“ Gewinnerinnen und Gewinner geben kann. Dafür sind die enormen, an erster Stelle gesundheitlichen, aber auch gesamtwirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Krise viel zu gravierend. So schwer, wie dies angesichts der aktuellen Lage erscheinen mag, in jeder Krise steckt letztendlich eine Chance, sich neu zu erfinden und neue Perspektiven zu entdecken. Diese Weisheit bewahrheitet sich momentan in der deutschen Gründungsszene.
Eines ist sicher: Junge Unternehmen (Gründende oder Start-ups), aber auch Selbstständige und Freiberufler, sind stärker als etablierte Unternehmen von der Krise betroffen. Der Grund: Nicht nur die (gewonnene oder potentielle) Kundschaft bricht weg, sondern auch Investierende ziehen sich aus geplanten Investments zurück.
Laut der Ergebnisse einer Studie des Bundesverbandes Deutsche Startups e. V. sind neun von zehn Startups in Deutschland negativ von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise betroffen, über 70 Prozent sogar von Insolvenz bedroht. Im Vergleich dazu rechnet der DIHK damit, dass sich ca. 10 Prozent der Mittelständler in einer solchen Notlage befinden. Als Beispiel dazu hat das oftmals gefeierte Start-up Tausendkind aus Berlin bereits Insolvenz beantragt. Damit läuft die Corona-Krise Gefahr, die vor kurzem vermeldeten Fortschritte in der deutschen Gründungsszene auf das Spiel zu setzen: die gestiegene internationale Anerkennung, der über Jahre gewachsene Anteil an Chancengründungen, die höchste Summe an Start-up-Investments und der lang erwartete Anstieg der Gründungszahlen seit fünf Jahren laut der Vorabauswertung des aktuellen KfW-Gründungsmonitors. Die beiden letztgenannten Fortschritte wurden im Jahr 2019 erreicht.
Während einige Gründende und Start-ups um das reine Überleben kämpfen, feilen andere an ihrem Geschäftsmodell, ändern dieses komplett oder erweitern ihre Produktpalette um (oft) digitale Angebote. Wir schildern im Folgenden exemplarische Anpassungsstrategien der deutschen Gründungsszene auf die Corona-Krise.
Die Krisen-Betroffenen
Schwierigkeiten und Sorgen bereitet die Krise vor allem den Reise-, Tourismus- und Verkehrs-Start-ups sowie denjenigen, die in Abhängigkeit von den Betrieben der Gastronomie stehen, die derzeit hohe Umsatzeinbußen bis hin zum kompletten Ausfall des Geschäfts einstecken müssen. Zu den Verlierern der Krise gehören unter anderem Flixbus und Getyourguide, die in den letzten Monaten große Finanzierungsrunden abgeschlossen hatten.
Auch weitere Firmen in den genannten Geschäftsfeldern, wie Europas führende Reiseplattform für die Buchung von Bahn, Bus und Flug (Omnio) oder das Business Travel Tool für Geschäftsreisen (Comtravo), aber auch das Gastro-Startup Lunchnow, das Berufstätige per App an den Mittagstisch bringen sollte, sind stark betroffen.
Um dem Shutdown in den Einzelhandel-, Gastronomie- und Dienstleistungsbetrieben entgegenzutreten, sind zahlreiche Online-Plattformen entstanden (kiezware.de, lokalos,einzelheld oder lozuka, in Siegen #57zusammenhalt mit der Unterstützung der Siegener Zeitung u. a.), in denen sich die lokale Anbietende zusammentun und ihre Produkte beziehungsweise Leistungen gemeinsam anbieten. Darüber hinaus kann man über weitere Online-Plattformen (supportyourlocal, stammi.de, in Berlin Helfen.berlin) mit dem Erwerb von Gutscheinen zum Erhalt der lokalen Gastronomie- und Handelsbetriebe finanziell beitragen.
Die Krisen-Strategen
Als typisches Beispiel für Umdenken und Neuorientierung in dieser Krisenzeit, geprägt von Kontakt- und Ausgangssperren, sind manche Start-ups der Gastronomie und des Einzelhandels zu nennen, die den Vertrieb teilweise oder komplett auf Lieferdienste umgestellt haben.
So beispielsweise die Lekkerei, die sich auf Großveranstaltungen spezialisiert hatte. Stattdessen werden nun Einzelportionen zubereitet, die entweder warm geliefert oder zu Hause aufgewärmt werden können. Zusätzlich können die Kundinnen und Kunden regionale Erzeugnisse über eine neue Webseite und App online bestellen. Andere Firmen gehen einen Schritt weiter und ändern ihr Geschäftsmodell grundlegend wie beim Frankfurter Gastronomiebetrieb Fletschers Betterburger, der ab jetzt nur noch veganes Essen anbietet. Andere verlagern ihr Geschäftsmodell gänzlich auf Online-Bestellungen.
Weitere innovative Ideen sind die von dem Messebau-Unternehmen Fair Care! aus Frankfurt, das sich jetzt mit der Herstellung von Plexiglas-Schutzwänden beschäftigt oder von dem Gin-Hersteller Wanderer Gin, der Desinfektionsmittel produziert.
Die Krisen-Begünstigten
Wachstumschancen für Gründungen und Start-ups sind, abgesehen von der digitalen Wirtschaft in ihren vielfältigen Anwendungsbereichen (Software, E-Commerce, Online-Entertainment, -Fitness und -Gaming sowie E-Sports und Social Media Apps) in einigen nahgelegenen Teilbereichen, wie in der FinTech Branche, aber auch in der Healthcare-, Biotech- und Telemedizinbranche zu beobachten.
Bargeldloses Zahlen setzt sich in rascher Geschwindigkeit durch, so dass Anbieter von Online Payment-Systemen und Online Kreditplattformen (Ripple, Klarna, Stripe, Ant Financial oder Wirecard) davon profitieren. Wie bei den nun entstandenen Online-Plattformen für lokale Shops sind soziale und kooperative Geschäftsmodelle stärker nachgefragt denn je. In diesem Sinne gewinnen Crowdfunding-Modelle an Bedeutung. An dieser Stelle leistet zum Beispiel betterplace.org Notfallhilfe durch Spenden, während Startnext über einen Hilfsfond Soforthilfe für Corona-Ausfälle bei Gründenden und Kreativen bereitstellt.
Wichtige Entwicklungen gibt es auch im Gesundheitsbereich zu berichten. Als neue Healthcare-Lösung hat Kinderheldin eine App programmiert, die Online-Beratungen rund um die Themen Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Kind umfasst und in der Corona-Zeit Schwangere unterstützen soll. In dieser besonderen Zeit, in der es vor allem darum geht, die Gesundheit der Bevölkerung zu sichern, sind Start-ups der Pharma- und Biotechnologie wichtige Hoffnungsträger. In Deutschland bemühen sich die langjährigen Biotech-Einhörner CureVac und BioNTech darum, einen Coronavirus-Impfstoff möglichst schnell auf den Markt zu bringen.
Mittelfristig ist zu erwarten, dass nach der Corona-Krise grüne Start-ups, darunter das neue Start-up Planetly, mit seiner Software zur Berechnung des CO2-Fußabdrucks, (wieder) in den Mittelpunkt rücken. Der Grund ist leicht erklärbar: Die Pandemie ist letztlich auf die Folgen des menschlichen Verhaltens gegenüber dem Planeten und den Tieren zurückzuführen.
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