Prof. Manuela Weller ist seit März 2012 als Professorin für Mittelstand & Entrepreneurship an der TH Mittelhessen tätig und leitet dort den gleichnamigen Schwerpunkt.
Frau Weller, welche Rolle spielen Hochschulen, oder speziell Ihre Hochschule, bei der Motivation und Ausbildung von Gründungsinteressierten?
Hochschulen sind für mich Ideenschmieden und spielen deshalb eine wichtige Rolle bei der Förderung von Gründungsaktivitäten. Wir können den Studierenden durch die Nutzung der Hochschulinfrastrukturen, z.B. dem Makerspace, ein innovatives Umfeld zur Verfügung stellen, das ideal für die Entwicklung von Gründungsideen ist.
Wie tragen Sie dazu bei, das Gründungsgeschehen zu beleben?
In meinem Schwerpunkt Mittelstand & Entrepreneurship ist die Gründungsthematik fest verankert. Das Modul „Entrepreneurship“ ist so konzipiert, dass die Studierenden ins „machen“ kommen. Nach kurzen theoretischen Inputs entwickeln die Studierenden entlang des Design-Thinking-Prozesses eigene Geschäftsideen, die sie am Ende des Semesters vor einer Jury – oftmals mit Gründenden aus der Region besetzt - pitchen müssen. Durch dieses Action-Based-Learning-Konzept müssen die Teilnehmenden ihre Komfortzonen verlassen und sie erleben sich in der Situation einer Gründerin oder eines Gründers. Zudem biete ich im Sommersemester das Wahlpflichtmodul „Social Entrepreneurship“ an.
Welche Ansatzpunkte sind am sinnvollsten, um das regionale Gründungsgeschehen zu beleben?
Für mich gibt’s nur eine Antwort – Netzwerk, Netzwerk, Netzwerk! Nur durch die Vernetzung der zentralen Akteure aus der Region kann das unternehmerische Ökosystem erfolgreich sein. Daneben kommt dem Thema „Sichtbarkeit“ und „Kommunikation“ eine bedeutsame Rolle zu, nach dem Motto „Tue Gutes und rede darüber“ – das heißt regelmäßige Berichte über beispielsweise die einzelnen Gründungsaktivitäten, Best-Practice-Beispiele und Vorstellung aller Gründungsunternehmen aus der Region. Meiner Meinung nach liegt der Fokus oftmals zu stark auf den sog. „Einhörnern“, also jenen rasant wachsenden Startups. Es gibt auch viele interessante und sehr erfolgreiche „Zebras“, das sind Unternehmen, deren Geschäftsmodell Aspekte wie Nachhaltigkeit und Gemeinwohl berücksichtigt. Gründung ist vielfältig!
Was macht Ihre Region als Gründungsstandort einzigartig? Inwiefern hat die Pandemie das Gründungsgeschehen in Ihrer Region beeinflusst?
Die Region Mittelhessen besitzt ein großes Potenzial als Gründungsstandort – alleine schon durch die überdurchschnittliche Dichte an Hochschuleinrichtungen mit mehr als 70.000 Studierenden. Den Gründenden steht eine Vielzahl an Unterstützungsangeboten zur Verfügung. Die Sichtbarkeit der Aktivitäten hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert und zeigt auch über die Grenzen von Mittelhessen Wirkung.
Die Frage, wie stark die Pandemie Einfluss auf die bisherigen Gründungsaktivitäten hatte, lässt sich schwierig beantworten. Ich habe in meinem eigenen Umfeld erlebt, dass Menschen die Zeit der Lockdowns genutzt haben, ihren Traum, sich selbständig zu machen ganz gezielt vorangetrieben und umgesetzt haben. Gleichzeitig stellten einige Gründende ihre Aktivitäten ein. Der Großteil gab dabei an, dass sie die wirtschaftliche Situation als bedrohlich empfinden und die finanziellen Mittel für eine längere Überbrückungsphase nicht vorhanden wären. Ich denke wir werden in den nächsten Monaten – ähnlich wie bei vorherigen Krisen – eine Vielzahl an Notgründungen erleben.
Was muss zukünftig passieren, damit die Gründungsquoten in Deutschland steigen?
Das ist eine gute Frage, die gar nicht leicht zu beantworten ist. Generell steht man in Deutschland dem Thema Selbständigkeit sehr verhalten gegenüber. Oftmals wird dies damit begründet, dass in der deutschen Gesellschaft die Angst vor dem Scheitern sehr ausgeprägt ist. Das ist in anderen Ländern deutlich anders wahrzunehmen und ich meine jetzt nicht die USA, die als Gründerland schlechthin gilt. Auch in Ländern wie Bulgarien, England oder der Schweiz ist das Bild des Unternehmers bzw. der Unternehmerin positiv konnotiert.
Aus meiner Sicht müsste man bereits in den Schulen die Gründungsthematik in den Lehrplan fest verankern. Wenn es dann noch gelingt klein und mittelständische UnternehmerInnen, wie auch GründerInnen als Kooperationspartner zu gewinnen, die über ihr Arbeitsfeld berichten, wäre sicherlich bei dem ein oder anderen Schüler das Interesse geweckt, sich einmal unternehmerisch auszuprobieren.
Zudem möchte ich darauf hinweisen, dass unternehmerische Fähigkeiten für alle Beschäftigten zunehmend wichtiger werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von den Intrapreneurs.
Vielen Dank für Ihre Einblicke!
- © loveguli; Aleksandr Kharitonov / Manuela Weller, TH Mittelhessen / iStock.com – Artikelbild (Gießen_Artikelbild.jpg)