Panta rhei – alles fließt und nichts bleibt, wie es war, stellte Heraklit fest. Wer sich umschaut, könnte sagen, dass die Fließgeschwindigkeit deutlich zunimmt. Wir können den Veränderungen buchstäblich zuschauen: staunend, orientierungslos, manchmal vielleicht ängstlich und dann wieder staunend. Ein gewaltiger Treiber des Wandels ist die KI – und niemand kann verlässlich sagen, wie unsere Welt mit der KI in 10 bis 15 Jahren aussehen wird.
Auch wenn eine sogenannte starke KI, die eigenständig komplexe Aufgaben ausführt, die menschliche Intelligenz erfordern, noch Zukunftsmusik ist, leistet die (schwache) KI heute bereits Übermenschliches. Damit ist gemeint, dass die KI Ergebnisse erzielt, die Menschen nicht oder nur unter sehr hohem (zeitlichem) Aufwand bewerkstelligen könnten.
Ist das nun das Ende menschlicher Arbeit? Sicherlich nicht. Nach heutigem Erkenntnisstand lassen sich künstliche und menschliche Intelligenz kombinieren beziehungsweise zunehmend ergänzen. Damit ist gemeint, dass Mensch und Maschine jeweils noch eigene „Spezialgebiete“ haben. So liegt die große Chance der künftig möglichen Arbeitsteilung darin, dass die KI Aufgaben übernimmt, bei denen der Mensch Schwierigkeiten hat oder diese nur unter hohem Aufwand erledigen kann. Umgekehrt übernimmt der Mensch die Aufgaben, bei denen die KI an Grenzen stößt.
Mehr Wissen und Übungen zum Ausbau und zur Reaktivierung menschlicher Fähigkeiten bieten unsere „Kompetenzen der Zukunft“ sowie der Podcast „KI vs. Empathie – wie bereiten wir uns auf den Wandel vor?“
Heimspiel künstliche Intelligenz
Künstliche Intelligenz ist bisher spezialisiert auf das selbstständige Lernen, Erkennen und Analysieren von Mustern und Wechselbeziehungen in großen Datenmengen. In der Geschwindigkeit, wie sie das kann, übertrifft sie menschliche Fähigkeiten. Damit wird sie in vielen Berufen Routine- und personalintensive Aufgaben übernehmen können. Dafür ist KI aber auf klar definierte Fragestellungen und Parameter in einem stabilen Umfeld sowie auf quantitativ und qualitativ passende Daten angewiesen. Verändern sich die Aufgaben, das Anwendungsgebiet, der Kontext, die Datenverfügbarkeit oder andere Faktoren, können die Ergebnisse zwar weiterhin korrekt berechnet sein, jedoch keinen Sinn mehr ergeben
Heimspiel menschliche Intelligenz und Empathie
Beim Erkennen, Zuordnen, Vergleichen oder dem Optimieren und Prognostizieren hat die KI die Menschen bereits überholt. Dies gilt aber nur für lineare Anwendungen. Aufgaben und Anwendungsgebiete mit hohem Komplexitätsgrad, also ohne erkennbare Wenn-dann-Kausalitäten, können (noch) nicht sinnvoll durch die KI bearbeitet werden. Die Coronapandemie, ein Kindergeburtstag, ein Changeprojekt oder die Erarbeitung einer neuen Unternehmensvision lassen sich durch die KI nicht in Gänze verstehen, bearbeiten, lösen oder erstellen. Gleiches gilt für Aufgaben, die auf ein gewisses Maß an menschlicher Interaktion, „um die Ecke denken“, Abwägen und Kreativität (jenseits von Optimierung und Rekombination) angewiesen sind. Für all diese Aufgaben kommt es auf das vernetzte Denken und das Kontextverständnis von Menschen an. Ebenso sind Intuition, Empathie, Moral und zwischenmenschliche Verbundenheit die Stärken der Menschen.
Idealszenario
Die Maschine nimmt uns die komplizierten, berechenbaren (und oft langweiligen) Routineaufgaben entweder komplett ab oder liefert die passende Zuarbeit für weitere Arbeitsschritte und Entscheidungen. Dadurch wird der Fachkräftemangel gelindert und Menschen werden von repetitiven Tätigkeiten entlastet. Sie können sich dadurch den Aufgaben zuwenden, die auf Kreativität, Empathie, Kontextualisierung in volatilem Umfeld sowie auf zwischenmenschliche Interaktion angewiesen sind. Die Trennung von Kopf, Hand und Herz – wie sie die Arbeit der letzten 100 Jahre vorantrieb – kann so rückgängig gemacht oder verringert werden. Menschen können im Idealfall mehr schöpferisch und nach persönlichen Neigungen wirken. Sie können ihr Potenzial entfalten und zur Verfügung stellen.
Realszenario
Durch den Einsatz der KI kann es zur Abmilderung des Fachkräftemangels und gleichzeitig zu Entlassungen kommen. In manchen Bereichen und Berufen kann es auch zu einer digitalen Re-Taylorisierung der Arbeitswelt führen, bei der der Mensch sich an den digital erstellten Standards ausrichten muss. Dies wird jedoch weniger auf mittelständische Unternehmen zutreffen. Für die meisten Mittelständler sind Entlassungen und Überwachung keine Optionen. Daher lohnt es sich eher, auf die Potenziale des Idealszenarios – im Sinne einer möglichen Orientierung – zu schauen.
Aber auch dann zeigen sich spezielle Herausforderungen. Es stellt sich die Frage, ob die Menschen wirklich dazu bereit sind, schöpferisch, ganzheitlich und empathisch zusammenzuarbeiten. Das Zusammenspiel von menschlicher und künstlicher Intelligenz ist auf Menschen angewiesen, die einen Zugang zu schöpferischer und kreativer Arbeit, zu ihrer Intuition und ihrer Empathie haben. Jedoch sind diese „weichen Fähigkeiten“ oft nicht in dieser Intensität benötigt und gefördert worden.
Ausblick oder To-do-Liste
Da die skizzierte Arbeitsteilung kein Selbstläufer sein wird, ist es sinnvoll, bereits heute in die Menschen beziehungsweise in die Entwicklung ihrer Fähigkeiten zu investieren. So können die vorhandenen Chancen und Potenziale, die sich aus dem Zusammenspiel von Mensch und Maschine ergeben, optimal genutzt werden. Dazu kann die Schulung der Intuition, das Ausgraben der (oft verborgenen) kreativen Potenziale, der Aufbau von Kooperationsfähigkeiten dienen, ebenso der Umgang mit Unsicherheit, Ambiguität und Emotionen.
Neben der Persönlichkeits- und Personalentwicklung braucht es zudem auch ein förderliches Umfeld für diese Arbeit. Es werden zunehmend Werkstätten, Büros, Heimarbeitsplätze oder Fabriken benötigt, die den Austausch und die Kreativität fördern sowie Ruhe und Erholung ermöglichen.
Fazit
Die KI birgt – neben allen berechtigten Sorgen – viele Potenziale. Gerade für Unternehmen, die komplexe Leistungen erbringen, wird die skizzierte Arbeitsteilung von künstlicher und menschlicher Intelligenz attraktiv sein und spannende Chancen bereithalten. Dafür bedarf es des klugen Einsatzes beider Intelligenzen. Grob gesprochen übernimmt die KI Aufgaben mit niedrigem bis mittlerem Komplexitätsgrad in stabilen Kontexten und die Menschen widmen sich Aufgaben mit hoher Komplexität in volatilen und unsicheren Umfeldern. Damit Letzteres gelingt, ist bereits heute die Förderung und Ermutigung der Menschen notwendig, sich diese Skills wieder zu erschließen und es braucht zudem unterstützende Arbeitsumgebungen.
Dieser Artikel wurde zuerst im RKW Magazin "(R)evolution!?" mit dem Schwerpunkt: "Künstliche Intelligenz" veröffentlicht. Dort haben Sie auch die Möglichkeit unser Magazin zu abonnieren. Alle Magazine finden Sie unter: https://www.rkw-kompetenzzentrum.de/das-rkw/rkw-magazin
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