Der Philosoph, Psychotherapeut und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick sagte einmal, „Man kann nicht nicht kommunizieren“ und meinte damit, dass Kommunikation mehr beinhaltet als nur das gesprochene Wort. Körpersprache und -haltung, Lachen, Seufzen, aber auch Schweigen sind Mittel der Kommunikation. Doch wie verändert sich Kommunikation, wenn man sich nicht mehr live und in Farbe gegenübersteht, sondern nur noch per Chat und virtueller Konferenz arbeitet?


Wir haben mit Prof. Dr. Sabine Remdisch, Leiterin des Instituts für Performance Management an der Leuphana Universität in Lüneburg, über dieses Thema gesprochen. Noch mehr zum Thema und praktische Werkzeuge finden Sie in unserer Handlungshilfe Homeoffice und mobiles Arbeiten bewusst gestalten.

Frau Professor Remdisch, wenn wir „nicht nicht kommunizieren können“, inwieweit gehen uns dann bei einer virtuellen Kommunikation Informationen verloren?

Trotz ausgefeilter Technik haben wir bei der virtuellen Kommunikation in der Tat Informationsverluste zu verzeichnen – allen voran solche, die in persönlichen Interaktionen vorhanden sind. Die direkte physische Präsenz und Energie der Gesprächsteilnehmenden kann in virtuellen Umgebungen einfach nicht vollständig übertragen werden. Wir haben also in der digitalen Kommunikation eine Reduktion der Informationskanäle. Hinzu kommen technische Einschränkungen wie beispielsweise schlechte Audio- oder Videoqualität oder Verzögerungen in der Übertragung, wodurch Informationen verzerrt oder unvollständig übermittelt werden. Daher gilt für die virtuelle Kommunikation: Es braucht ein Mehr an Aufmerksamkeit und Anpassung, um sicherzustellen, dass sie in diesen Umgebungen effektiv bleibt. Eine Möglichkeit zur Vermeidung von Informationsverlusten ist, auf den strukturierten und strukturierenden Austausch und zudem auf die erfolgreiche Übermittlung von Informationen zu achten, also das jeweils passende Medium einzusetzen. Zu den strukturgebenden Elementen zählen beispielsweise feste und verbindliche Kommunikationszeiten, Agenden und Ergebnisdokumentationen. Ob die Informationsvermittlung erfolgreich war, lässt sich über Rückfragen und die Motivation zur Nachfrage prüfen.

Was müssen Führungskräfte in der virtuellen Kommunikation anders machen, damit ihr Team zufrieden und produktiv ist und bleibt?

Egal wie räumlich nah oder fern – Führung ist immer soziale Interaktion. Die besondere Herausforderung einer Führung auf Distanz besteht darin, diese ins Digitale zu übersetzen und den Mitarbeitenden trotz der Ferne nah zu sein. In meinem Zweitarbeitssitz, dem Silicon Valley, heißt diese Zauberformel: „Being there when you are not there“, also präsent zu sein, auch wenn du nicht vor Ort bist.

Wichtig ist es, als Führungskraft ansprechbar und erreichbar zu sein und regelmäßige und effektive Kommunikation zu pflegen – zum Beispiel in Form regelmäßiger virtueller Meetings und Updates, um den Informationsfluss aufrechtzuerhalten. Dazu braucht es geeignete Kommunikationstools und -plattformen, und Teammitglieder müssen aktiv einbezogen werden. Alle brauchen Zugang zu den für sie wichtigen Informationen und es muss eine offene Kommunikationskultur herrschen, in der Mitarbeitende ermutigt werden, ihre Meinungen und Ideen einzubringen. Wichtig sind zudem die Aspekte Beziehungen und Teamgeist. Gestärkt wird beides durch virtuelle Teambuilding-Aktivitäten oder informelle Gespräche, durch Feedback, Anerkennung und Wertschätzung für die Leistungen und Bemühungen der Mitarbeitenden. Erfolge können auf virtuellen Plattformen geteilt werden. Und nicht zuletzt braucht es Klarheit und Transparenz, das heißt, die Kommunikation muss präzise und offen sein, Anweisungen müssen alle relevanten Informationen teilen, es bedarf eindeutiger Definitionen der Rollen und Zuweisungen der Aufgaben.

Geht „Führung digital“ generell anders? Und wenn ja, wie?

Die zentrale Variable bei der Führung auf Distanz oder in hybriden Strukturen ist Vertrauen. Eine Vertrauenskultur auf Distanz verzichtet beispielsweise auf kleinschrittige Kontrollen und führt stattdessen ergebnisorientiert. Sie behält die Beziehungsqualität im Blick und reagiert bereits auf schwache Signale wie etwa die plötzlich nachlassende Kommunikationsintensität einer oder eines Mitarbeitenden. Auch das feine Ohr für Zwischentöne und regelmäßige Feedbacks gehören dazu. Führungskräfte sollten offen für flexible Arbeitsmodelle sein und die individuellen Bedürfnisse ihrer Teammitglieder berücksichtigen.

Führungskräfte brauchen außerdem ein grundlegendes Verständnis für die Technologien, die in ihrem digitalen Arbeitsumfeld verwendet werden. Dies ermöglicht es ihnen, die Tools und Plattformen effektiv zu nutzen und Probleme zu lösen, die im Zusammenhang mit digitalen Arbeitsabläufen auftreten können. Wie welches Medium funktioniert und transportiert, kann seit einiger Zeit in unserem LeadershipGarage Lab praktisch erprobt werden. Ziel dieses Labs ist es, Führungskräfte unter wissenschaftlicher Leitung mit den für sie relevanten Tools der digitalen Arbeitswelt zusammenzubringen. Zu solchen Anwendungen zählen Telepräsenz-Roboter, interaktive Whiteboards, Webkonferenzsysteme oder auch Datenbrillen für Mixed-Reality-Szenarien. Hinzu kommen Lösungen Künstlicher Intelligenz für die künftig immer relevanter werdenden datengestützten Führungsentscheidungen.

Die „digitale Führungskraft“ hat drei Rollen zu erfüllen: Sie muss erstens ein guter Netzwerker sein – und ihr Platz im Netzwerk ist mittendrin, denn genau hier ist Einfluss möglich. Zweitens beherrscht sie Storytelling. Über die Distanz ist es wichtig, Mitarbeitende auch emotional zu erreichen. Das gelingt über sinnstiftende Geschichten, durch die Teammitglieder erfahren, dass sie Teil des Unternehmens sind. Sie erleben die Sinnhaftigkeit dessen, was sie tun, und hören Geschichten, die sie ihren Kunden erzählen können. Und drittens ist die Führungskraft heutzutage vor allem Coach, was bedeutet: Sie befähigt ihr Team, erfolgreich zu sein, gibt Rückmeldung, hilft bei der Karriereplanung, steht in direktem Kontakt und ist Vertrauensperson.

Ich habe den Eindruck, dass der Ton in der digitalen Kommunikation, also via Chat, E-Mail oder auch auf den Social-Media-Kanälen, rauer geworden ist. Verlieren wir den Menschen auf der anderen Seite aus den Augen?

In unserer Studie „Führen in 3D“ haben wir Führungskräfte in renommierten Unternehmen zu ihren Herausforderungen der Führung auf Distanz befragt. Dabei trat als ein Knackpunkt digitaler Kommunikation zutage: Wie kommuniziere ich, wenn nonverbale Signale nicht mehr oder unzureichend mitgesendet werden können? Wie kompensieren Führungskräfte, dass sie ihrem Team nicht mehr spontan auf die Schulter klopfen können? Im Kern geht es bei alledem um digitale Empathie, also sich auch über Distanz in die Anliegen des Gegenübers einzufühlen. Digitale Empathie bezeichnet die Fähigkeit, Emotionen und Einfühlungsvermögen in virtuellen oder digitalen Interaktionen zu zeigen und zu erleben. Als einen weiteren Pain-Point neben der bereits erwähnten Häufigkeit von Fehlinterpretationen in der digitalen Kommunikation nennen Führungskräfte die ebenfalls nur eingeschränkte Möglichkeit, Mitarbeitende richtig kennen und damit einschätzen zu lernen, mit ihnen gemeinsam Zielvorstellungen zu entwickeln und Commitment zu erzeugen. Dies alles ist auf digitalem Wege deutlich schwieriger als in Präsenz. Und noch einen Fallstrick hält die virtuelle Kommunikation bereit: Dass Mitarbeitende Probleme vor Ort, die von der Führungskraft nicht gesehen werden können, zu lange für sich behalten und erst Kontakt aufnehmen, wenn es eigentlich schon zu spät ist.

Was geht digital, was analog nie ging? Und umgekehrt?

Sich zu begegnen, ohne dafür reisen zu müssen, flexibel arbeiten zu können, Daten und Informationen in Sekundenschnelle auszutauschen – das alles sind Vorzüge digitaler Zusammenarbeit. Und mit den immer stärker auf den Markt drängenden Tools Künstlicher Intelligenz wie beispielsweise ChatGPT nehmen die rein digital gegebenen Möglichkeiten noch einmal um ein Vielfaches zu. In diesen Anwendungen werden schon für einfachste Anfragen Unmengen von Daten abgerufen und auf die wahrscheinlichste aller Antworten hin komprimiert, oder es werden ellenlange Beiträge in Blitzgeschwindigkeit auf einen zuvor definierten Fokus zusammengefasst. Andererseits gibt es die bereits erwähnten Einzigartigkeiten der analogen Kommunikation, die – zumindest bis heute – digital nicht funktionieren. Es kommt einfach darauf an, den richtigen Mix zu finden. Der wird sich, weil technologisch die Uhr in Höchstgeschwindigkeit läuft, immer wieder verändern, denn neue digitale Tools und Möglichkeiten kommen beständig hinzu. Umso mehr kommt es darauf an, stets am Ball zu bleiben, weiterzuforschen und die Ergebnisse schnellstmöglich in praktische Handlungsoptionen zu transformieren.

Vielen Dank für das Interview, Frau Professor Remdisch.

Prof. Dr. Sabine Remdisch ist Universitätsprofessorin für Personal- und Organisationspsychologie und Leiterin des Instituts für Performance Management sowie Gründerin und Leiterin der LeadershipGarage an der Leuphana Universität Lüneburg. remdisch(at)leuphana.de

Dieser Artikel wurde zuerst im RKW Magazin "RKW Magazin: Eine(r) für alle, alle für eine(n) Schwerpunkt: Team und Führung" veröffentlicht. Dort haben Sie auch die Möglichkeit unser Magazin zu abonnieren. Alle Magazine finden Sie unter: https://www.rkw-kompetenzzentrum.de/das-rkw/rkw-magazin