„Digitalisierung und Innovation sind wichtige Themen für den Mittelstand.“ Diese Aussage trifft sicher uneingeschränkt auf fast alle Wirtschaftsbereiche zu. Doch wie genau wirkt sich die voranschreitende Digitalisierung auf den Gesundheitssektor und auf das Gesundheitsmanagement in mittelständischen Betrieben aus? Können digitale und innovative Technologien tatsächlich zur Verbesserung des Gesundheitsschutzes für die Mitarbeitenden in Unternehmen beitragen? Und wie verändern sie Produkte und Geschäftsmodelle im Gesundheitswesen, in der Gesundheitsvorsorge, aber auch im produzierenden Gewerbe und in der Bauwirtschaft?
Im Fachbereich Digitalisierung und Innovation des RKW Kompetenzzentrums beschäftigen wir uns auch mit Disruption, also mit Fragestellungen, wie sich technologischer Fortschritt und innovative Geschäftsmodelle auf die Wirtschaft und den Mittelstand auswirken: Schreibmaschine versus PC, Rollfilme versus Digitalfotografie, Mobiltelefon versus Smartphone – diese Beispiele belegen eindrucksvoll, wie disruptive Technologien Märkte komplett verändern können. Im positiven Sinn durch Innovationen und zukunftsfähige Produkte, aber auch mit „Niederlagen“, denn in allen drei Beispielen haben einige Produzenten der alten Technologie den Wandel nicht geschafft.
Doch bleiben wir beim positiven Fall: Disruptive Technologien können Chancen bieten. Ganze Branchen können sich verändern. Unternehmen können sich neue Kundengruppen erschließen, völlig neue Beiträge zum Kundennutzen leisten und daraus neue Geschäftsmodelle mit disruptivem Potenzial kreieren. In dieser Rolle finden sich im „Normalfall“ entweder Start-ups oder die großen Tech-Konzerne. Auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) können oder müssen manchmal auch „disruptiv“ sein. Sie müssen auf Megatrends, neue Kundenbedürfnisse, Veränderungen ihres geschäftlichen Umfelds und den technologischen Fortschritt reagieren. Die Bauwirtschaft, eine traditionsreiche Branche mit ihren gleichzeitig hohen Anforderungen an die Dauerhaftigkeit und Qualität ihrer Produkte, ist ein gutes Beispiel hierfür. Sie reagiert auf die veränderten Kundenbedürfnisse, die mit dem demografischen Wandel einhergehen, mit der Entwicklung und dem Einsatz digitaler Produkte und Dienstleistungen und schafft so gleichzeitig neue Geschäftsfelder, beispielsweise zur Erhaltung und Förderung der Gesundheit oder eines selbstständig(er)en Lebens im Alter oder mit Handicaps.
Gesund und sicher leben im Smart Home
Ein Smart Home ist im engeren Sinne ein mit intelligenter Gebäudetechnik ausgestattetes Wohngebäude, manchmal auch nur die Wohnung. In Nichtwohngebäuden (Smart Buildings) wie Büros, Hotels oder Krankenhäusern ist intelligente Gebäudetechnik heute ebenfalls stark verbreitet. Ein smartes Haus bietet seinen Bewohnerinnen und Bewohnern einen klaren Nutzen. Sie profitieren von mehr Komfort und Sicherheit und können gleichzeitig Energie sparen. Darüber hinaus ermöglichen alltagsunterstützende Assistenzsysteme (AAL) pflege- und betreuungsbedürftigen Personen ein selbstständiges Leben in der eigenen Wohnung.
Wie können solche alltagsunterstützenden Assistenzsysteme aussehen? Zum Beispiel so: Eine ältere Person lebt in ihren eigenen vier Wänden. Sie ist (gegebenenfalls mit einem Rollator) mobil und versorgt sich zum Großteil selbst. Gesundheitliche Einschränkungen stellen jedoch ein erhöhtes Risiko dar. Hier kann ein ausgeklügeltes System von Sensoren, technischen Geräten und Dienstleistungen die Person dabei unterstützen, den Alltag bestmöglich weiterhin selbstständig zu meistern. Die Sensoren erkennen beispielsweise, wenn die Person vergessen hat, den Herd abzuschalten. Der Boden registriert, wenn die Person gestürzt ist. Das System alarmiert dann zunächst Bekannte oder Verwandte, die in der Nähe wohnen, oder es wird automatisch ein Hausnotruf abgesetzt.
Und wo ergeben sich hieraus neue Geschäftsfelder für die Bauwirtschaft? Für Architekten und Fachplaner entstehen neue Planungsaufgaben. Sie müssen das Smart-Home-Prinzip in der Planung von Neubauten bereits mitbedenken oder die Nachrüstung in Bestandsgebäuden planen und begleiten. Auch bauausführende Unternehmen, vor allem Sanitär-Heizung-Klima- und Elektrohandwerk sind prädestiniert, im Bereich Smart Home Kompetenzen aufzubauen und neue Geschäftsfelder zu erschließen. Neben der Technologie selbst kann hierbei auch eine innovative Form der Kooperation die neuen Geschäftsfelder unterstützen. Denkbar sind die Kooperationen mit Pflegediensten, Herstellern von Smart-Home-Systemen und sogenannten Systemintegratoren, die dafür sorgen, dass die vernetzten Einheiten auch wirklich miteinander kommunizieren.
BIM, RFID – viele Buchstaben für ein selbstständiges Leben
Die Digitalisierung der Bauwirtschaft bietet durch die stetige Weiterentwicklung noch viele weitere und weitreichendere Möglichkeiten, insbesondere durch Funktechnik, auch bekannt als RFID („radio-frequency identification“). In Kombination mit der Methode Building Information Modeling (BIM) und dem Internet of Things (IoT) können diese Technologien eingeschränkten Menschen helfen, ein selbstständigeres Leben zu führen
Ein herausragendes Beispiel ist die aktuell im Wettbewerb „Auf IT gebaut – Bauberufe mit Zukunft“ mit dem ersten Platz ausgezeichnete Arbeit im Bereich Bauingenieurwesen. Der Preisträger, Abduaziz Juraboev von der Technischen Hochschule Mittelhessen, hat in seiner Masterarbeit eine Teststrecke mit einem Blindenleitsystem entwickelt. Mit seiner Technik können sehbehinderte Menschen über ihr Smartphone Informationen zur Umgebung und den gewünschten Laufweg erhalten und sich so auch in unbekannten Regionen sicherer bewegen. Dafür werden Bauteile im Gebäude mit RFID-Tags ausgestattet und mit einem BIM-Modell des Gebäudes verknüpft: Bereits bei der Planung des Gebäudes können im M-Modell, dem digitalen Zwilling des Gebäudes, die RFID-Tags optimal angeordnet werden, die dann in die Informationen für die Blindenleitsysteme integriert werden. In einer Datenbank werden dafür unter anderem Informationen zum Umfeld, also Standort, Umgebung, zu Hindernissen, aber auch Öffnungszeiten, Abzweigungen, Gebäudeeingängen und -ausgängen und vieles mehr für die Strecke hinterlegt. Der Blindenstock wird anschließend so ausgerüstet, dass er zum digitalen Navigations- und Lesegerät wird. Via Bluetooth werden vom Blindenstock aus die hinterlegten Standortinformationen an das Smartphone weitergegeben, das dann den sehbehinderten Menschen über die Strecke und die dortigen Beschaffenheiten informiert und ihn sicher leitet.
Beide Beispiele funktionieren nicht nur für Wohngebäude. Unternehmen und Verwaltungen, aber auch Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen oder Schulen können so ihre Gebäude planen und ausstatten. Smart-Home-Devices sorgen für gute Luft, die richtige Temperatur und somit für gesunde Arbeitsräume. Gebäude und ganze Stadtteile werden auch für Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen sicherer, gesünder und barriereärmer. Rund um die innovativen Gebäudefunktionen können Produkte und Dienstleistungen aus dem Gesundheitssektor entwickelt und angeboten werden. Von dieser Disruption profitieren also Wirtschaft und Gesundheit gleichermaßen!
Dieser Artikel wurde zuerst in einem RKW Magazin mit dem Schwerpunkt: Gesundheitswirtschaft Deutschland veröffentlicht. Dort haben Sie auch die Möglichkeit unser Magazin zu abonnieren. Alle Magazine finden Sie unter: https://www.rkw-kompetenzzentrum.de/das-rkw/rkw-magazin/