Die „Twin Transition“ oder auch die „Doppelte Transformation“ ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Gemeint ist damit, dass die großen Trends Nachhaltigkeit und Digitalisierung zusammen gedacht und weiterentwickelt werden müssen. Dies eröffnet große Potenziale für Gesellschaft und Wirtschaft allgemein und insbesondere für KMUs.

„Viele Unternehmer denken, es gibt eine Blaupause für die Einführung von Technologien und dass es sich um einen Sprint handele. Die Twin Transition ist aber vielmehr ein Marathon“, erläutert Jan Quaing, Experte für Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Circular Economy, Projektkoordinator bei der DBU (Deutsche Bundestiftung Umwelt) und Co-Autor von „Doppelte Transformation gestalten – Ein Praxisleitfaden zu Nachhaltigkeit und Digitalisierung“ im Interview mit dem RKW Magazin.

KI als eine der Schlüsseltechnologien kann in der Twin Transition eine ganz entscheidende Rolle spielen, birgt aber auch Risikopotenzial. Sie kann an verschiedenen Stellen helfen, Nachhaltigkeitspotenziale sowohl zu identifizieren als auch zu realisieren, also „Mittel zum Zweck“ sein. Auf der anderen Seite gilt es auch, die KI (sowie alle anderen Technologien) in Bezug auf ihre eigene Nachhaltigkeit zu bewerten und zu optimieren.

Künstliche Intelligenz für mehr Nachhaltigkeit

Es gibt viele Einsatzmöglichkeiten von KI, um Nachhaltigkeitspotenziale im Unternehmen zu heben, zum Beispiel die vorausschauende Wartung, die Steigerung von Energie- und Ressourceneffizienz sowie die Optimierung von Lieferketten. „Auf unternehmerischer Seite hat KI unheimliches Potenzial. Es entstehen auch komplett neue Geschäftsmodelle. Vor allem die Circular Economy bietet hier eine Riesenchance“, so Quaing.

Auch für den erfolgreichen Einsatz von KI gelten die gleichen Voraussetzungen wie bei anderen Zielsetzungen: Prozesse müssen korrekt abgebildet und digitalisiert werden. „Bevor man Prozesse optimiert, muss man sich fragen: Welche Daten habe ich und in welcher Qualität, welche brauche ich und was soll am Ende rauskommen? Dafür braucht man nicht nur die Chefs, sondern vor allem auch die Personen aus den Fachabteilungen“, fügt Quaing hinzu.

Keine Zeit für neue Technologien?

Sich mit neuen Technologien zu befassen, kostet Zeit und Ressourcen. Beides ist oft knapp, vor allem in KMUs. „Unternehmen fehlt oft auch das nötige Know-how zur Digitalisierung. Das führt unter anderem dazu, dass die Kosten-Nutzen-Analyse der Einführung neuer Technologien nicht richtig eingeschätzt werden kann“, erläutert Quaing. Er betont, wie wichtig es ist, trotz der disruptiven Gefahr der KI keine Angst vor deren Einsatz zu haben. Neugierde und gemeinsames Lernen im Unternehmen seien wichtig, genauso wie sich nicht in ewigen Strategie- und Technologiemeetings zu verstricken. „Sonst wird man entweder abhängig von Systemen, die man einkaufen muss oder man wird abgehängt. Das sind zwei Riesengefahren für den Mittelstand.“

Nachhaltige KI

Wird KI zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen eingesetzt, sollte im Auge behalten werden, wie nachhaltig die KI selbst ist, sowohl in ihrer Anwendung als auch im vorherigen Trainingsprozess. Effizienzgewinne durch die KI sollten also an anderer Stelle nicht aufgehoben werden. Hier schlägt vor allem der hohe Energie- und Ressourcenverbrauch zu Buche. Schätzungen zufolge hat das ChatGPT-3-Training 700.000 Liter Trinkwasser verbraucht, so viel wie 5.000 Menschen am Tag. In Bezug auf Strom schlug das Training mit knapp 1.300 Megawattstunden zu Buche, dem Jahresverbrauch von 200 Personen. Des Weiteren gilt es auch, soziale, gesellschaftliche und ethische Komponenten der KI zu berücksichtigen. Einen Nachhaltigkeitscheck für Organisationen, die KI einsetzen wollen, bietet beispielsweise das SustAIn-Bewertungstool.

Potenzial vs. Risiko

KI hat großes Potenzial, Nachhaltigkeitsbestrebungen zu unterstützen und kann für vielerlei Zwecke eingesetzt werden. Schlussendlich setzt es aber, wie bei allen anderen Anwendungsbereichen der Technologie auch, einen verantwortungsvollen Umgang voraus. „Die KI unterscheidet sich von anderen Trend-Technologien wie zum Beispiel Blockchain“, sagt Quaing. „Der Hype um sie wird zwar abflachen, aber die KI wird bleiben. Sie ist ein wirkmächtiges Tool, um Nachhaltigkeit zu befördern, aber auch um die Klimakrise zu befeuern.“

Literatur & Links

Algorithm Watch (2024):
SustAIn: Der Nachhaltigkeitsindex für Künstliche Intelligenz: https://algorithmwatch.org/de/sustain/
(letzter Abruf: 21.03.2024)

Green AI Hub Mittelstand (2024):
KI in Wirtschaft und Unternehmen: https://www.green-ai-hub.de/ki-fuerressourceneffizienz/ki-in-wirtschaft-und-unternehmen
(letzter Abruf: 21.03.2024)

IÖW et al. (2024):
Metastudie Nachhaltigkeitseffekte der Digitalisierung: https://www.ioew.de/fileadmin/ user_upload/BILDER_und_Download-dateien/Publikationen/2024/Technopolis-IOEW_2024-Metastudie_Nachhaltigkeitseffekte-der-Digitalisierung.pdf
(letzter Abruf: 21.03.2024)

Lernende Systeme – Die Plattform für künstliche Intelligenz (2024):
KI für eine nachhaltige Entwicklung: https://www.plattform-lernende-systeme.de/nachhaltigkeit.html
(letzter Abruf: 21.03.2024)

Mittelstand Digital (2021):
Nachhaltigkeit und Künstliche Intelligenz im Mittelstand: https://www.mittelstand-digital.de/MD/Redaktion/DE/Artikel/ Blog/blog-beitrag-12-Nachhaltigkeit-und-KI-im-Mittelstand.html
(letzter Abruf: 21.03.2024)

Mittelstand Digital (2023):
Künstliche Intelligenz im Mittelstand: https://www.mittelstand-digital.de/ MD/Redaktion/DE/Publikationen/ ki-Studie-2023.html
(letzter Abruf: 21.03.2024)

Mittelstand-Digital-Zentrum WertNetzWerke (2023):
Grüner Fortschritt: KI als Wegbereiter für Nachhaltigkeit im Unternehmen: https://www.mittel-stand-digital-wertnetzwerke.de/blog/gruene-ki-im-unternehmen/
(letzter Abruf: 21.03.2024)

Patterson, D. A. et al. (2021):
Carbon Emissions and Large Neural Network Training: https://arxiv.org/ftp/arxiv/pa-pers/2104/2104.10350.pdf
(letzter Abruf: 21.03.2024)

Pengfei, L. et al. (2023):
Making AI Less “Thirsty”: Uncovering and Addressing the Secret Water Footprint of AI Models: https://arxiv.org/pdf/2304.03271.pdf
(letzter Abruf: 21.03.2024)

Quaing, J. et al. (2023):
Doppelte Transformation gestalten – Ein Praxisleitfaden zu Nachhaltigkeit und Digitalisierung, München: Oekom Verlag: https://www.oekom.de/buch/doppelte-trans-formation-gestalten-9783962381295
(letzter Abruf: 06.05.2024)

Rohde, F. et al (2021):
Nachhaltigkeitskriterien für künstliche Intelligenz: https://www.ioew.de/fileadmin/user_upload/BILDER_und_Down-loaddateien/Publikationen/2021/ IOEW_SR_220_Nachhaltigkeitskriterien_fuer_Kuenstliche_Intelligenz.pdf
(letzter Abruf: 21.03.2024)