Wer kennt das nicht: Der nervige Kollege, der sich immer aufführt wie eine Diva, die Führungskraft, die ihren Job nicht macht, die patzige Busfahrerin oder der Teeny-Sohn, der Ansagen reflexhaft ignoriert – Konflikte lauern ständig und überall. Sie machen einem das Leben unnötig schwer und man möchte sie eigentlich nicht haben. Was aber wäre, wenn sie viel sinnvoller wären, als man gemeinhin denkt?

Konflikte sind Veränderungsimpulse

Ein Blick in die Systemtheorie lädt dazu ein, Konflikte nicht nur als lästiges Phänomen zu begreifen, sondern vielmehr nach ihrer Funktion zu fragen – für Teams, Organisationen, Familien oder andere soziale Systeme.

Diese Systeme regulieren sich im Zusammenspiel mit ihrer dynamischen Umwelt, indem sie für Stabilität (Verlässlichkeit, eingespielte Muster und Prozesse) sorgen und diese gleichzeitig – wenn nötig – auch wieder infrage stellen und auflösen können (Destabilisierung). Dafür kommen Alternativen zum Bestehenden ins Spiel und setzen sich durch – oder eben auch nicht. Im ersten Fall entsteht eine neue, passendere Stabilität. So funktionieren auch in biologischen Systemen Evolution und Entwicklung.

Jetzt sind soziale Systeme wie Teams gemeinhin eher von der gemütlichen Sorte und stellen die Dinge, die sich bewährt haben, nicht so gern infrage – die eingespielten Prozesse und Regeln sind mitunter ja auch hart erarbeitet. Wie sich dann aber entwickeln und an eine dynamische Umwelt anpassen? Kein Problem, denn genau dafür sorgen Konflikte. Sie bringen alternative Positionen ins Spiel und rütteln am Bewährten. Nimmt man das ernst, dann ändert sich nach Ansicht von Coach und Organisationsberater Klaus Eidenschink der Blick auf Konflikte: „Die Frage ‚Wie lösen wir Konflikte?‘ wird dann ersetzt durch die Frage ‚Wie machen wir sie in ihrer Unvermeidbarkeit für uns nutzbar?‘“

In Bezug auf die eingangs genannten Beispiele könnte das heißen:

  • Die „Diva“ setzt sich mit ihren Vorschlägen immer wieder für autonomes, agiles Arbeiten ein, mit denen das gesamte Team möglicherweise besser auf sich verändernde Kundenanforderungen reagieren könnte.
  • Die Führungskraft füllt ihre Rolle vielleicht nicht aus, weil sie ursprünglich für eine ganz andere angetreten ist. Ihre Interessen und Kompetenzen liegen eigentlich woanders und mit diesem Problem wird sie von allen Seiten allein gelassen.
  • Die Busfahrerin versucht, den angesichts der Baustelle viel zu knappen Zeitplan zu halten. Mit ein bisschen mehr Disziplin seitens der Fahrgäste könnte das genauso klappen wie mit einer veränderten Taktung oder Routenführung.
  • Es ist Zeit für neue Ausgeh- und Aufräumregeln im Familiensystem. Der Junge ist schließlich kein kleines Kind mehr.

Konflikte sind nicht (nur) persönlich: Sie nutzen unsere Unterschiede

Alles keine seltenen Fälle und sie machen deutlich: Ein Konflikt könnte hier für eine neue, passendere Lösung im System sorgen. Außerdem zeigen sie, dass wir dazu neigen, solche Themen auf die einzelnen Personen und ihre (vermeintlichen) Defizite zu buchen. Wir nehmen Konflikte so gerne im doppelten Sinne persönlich. An dieser Stelle widerspricht die Systemtheorie deutlich: Sie konzipiert Konflikte als eigenes System, das uns Menschen und unsere Unterschiede nutzt, um sich zu etablieren.

Jeder hat das schon erlebt, dass man sich im Streit irgendwie anders verhält, als man es von sich kennt: Man antwortet sofort in einem ungewöhnlich harschen Ton, anstatt nochmal drüber zu schlafen, überwirft sich mit Menschen, die einem eigentlich wichtig sind oder sagt Dinge, die man später bereut. Das liegt daran, dass der Konflikt aus uns herausholt, was er braucht, um am Laufen zu bleiben und neue Möglichkeiten für das jeweilige System ins Spiel zu bringen. Aus dieser Perspektive betrachtet haben wir also keinen Konflikt, sondern er hat uns. Das heißt aber auch: je diverser das Team, umso höher das Konflikt- und Entwicklungspotenzial – wenn man die Konfliktdynamik im Blick hat.

Konflikte schaukeln sich auf (wenn man sie lässt)

Konflikte sind kommunizierter Widerspruch – Kommunikation über Unterschiede, die wir aufrechterhalten. Da aber ein „Nein“ wiederum ein „Nein“ beim Gegenüber wahrscheinlicher macht, entsteht ein „Klima des Widerspruchs“. Konfliktkommunikation bekommt auf diese Weise Schlagseite, die das Geschehen immer weiter eskalieren lässt. Bei allen unseren Beispielen kann man sich das lebhaft ausmalen: Mobbing oder Türenknallen sind dabei noch vergleichsweise harmlose Szenarien. Ökonom und Konfliktforscher Friedrich Glasl beschreibt das in seinem bekannten Phasenmodell zur Konfliktdynamik: Das Ende der Eskalation ist hier „der beiderseitige Abgrund“.

Konflikte anheizen und abkühlen

Um das zu vermeiden und Konflikte fruchtbar machen zu können, müssen Teams und Führungskräfte in der Lage sein, sie zu regulieren, das heißt: Konflikte bewusst in den Blick nehmen und sie im passenden Moment anheizen und abkühlen können. Die Tabelle unten gibt einen kleinen Einblick in die jeweiligen Möglichkeiten.

Konflikte brauchen Gewinner- und Verliererkompetenz

Voraussetzung dafür, diese beiden Seiten situationsangemessen bespielen zu können, sind zwei wichtige Kompetenzen: Gewinnen- und Verlieren können. Mit beiden kann man seine Schwierigkeiten haben. Die „Harmoniesüchtigen“ tun sich schwer daran, mit ihrer Position in den Konflikt zu gehen, aber: Wenn der Klügere mit der besten Lösung nachgibt, dann ist das eben nicht klug. Ebenso ist das (teilweise) Abrücken von der eigenen Position oder zumindest Akzeptieren einer anderen Lösung (disagree & commit) in einer gewinn(er)orientierten Welt gar nicht so einfach. Teams und Führungskräfte tun sich in ihrer Konfliktfähigkeit also einen großen Gefallen, wenn sie für ein Klima sorgen, in dem „Gewinnen“ und „Verlieren“ gleichermaßen in Ordnung ist. Dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich die stärksten Lösungen durchsetzen – und nicht die stärksten Player. Dann wird eine „Diva“ vielleicht zum unbequemen, aber geschätzten „Ideengeber“ und aus der Führungskraft „auch nur ein Mensch“, der Unterstützung braucht.

 

Literatur & Links

Moderationsset "Veränderungen begleiten" - Für alle, die Widersprüche gezielt als Chance für ihr Unternehmen nutzen wollen.
Simon, F. (2022): Einführung in die Systemtheorie des Konflikts, Heidelberg: Carl-Auer-Verlag.
Eidenschink, K. (2023): Die Kunst des Konflikts – Konflikte schüren und beruhigen lernen, Heidelberg: Carl-Auer Verlag.
Glasl, F. (2013): Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater, Bern: Haupt Verlag.

 

Kathrin Großheim ist Mitarbeiterin im Fachbereich „Digitalisierung und Innovation“ beim RKW Kompetenzzentrum.

 

Dieser Artikel wurde zuerst in einem RKW Magazin "Eine(r) für alle, alle für eine(n)"  mit dem Schwerpunkt: "Team und Führung" veröffentlicht. Dort haben Sie auch die Möglichkeit unser Magazin zu abonnieren. Alle Magazine finden Sie unter: https://www.rkw-kompetenzzentrum.de/das-rkw/rkw-magazin/

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