Gerne würden wir manchmal einen Blick in die Zukunft werfen, um zu sehen, wie sich etwas entwickeln wird. Ob unsere Erwartungen korrekt sind, lässt sich verlässlich aber erst in der Rückschau ermitteln. 1943 sagte Thomas Watson, der Chef von IBM: „Ich denke, dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gibt.“ Diese Einschätzung ist so nicht eingetroffen. Wie aber wird das KI-Tool ChatGPT die Arbeitswelt verändern? Wir haben mit der KI-Trainerin und Autorin Nicole Simon über diese und weitere Fragen gesprochen.
Frau Simon, was macht ChatGPT so erfolgreich?
Bei ChatGPT kann man ungenau fragen und erhält trotzdem brauchbare Ergebnisse. Das ist bei Google anders und trägt sicherlich zum Erfolg von ChatGPT bei. Wenn man googelt, muss man sehr genau formulieren und erhält im besten Fall dann Webseiten, auf denen die gesuchte Information vorkommt. Bei ChatGPT kann ich einfach sagen: „Was ist … / Wie kann ich …“ Und das Tool kann auch sehr gut auf ein Ergebnis hinarbeiten. „Hier ist eine lange Rede, fasse die wichtigen Punkte in diesem Format zusammen.“ Zudem kann ich auch vorgeben, wie ein Text sein soll, indem ich sage: „Schreibe freundlicher, formeller oder in einer anderen Sprache.“ Letztlich kaufe ich kein fertiges Programm mit begrenzten Funktionen, sondern ein wachsendes System. Das Werkzeug nutzt das Wissen aus immens umfangreichen Trainingsdaten, kombiniert mit KI-Technologie und Chat-Technologie. Wir sind noch am Anfang, aber schon heute funktionieren Prompts wie „Hier ist ein Foto von einer Skizze, erstelle mir die Webanwendung“. Der Erfolg von ChatGPT liegt also in der Vielseitigkeit der Anwendungen und je besser wir das Tool benutzen, desto besser sind auch die Ergebnisse.
Warum scheuen sich manche Unternehmen oder auch Mitarbeitende davor, ChatGPT zu nutzen?
Datenschutz ist ein großes und absolut wichtiges Thema, das viele Unternehmen noch zögern lässt. Lässt man die damit verbundene Unsicherheit für einen Moment beiseite, sind es oft Unwissenheit und falsche Erwartungen, die die Menschen zögern lassen. Es werden Wunderergebnisse mit tiefem, komplexem Wissen auf Basis einfachster Prompts erwartet, nur weil KI draufsteht. Häufig wird dann gesagt: „Das kann nichts, lügt oder halluziniert.“ Nein, es wurde nur falsch verwendet. Ich empfehle dringend, jetzt spielerisch zu lernen, was das Tool kann und wie es funktioniert. Das passiert zum jetzigen Zeitpunkt noch zu wenig.
Wo stößt ChatGPT an seine Grenzen? Oder anders gefragt, wo müssen Nutzerinnen und Nutzer besonders aufmerksam sein?
ChatGPT ist nicht kreativ und kann nicht querdenken. Das liegt in der Natur des Werkzeugs. Es wirkt manchmal so, aber bei genauer Betrachtung werden die Probleme sichtbar. Und es ist leider erschreckend, wie viele Mitarbeitende ChatGPT geheim verwenden, weil es die Arbeit vereinfacht. Hier muss unbedingt firmenweit Verständnis aufgebaut werden und eine gezielte Sensibilisierung erfolgen.
Ich vergleiche ChatGPT gerne mit einem Auszubildenden. Dieser ist willig und intelligent, aber um ein gutes Ergebnis zu bekommen, erkläre ich genau und im Detail, was, wie und warum etwas zu tun ist. Je besser meine Aufgabenstellung und mein Briefing ist, desto bessere Ergebnisse werden geliefert. Und natürlich schaue ich mir alle Resultate von ChatGPT genau an. Die Arbeit eines Azubis würde man ja auch nicht ungeprüft an die Kundschaft schicken.
Ganz konkret: Für wen oder in welchem Bereich ist der Nutzen durch ChatGPT besonders groß?
ChatGPT arbeitet besonders gut mit Text, aber das Tool kann mehr. Simple Prompts wie „Hier ist die Arbeitsplatzbeschreibung – erstelle eine Jobanzeige“ sind nützlich, aber was passiert, wenn der Vertrieb die aktuellen Verkaufsunterlagen hineingibt und ein Verkaufsgespräch simuliert? – „Was haben wir vergessen?“ Oder Mitarbeitende per Video Fehler an einer Maschine dokumentieren? ChatGPT hat keine Ahnung, wie die Maschine funktioniert. Aber ein Transkript in ein standardisiertes, gut lesbares Dokument verwandeln? Das kann das Tool. Nach und nach könnte auf diese Art ein firmeneigenes Wiki entstehen, in dem je nach Maschinentyp die möglichen Fehler und ihre Behebung dokumentiert sind. Das würde den Kompetenzverlust im Betrieb deutlich reduzieren, der immer dann entsteht, wenn ein erfahrener Kollege oder eine erfahrende Kollegin geht. Und auch darüber hinaus gibt es zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten. Mein Appell ist daher: ausprobieren – und nicht vergessen, die Ergebnisse zu kontrollieren.
Vielen Dank für die interessanten Einblicke, Frau Simon.
Anwendungsbeispiele für ChatGPT in KMUs:
- Content-Erstellung und Überarbeitung: Marketingtexte, Webseite, Social Media
- Geschäftskommunikation: Entwurf von E-Mails und Berichten
- Übersetzungen: Inhalte für nichtdeutsche Märkte übersetzen
- Kundenservice: Antworten auf häufige Fragen, 24/7-Support, Sentiment-Analysen
- Marktforschung: Zusammenfassung von Branchenberichten und Analyse von Kundenfeedback, Entwurf von Interview-Fragen
- Entwicklung von Lernmaterialien und Trainings: Umwandlung von Handbüchern in Kurse mit Fragen, Tests und Webanwendungen
- Dokumentation: Beschreibung von Arbeitsabläufen nach definiertem Standard
- Profilerstellung: Zielgruppendefinition anhand von Vertriebs- und Marketingunterlagen
- Vorbereitung von Verkaufsgesprächen: Antizipation möglicher Kundenfragen, Einwandbehandlung
- Brainstorming: Finden von Metaphern und Beispielen
- Programmierung: Dokumentation und Analyse von Codes, Unterstützung bei der Fehlersuche
Dieser Artikel wurde zuerst im RKW Magazin "(R)evolution!?" mit dem Schwerpunkt: "Künstliche Intelligenz" veröffentlicht. Dort haben Sie auch die Möglichkeit unser Magazin zu abonnieren. Alle Magazine finden Sie unter: https://www.rkw-kompetenzzentrum.de/das-rkw/rkw-magazin
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