Der 9. Januar 2007 ging in die jüngeren Geschichtsbücher ein als der Tag, an dem Steve Jobs das erste iPhone der Öffentlichkeit präsentierte und damit eine Revolution auf dem Telekommunikationsmarkt auslöste. Den 30. November 2022 wiederum könnte man als so etwas wie den iPhone-Moment der künstlichen Intelligenz (KI) bezeichnen, als OpenAI ChatGPT der Öffentlichkeit zugänglich machte. Über den Verlauf des Jahres 2023 entstand ein regelrechter KI-Hype. 2024 ist vielleicht so etwas wie das Jahr der Wahrheit, in dem KI den Beweis für ihre Nützlichkeit in einer wachsenden Anzahl von kleinen und mittleren Unternehmen erbringen muss.

Die Entwicklung nimmt an Fahrt auf

Die unheimliche Dynamik von Technologie, Kapitalisierung und Marktentwicklung ist beeindruckend. Enorme Geldmengen fließen in Forschung und Unternehmen, die sich dem Thema KI annehmen. Tagtäglich schießen neue Angebote aus dem Boden. Hinzu kommen die Zunahme an Daten, immer leistungsstärkere Computer und bessere mathematische Verfahren.

Gemeinsam sind dies die Zutaten für eine immer rasantere Weiterentwicklung, die einem mitunter den Atem verschlagen kann. Wurde ChatGPT 3.5 noch belächelt, beim bayrischen Abitur 2022 versagt zu haben, bestand die Version 4.0 die Prüfungen 2023 bereits mit Bravour.

KI ist mehr als generative KI

Was man angesichts des Hypes um generative KI allerdings manchmal zu vergessen scheint: Es handelt sich dabei nur um einen kleinen Anwendungsbereich künstlicher Intelligenz. Denn KI kann nicht nur eingesetzt werden, um Texte, Bilder, Töne oder Filme zu erzeugen und zu bearbeiten. Vielmehr können unterschiedliche mathematische Modelle darüber hinaus auch verwendet werden, um Informationen zu erfassen, Objekte zu identifizieren, Ursachen zu klären und Schlussfolgerungen abzuleiten, zwischen Möglichkeiten auszuwählen, um Vorhersagen zu treffen und auf Basis all dessen mehr oder minder autonom zu handeln.

Veränderte Arbeitswelten, veränderte Branchen

Ist KI heute bereits an vielen Stellen ein spannendes Hilfsmittel, könnte es zukünftig zu einem ausgesprochen machtvollen Werkzeug werden – die Erwartungen an KI sind entsprechend gewaltig. Heute allerdings dient KI eher als Hilfsmittel, um Mitarbeitende zu entlasten und zu unterstützen. Sie kann diese für andere Aufgaben freistellen, die sie als sinnstiftender empfinden und die einen größeren Mehrwert für das Unternehmen erzeugen.

Zukünftig aber könnte durch den Einsatz von KI manches Geschäftsmodell unter Druck geraten oder sich nachhaltig verändern. Die Streiks der Filmindustrie in den USA kündigen etwa an, dass KI-gestützte Produktionsverfahren zunehmend Komparsen verdrängen könnten.

Anbieter von Lernhilfen für Schulen geraten an der Börse unter Druck und manche Führungskraft kommt ins Grübeln, ob ihr angestammtes Geschäftsmodell noch zukunftsfest ist, etwa in Übersetzungsbüros, Patentanwalts- oder Steuerberatungskanzleien.

Wenig ausgeschöpfte Potenziale

Die Bedeutung von KI wird wachsen, das ist keine Frage. Aber nicht jede Branche wird davon gleichzeitig und gleich gravierend betroffen sein. Auch die Unternehmen scheinen (noch) hin- und hergerissen. Laut einer Studie des Branchenverbands Bitkom hielten im vergangenen Jahr 68 Prozent der Unternehmen in Deutschland KI für die wichtigste Zukunftstechnologie (2022: 37 Prozent). 29 Prozent dagegen sahen sie als bloßen Hype an.

Eine große Lücke klaffte zwischen den Unternehmen, die in KI Potenziale erkannten, und denen, die diese auch für sich hoben. Zwar war der Anteil derer, die KI bereits einsetzten, auf 15 Prozent gestiegen und immerhin 28 Prozent diskutierten oder planten deren Einsatz im Unternehmen. Für 52 Prozent war KI aber weiterhin kein Thema.

So manches Unternehmen schrecken die vielfach noch ungeklärten Daten- und Urheberschutzfragen oder die Sorge vor der Veröffentlichung von Geschäftsgeheimnissen. Auch die Qualität der Ergebnisse und damit zusammenhängende Haftungsfragen sind zu beachten, da KI aufgrund seiner Funktionsweise mitunter zu Fehlschlüssen und Halluzinationen neigt. Außerdem können erhebliche Kosten zu Buche schlagen, insbesondere bei Eigenentwicklungen und komplexeren Projekten.

Innovative Unternehmen gehen voran

Große Unternehmen implementieren bereits mit großem Engagement vielfältige KI-Anwendungen. Bosch und dm etwa haben die Entwicklung unternehmenseigener Chatbots auf Basis existierender Sprachmodelle angekündigt, um die Mitarbeitenden zu unterstützen, ohne die oben umrissenen Risiken in Kauf nehmen zu müssen. Und VW gründet eigens ein „AI Lab“, das neue digitale Anwendungen generieren, in Prototypen umsetzen und so der Kundschaft durch KI Mehrwerte zur Verfügung stellen soll.

Doch auch unter kleinen und mittleren Unternehmen gibt es eine wachsende Anzahl von Beispielen, die KI schon jetzt erfolgreich für sich nutzen. Etwa der Produzent von Fenstern und Türen, der Bilderkennung im Wareneingang einsetzt, um Einschlüsse, Kratzer oder Luftblasen im Fensterglas zu identifizieren. Die Bäckerei, die die Nachfrage nach ihren Backwaren mithilfe von Algorithmen prognostiziert. Der Händler für Büroeinrichtungen, der Verkaufsmitarbeitende mit KI in die Lage versetzt, den optimalen Preis für jede Kundin und jeden Kunden zu finden. Die Hausarztpraxis, die mittels Robotic Process Automation die Dokumentenablage automatisiert. Oder der Anlagenbauer, der intelligente Algorithmen einsetzt, um Pumpenverstopfungen im Betrieb bei der Kundschaft frühzeitig zu erkennen und für sie Energiesparpotenziale zu generieren.

Erste Schritte für KMUs

Kleine und mittlere Unternehmen sind gut beraten, die Entwicklung nicht zu verschlafen, aber auch nicht in hektischen Aktionismus zu verfallen. Dabei ist KI nicht in erster Linie ein technologisches Thema. Im Gegenteil. Ausgangs- und Fluchtpunkt sollten unternehmerische und strategische Fragen sein. Ob und wo KI zum Einsatz kommt, sollte letztendlich danach bewertet werden, wie die Technologie die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens unterstützen kann. Etwa um Umsatzpotenziale zu heben, Kosten zu senken oder Wettbewerbsvorteile zu generieren oder um Arbeitsbedingungen attraktiver und gesundheitsschonender zu gestalten.

Die identifizierten Einsatzfelder sind anschließend nüchtern den Risiken und dem zu erwartenden Aufwand gegenüberzustellen. Denn auch hier gilt: KI ist kein Selbstzweck. Nicht für jedes Problem ist KI automatisch die bessere Lösung, ist sie in der Regel doch kosten- und energieintensiver als herkömmliche Lösungen. 

Anschließend stellt sich die Frage nach der technischen Umsetzung. Soll eine eigene Lösung entwickelt, eine bestehende mit unternehmenseigenen Daten individualisiert oder eine fertige Anwendung oder Softwareerweiterung beschafft werden? Dies lässt sich nur individuell vor dem Hintergrund der angestrebten Ziele und der zu erwartenden Aufwände und Risiken seriös beantworten. Meist empfiehlt es sich aber, sich zunächst auf einen überschaubaren Anwendungsbereich oder ein kleines Entwicklungsprojekt zu konzentrieren.

Dabei ist es für die Qualität und Akzeptanz der Lösung ratsam, die eigenen Mitarbeitenden frühzeitig einzubinden und sie von Betroffenen zu Mitstreiterinnen und Mitstreitern zu machen. Bezieht man Mitarbeitende aus unterschiedlichen Bereichen ein, können neben pragmatischen Anwendungen für den eigenen Arbeitsbereich sogar vielversprechende „siloübergreifende“ Lösungsansätze entstehen.

Canvas „KI im Team“

Wer bereits mit dem Gedanken spielt, ein umfangreicheres KI-Vorhaben im Unternehmen einzuführen, dem könnte der neue Canvas des RKW Kompetenzzentrums „KI im Team“ interessant sein. Er unterstützt dabei, KI-Vorhaben gemeinsam mit Mitarbeitenden in einem Planspiel beispielhaft zu durchdenken oder konkrete Projekte zu planen. 

Dieser Artikel wurde zuerst im RKW Magazin "(R)evolution!?"  mit dem Schwerpunkt: "Künstliche Intelligenz" veröffentlicht. Dort haben Sie auch die Möglichkeit unser Magazin zu abonnieren. Alle Magazine finden Sie unter: https://www.rkw-kompetenzzentrum.de/das-rkw/rkw-magazin