Kompetenz ist keine Frage des Geschlechts

Führung in einer männerdominierten Branche

Eine Frau an der Unternehmensspitze und dann auch noch in der Baubranche. Das hatte noch vor zehn Jahren Seltenheitswert. Mittlerweile führen mehr Frauen auch in dieser Branche, und zwar erfolgreich. Heike Böhmer, von Hause aus Bauingenieurin, ist seit 2008 Geschäftsführerin des Instituts für Bauforschung e. V. (IFB) in Hannover und langjähriges Beiratsmitglied der RG-Bau im RKW Kompetenzzentrum. Angefangen hat sie im Institut als wissenschaftliche Mitarbeiterin, stieg zur Abteilungsleiterin auf und übernahm dann die Leitung. Wir sprachen mit ihr über das Thema Frauen in Führungspositionen in der Bauwirtschaft.

Frau Böhmer, die Baubranche ist immer noch vornehmlich männerdominiert. Was ist der Grund dafür?

Es gibt viele Gründe, aber zwei begegnen mir immer wieder. Auf Frauenseite sind nach wie vor die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie der Wunsch nach Teilzeit Barrieren, aber auch die innere Einstellung vieler junger Frauen, unbewusst Verantwortung zu scheuen. 

Zudem fordert der Bau eine gewisse Flexibilität und es gibt leider nur überschaubare Möglichkeiten für Frauen, Führung wahrzunehmen. Doch ich habe gerade das Gefühl, es passiert etwas. Es findet ein Generationenwechsel statt und die Notwendigkeit einer Lösung für die Nachfolgeproblematik verändert das Bewusstsein. Frauen rücken stärker in den Fokus. Und wenn ich persönlich zurückblicke: Ende der 1980er Jahre haben viele Frauen mit mir Bauingenieurwesen studiert, viele davon sind nicht mehr in diesem Bereich tätig. Damals waren auch die Rahmenbedingungen schlechter. Im Gegensatz dazu haben sich heute die klassischen Rollenbilder verschoben. Die Rahmenbedingungen ändern sich und wenn diese gut sind, können Frauen selbstverständlich genauso gut führen wie ihre männlichen Kollegen. 

Mein Sohn ist jetzt 24 Jahre alt. Ich war anfangs ein Jahr in Elternzeit und habe dann in Teilzeit gearbeitet. In dieser Zeit wurde ich vom Vorstand angesprochen, die Institutsleitung zu übernehmen. Aus eigener Erfahrung weiß ich also, es ist nicht einfach und ein ganz schöner Spagat, aber wenn man es nicht probiert … Ich hatte und habe bis heute Lust darauf, bin in meine Aufgabe hineingewachsen, und Führung ist für mich zur Normalität geworden.

Was sind die größten Herausforderungen für Frauen mit einer Führungsrolle in der Bauwirtschaft? Gibt es da einen Unterschied zu anderen Branchen?

Männerdominierte Branchen sind natürlich eine Herausforderung, und auf dem Bau hat man eben überwiegend Männer unter sich. Es stecken aber auch viele Vorurteile dahinter. Denn ehrlich gesagt, stehen Männer mit frischen Ideen und generell die junge Generation nicht vor den gleichen Problemen?! In Führungspositionen der Baubranche sind – wie in anderen Branchen auch – Fachwissen und klassische Führungsaufgaben ebenso gefordert wie eine gute Verteilung der Verantwortung. 

Den einzigen Unterschied sehe ich darin, dass die Baubranche eben noch sehr männerdominiert ist, aber auch das wandelt sich gerade, besonders im Baumittelstand, wo es darum geht, Nachfolgelösungen zu finden. 

Wenn etwas neu ist, ist es stets etwas Besonderes, so auch wenn eine Frau eine Führungsrolle in der Bauwirtschaft übernimmt. Aber dann kommt eine weitere Frau dazu und noch eine und irgendwann ist es selbstverständlich. In meinem Umfeld erlebe ich, dass Nachfolge zunehmend weiblich ist. Auch in der Bauleitung nehme ich Änderungstendenzen wahr; es zählt die fachliche Qualität. Diese Rolle übernehmen immer mehr qualifizierte Frauen. Sie leiten mittlerweile die größten Projekte in verantwortungsvoller Position.

Was ist Ihr Eindruck, unterscheidet sich weibliche von männlicher Führung?

In der fachlichen Führung von Forschungsprojekten oder Bauvorhaben gibt es keine Unterschiede. Aber die Art der Führung unterscheidet sich. Frauenführung ist aus meinem Blickwinkel geprägt von weniger Hierarchiedenken – das Endergebnis zählt. Die Hierarchien sind flach und die Verteilung der Verantwortung ist oft eine andere. Frauen haben zudem ein ausgeprägtes Gefühl für soziale Probleme. Der Familienbackground wird bei uns individuell gesehen und macht spontane Flexibilisierung notwendig. Aber im Mix ist auch hier kein großer Unterschied spürbar, denn junge Väter übernehmen heutzutage auch gewollt mehr Verantwortung in der Familie.

Sie selbst leiten ein reines Frauenteam. Gibt es Unterschiede zu einem gemischten Team?

Das ist eine Momentaufnahme und rein zufällig. In der Regel arbeiten wir hier am Institut in gemischten Teams. Aber für mich macht es keinen Unterschied. Ich bin eine fachlich geprägte Führungsperson, für mich zählt, was jemand kann und will.  Ich bewerte alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausschließlich fachlich und nicht nach dem Geschlecht. Wir sind hier ein kleines, eingespieltes Team. Unser breites Themenspektrum ist die eigentliche Herausforderung. Alle müssen fachlich und zeitlich zusammen an einem Strang ziehen. Flexibilität und Rundumdenken ist wichtig.

In der Projektarbeit arbeiten wir mit vielen Externen zusammen, hier grundsätzlich in gemischten Teams. Diese haben den Vorteil, dass jede und jeder einen anderen Blickwinkel auf die Dinge besitzt und die Arbeit bereichert.

In unserem Vorstand und auf Verbandsebene ist die Zusammensetzung eher männerdominiert. Auch die Ministeriumsstruktur ist überwiegend so gestrickt. Aber das sehe ich als gegebene Rahmenbedingung. Im Gegensatz dazu sind in unserem Kuratorium viele kompetente Frauen vertreten. Also ist das Geschlechterverhältnis – im Gesamtkontext gesehen – ausgeglichen.

Zudem bin ich generell kein Fan einer Frauenquote. Es gilt heute noch mehr als früher: Kompetenz ist keine Frage des Geschlechts!

Haben Sie abschließend einen Tipp für Frauen in Führungspositionen?

Die, die Führung übernehmen, machen es gut. Zu denen, die überlegen, möchte ich sagen: Traut euch! Denkt größer, seid mutig. Was ungemein wichtig ist, ist das Netzwerken. Der Aufbau eines persönlichen Frauennetzwerks, das einen unterstützt, ist viel wert. Gerade wenn man neu ist in der Branche. Nutzt dies, tauscht euch mit anderen Frauen auf gleicher Ebene branchenunabhängig aus.

In meinem Netzwerk ist die Baubranche zum Beispiel im weitesten Sinne vertreten: Alle haben etwas mit Bauen zu tun, aber in ganz unterschiedlichen Bereichen. So sind bei den Frauen in Führungspositionen zum Beispiel eine Bauleiterin im Straßenbau, eine Innungsmeisterin, eine Bauunternehmerin ebenso vertreten wie Professorinnen und Handwerksmeisterinnen. Wir alle lernen voneinander, tauschen uns aus und unterstützen uns. Und wir begrüßen jederzeit gerne neue Netzwerkpartnerinnen!

Vielen Dank für das Interview, Frau Böhmer!

Dipl.-Ing. Heike Böhmer ist Geschäftsführerin des Instituts für Bauforschung e. V. (IFB).

Das Interview führte Tanja Leis. Sie ist Mitarbeiterin der RG-Bau beim RKW Kompetenzzentrum.

>> Weiterführende Infos und Beispiele finden Sie hier.