Nachhaltigkeit verfängt – das Thema involviert leicht und lädt zu Diskussionen über die unterschiedlichsten Facetten ein. Für manche ist es eine Herzensangelegenheit, andere betrachten die markt- oder rechtsbezogenen pragmatischen Erfordernisse. Wieder andere verweisen auf die Begrenztheit irdischer Ressourcen und sehen in diesem Thema schlicht eine Notwendigkeit, um das Leben dieser und folgender Generationen zu sichern.

Ein Begriff mit vielen Lesarten

Nach einem verhaltenen Start im Jahr 1713 erfährt Nachhaltigkeit seit einigen Jahrzehnten erheblichen Zuspruch und zunehmendes Interesse. Der Begriff turnt durch alle Funktionsbereiche menschlichen Zusammenlebens und prägt wissenschaftliche, politische sowie wirtschaftliche Debatten. Dabei ist bei allen Diskussionen Nachhaltigkeit – im Sinne des kleinsten gemeinsamen Nenners – einfach die Idee davon, die Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht [unangemessen, Anm.] eingeschränkt werden1. Seit 1992 gilt Nachhaltigkeit als globales Leitprinzip, das ökologische, soziale und ökonomische Ziele miteinander verbindet2.

Nachhaltigkeit und Digitalisierung

Der Mensch mitsamt seiner Wirtschafts- und Lebensweise, vor allem aber infolge technologischer Entwicklungen hat erhebliches Potenzial zur Vernichtung seiner eigenen Lebensgrundlagen entwickelt. Aus dieser Erkenntnis heraus antwortet Nachhaltigkeit mit der Forderung nach einem achtsameren Umgang gegenüber seiner eigenen Art, vor allem aber dem Ökosystem mitsamt seinen dynamischen Verflechtungen. Die Digitalisierung ist aus der Perspektive der Nachhaltigkeit also zunächst einmal Risiko, das es zu gestalten gilt. Darüber hinaus bieten derart „gezähmte“ Technologien erhebliches Potenzial für Effizienzsteigerungen und ein verantwortungsvolles Innovationsgeschehen.

Was es bedeutet, nachhaltig zu wirtschaften

Um nachhaltig sein zu können, muss ein Unternehmen aber erst einmal alle Rechnungen bezahlen und Erfolgspotenziale mindestens so weit pflegen können, dass dies auch in Zukunft so sein wird. In diesem Sinne sind nachhaltig wirtschaftende Unternehmen zunächst einmal solche, die in der Lage sind, (auch) nach Krisen wieder zu einer tragfähigen Struktur zu gelangen. Nachhaltig bedeutet hier also zunächst einmal wettbewerbsfähig und resilient3. Erst auf dieser ökonomischen Grundlage lassen sich im Rahmen des bestehenden Wirtschaftssystems soziale wie ökologische Konsequenzen des Wirtschaftens sinnvoll bearbeiten. Ein anspruchsvolles Unterfangen, das auf die Übernahme von Verantwortung abzielt: Übernimm Verantwortung für Dich selbst und andere – heute und für zukünftige Generationen. Übersieh dabei nicht die Vernetztheit des Lebens und dass Du mögliche Zusammenhänge möglicherweise (noch) nicht verstehst.

Wie kann es gelingen, eine Wirtschaftspraxis zu etablieren, die kommenden Generationen nicht schadet, die effizient, ressourcenschonend und inklusiv ist?

Eine nachhaltig wirtschaftende Organisation, die in ihrer Entwicklung auch soziale und ökologische Fragestellungen in den Blick nimmt, lässt sich nur individuell, das heißt in einer ganzheitlichen Betrachtung des Geschäftsmodells und eingebettet ins jeweilige Business-Ökosystem verstehen und gestalten:

  • So ist ein nachhaltiges Abfall- und Recyclingmanagement nur als Gemeinschaftsprojekt der Branche und damit in Verknüpfung vielfältiger Geschäftsmodelle denkbar.
  • Eine erfolgreiche Vermarktung eines grünen Produkts ist nicht ohne kritischen Blick auf die Zulieferketten zukunftsfähig.
  • Sharing-Geschäftsmodelle sind wiederum meist auf innovative Ertragsmodelle, wie Abos, Pay-per-Use-Ansätze und ähnliches angewiesen.
  •  Und selbst der Corona-bedingte Vorschub von Außer-Haus-Geschäften blieb nicht ohne Auswirkung auf Prozessabläufe, Marketing und Preisgestaltung.

Damit ist Nachhaltigkeit aus einzelbetrieblicher Perspektive immer (auch) eine individuelle Erfindung – und zwar eine, die notwendigerweise viele Gestaltungsmöglichkeiten in den Blick nimmt und schon deshalb komplex und kontrovers ist. Kritikerinnen und Kritiker mögen einwenden, dass gerade kleine und mittlere Unternehmen immer schon Verantwortung für ihre Mitarbeitenden und ihre Umwelt übernommen haben. Aus dieser Perspektive besteht der Nutzen des Konzepts Nachhaltigkeit möglicherweise darin, dass man leichter mit anderen ins Gespräch kommt und sich einer gewissen allgemeinen Aufmerksamkeit des Themas sicher sein kann.

Nachhaltigkeit als Gemeinschaftsprojekt in mittelständischen Unternehmen

Woher kommt die Motivation für das Thema? Welche Berührungs- und Anknüpfungspunkte gibt es bereits? Wo finden sich die größten Verschwendungen und Ungerechtigkeiten im Unternehmen und seines Umfelds? Wo gibt es ungenutzte Ressourcen? Aus den Antworten der Mitarbeitenden auf diese und ähnliche Fragen lässt sich einerseits ein gemeinsames, betrieblich geteiltes Verständnis erarbeiten. Andererseits erkennt man Brüche und Konflikte, die – im Sinne der Innovation – eskaliert oder – im Sinne der Effizienz – bewusst beruhigt werden können. Kurzum: man weiß, wo man miteinander steht, wer man in Bezug auf Nachhaltigkeit ist und wohin man strebt.

Auf dieser Grundlage lässt sich sinnvoll externe Expertise einbeziehen, indem man sich beispielsweise einen Eindruck darüber verschafft,

  • welche Maßnahmen in den drei Handlungsfeldern (Ökologie, Soziales, Ökonomie) üblicherweise ergriffen werden,
  • was sich konkret hinter dem einen oder anderen Buzzword verbirgt,
  • welche Lösungen die Praxis bereits zuwege gebracht hat
  • oder welche Unterstützungsangebote es zu diesem Thema gibt.

Nachhaltigkeit – eine erweiterte Perspektive & ein verändertes Selbstverständnis

In diesem Sinne bedeutet betriebswirtschaftliche Nachhaltigkeit, neben Liquiditätssicherung auch die Auswirkungen der Geschäfte auf Umwelt und Gesellschaft in den Blick zu nehmen. Für kleine und mittlere Unternehmen bedeutet dies vor allem ein Gespräch darüber, wer man hinsichtlich einer mehr oder weniger stark empfundenen Verantwortung für heutige und kommende Generationen als Organisation ist und sein möchte. Resultierende Maßnahmen erfordern möglicherweise einen Aufbau von Kompetenz oder eine veränderte Investitionspraxis. Darüber hinaus ist praktische Nachhaltigkeit im Mittelstand dann allerdings nicht mehr als eine erweiterte Perspektive, ein gesteigertes Maß an Eigenverantwortung und ein verändertes Selbstverständnis.

Brundtland-Bericht (1989)

2 Rio-Deklaration (1992)

3 Gemäß allgemeiner Definition von Prof. Scholz, die nicht zwischen Resilienz, Robustheit und Reaktanz unterscheidet.

Mehr zum Thema in unserer Podcast-Folge aus der Reihe "Chefsachen":

Nachhaltigkeit im Mittelstand: Zwischen Papiertiger und Eigenverantwortung?

Sabine Erdler Digitalisierung & Innovation / Referentin

06196 495-3207
Sabine Erdler

Patrick Großheim Digitalisierung & Innovation / Referent

06196 495-3215
Patrick Großheim