Die Babyboomer gehen in Rente und immer weniger junge Menschen drängen in den Arbeitsmarkt. Allen Krisen der vergangenen Jahre zum Trotz steht der Fachkräftemangel als zentrale Herausforderung ganz weit oben auf der Agenda vieler Unternehmen. Wenn angesichts der immer größeren Konkurrenz um neue Mitarbeitende bisher verfolgte Rekrutierungsstrategien nicht mehr zum Erfolg führen, sind neue Wege gefragt. Innovative Unternehmen zeigen, welche Alternativen es gibt, die allerdings teils deutlich über „klassische Personalarbeit“ hinausgehen.
Personalarbeit professionalisieren
Natürlich gibt es eine ganze Reihe von Wegen, um neue Mitarbeitende zu erreichen und personalwirtschaftliche Maßnahmen, mit denen man punkten kann. Deren Palette ist je nach Branche und gesuchter Mitarbeitendengruppe groß und unterliegt wechselnden Trends. Sie reicht vom Job-Rad über großzügige Homeoffice-Regelungen bis zu individuellen Weiterentwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen. Dazu gehört auch, neue Zielgruppen zu erschließen, wie etwa die Weiter- oder Wiederbeschäftigung von älteren Mitarbeitenden oder die gezielte Ansprache von Studienabbrechenden. Im Handwerk etwa wird derzeit Social-Media-Marketing als Mittel gepriesen, um unzufriedene Beschäftigte zu einem Wechsel zu motivieren oder die Vier-Tage-Woche, um sich vom Wettbewerb abzuheben.
Angesichts des immer härteren Wettbewerbs müssen sich Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt frühzeitiger und bewusster mit Blick auf die Zielgruppe(n) positionieren als bisher. Gefragt ist also eine Professionalisierung der Personalarbeit, eine strategische, vorausschauende Personalplanung sowie zielgruppenspezifisches Employer Branding.
„Sorgen um einen Fachkräftemangel mache ich mir eigentlich nicht.
Wir betreiben ausreichend Vorsorge.“
Gabriele Zimmermann (Wachendorff Automation GmbH & Co. KG)
Der gesamte Bewerbungsprozess muss aus der Perspektive der Zielgruppe(n) hinterfragt und gegebenenfalls neugestaltet werden. Und zwar von der Ansprache über die Botschaften und den Aufbau der Stellenseite bis hin zu dem Bewerbungsverfahren und den Onboarding-Prozessen. So manches Unternehmen kann hier noch das ein oder andere optimieren, um der Konkurrenz eine Nasenspitze voraus zu sein, denn Hand aufs Herz: Häufig werden potenzielle neue Mitarbeitende nicht wie Kundinnen oder Kunden des eigenen Betriebs behandelt.
Digitalisierung gegen den Fachkräftemangel einsetzen!
Mitunter sind die Arbeitsinhalte und -zeiten, die Aufstiegschancen oder die leistbare Bezahlung aber einfach zu unattraktiv oder die Konkurrenz zu stark, um am Arbeitsmarkt punkten zu können. In diesen Fällen reicht gute Personalarbeit alleine nicht mehr aus. Dann ergibt es Sinn, die bestehenden Prozesse zu hinterfragen und die Potenziale der Digitalisierung stärker zu nutzen.
Beispiele zeigen, welch verschiedene und häufig noch ungenutzte Ansatzpunkte die Digitalisierung bietet, um Arbeitsabläufe stärker zu automatisieren, Mitarbeitende zu entlasten und zu unterstützen oder Arbeitsplätze attraktiver zu gestalten:
Sei es die Bäckerei, die die Reifung ihrer Brote verlangsamt ablaufen lässt, sodass Mitarbeitende nachts fast nicht mehr arbeiten müssen. Oder das Spritzgussunternehmen, das Beschäftige durch Cobots von repetitiven Tätigkeiten entlastet, um sie für interessantere und höherwertige Tätigkeiten einzusetzen. Das Anlagenbauunternehmen, das seine erfahrenen Servicetechnikerinnen und Servicetechniker von unnötigen Fahrten entlastet, indem es seine Kundschaft mit VR-Brillen ausstattet, damit diese aus der Ferne unterstützt werden können. Oder das Systemhaus, das viele seiner Prüfprozesse mithilfe von Künstlicher Intelligenz automatisiert hat und die Mitarbeitenden bei kniffligen Entscheidungen unterstützt, sodass es deren Qualifikationsanforderungen deutlich senken und den Pool an passenden Bewerbenden spürbar erweitern konnte.
Strategie folgt Personal(-Angebot) – ein Paradigmenwechsel?
Manche Unternehmen gehen noch einen Schritt weiter: Sie stellen nicht nur ihre Prozesse auf den Prüfstand, sondern ihr gesamtes Geschäftsmodell und suchen in ihrer Strategie nach neuen Lösungen. Denn sie erwarten, dass sie für ihr jetziges Geschäftsmodell oder dessen Wachstum zukünftig nicht mehr genug passendes Personal finden werden.
Etwa das kleine Sachverständigenbüro für Oldtimer, das eine Software entwickelt hat, um seine eigenen Abläufe zu automatisieren und diese an seine Konkurrenz zu vertreiben. Der Handwerksbetrieb, der sich bewusst auf die markenstärksten Geschäftsfelder spezialisiert und auf der anderen Seite ein Kooperationsnetzwerk zu anderen Handwerksbetrieben aufgebaut hat, um gemeinsam die Kapazitäten besser auslasten und als schlagkräftiges Netzwerk lukrative Aufträge akquirieren zu können. Oder das IT-Unternehmen, das sich mit der Hilfe von Freelancerinnen und Freelancern zu einer virtuellen Organisation entwickelt hat, um flexibler und kompetenter auf die Wünsche und Aufträge seiner Kundschaft reagieren zu können.
„Wenn kein Mensch mehr nachts arbeiten möchte, dann kann ich entweder jammern oder ich kann prüfen, ob ich nicht einer der wenigen bin, die es schaffen, Alternativen zu bieten."
Andreas Fickenscher, Fickenscher's Backhaus
Mit dem P³erspektive-Personal-Ansatz des RKW Kompetenzzentrums wurde ein Werkzeug entwickelt, um diese ganz unterschiedlichen Strategien auf das eigene Unternehmen zu übertragen. Es erlaubt, für jedes Unternehmen individuell und strukturiert Möglichkeiten zu entwickeln, entlang sechs verschiedener Handlungsfelder von der Personalarbeit über die Arbeit an den Prozessen bis hin zum Geschäftsmodell.
Dieser Artikel wurde zuerst in einem RKW Magazin mit dem Schwerpunkt: Fachkräfte- und Ressourcenmangel veröffentlicht. Dort haben Sie auch die Möglichkeit unser Magazin zu abonnieren. Alle Magazine finden Sie unter: https://www.rkw-kompetenzzentrum.de/das-rkw/rkw-magazin/
Literatur & Links
RKW-Handlungshilfen, Tools und Unternehmensbeispiele:
www.rkw.link/p3erspektive
https://www.rkw-kompetenzzentrum.de/themen/personalarbeit
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