RKW: Liebe Frau Stehle, Sie arbeiten ja im Rahmen des Projektes "QualiDigi" an der Fragestellung, wie kleine und mittlere Unternehmen in Baden-Württemberg Ihre Mitarbeitenden auf die Digitalisierung vorbereiten können. Das ist sicher eine Fragestellung, die viele Entscheiderinnen und Entscheider interessiert. Wie kamen Sie auf die Idee zu diesem Projekt?
Ramona Stehle: Die Digitalisierung ist im hier und jetzt angekommen. Egal ob in unserem Alltag oder unserer Arbeit. Die Digitalisierung betrifft jede und jeden, auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Wir sagen: die digitale Transformation eines Unternehmens beginnt beim Menschen!
Die Arbeitswelt der Beschäftigten verändert sich zum Teil tiefgreifend. Es sind die Mitarbeitenden in den Unternehmen, die stark von der sich veränderten Arbeitswelt betroffen sind und diese aktiv gestalten und vorantreiben – oder eben auch ein Vorankommen ausbremsen können. Das richtige Arbeitsumfeld zu schaffen und die Mitarbeitenden auf die digitale Reise mitzunehmen, ist eine zentrale Aufgabe!
Diese Perspektive hat uns auch zu unserem Projektantrag "QualiDigi" motiviert. Durch das Projekt möchten wir zeigen, wie wichtig es ist, die Mitarbeitenden in den Mittelpunkt der zukünftigen digitalen Arbeitswelt zu stellen. Mit der Qualifizierungsoffensive "Digitale Kompetenzen" des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau haben wir nun ein Förderprojekt vorliegen, um Personalverantwortliche in einem modular aufgebauten Zertifikatslehrgang wichtige Inhalte für eine strategische und zukunftsgerichtete Personalentwicklung in Zeiten der Digitalisierung zu vermitteln. Mit zehn Pilotunternehmen testen wir aktuell die Methodik und zugrunde gelegte Modelle auf Praxistauglichkeit im Mittelstand.
Ich stelle mir den traditionellen baden-württembergischen Mittelstand eher konservativ vor. Das mag sicher ein Vorurteil sein, aber Hand aufs Herz: Wie leicht oder schwer tun sich Ihre Pilotunternehmen mit dem Thema Digitalisierung?
Digitalisierung ist ein weitgreifender Begriff. Sie betrifft neben der Einführung digitaler Tools und Technologien auch das Denken und Handeln der Mitarbeitenden.
Die meisten unserer Pilotbetriebe gehen bereits erste Schritte oder sind schon mittendrin. Wir sehen unsere Rolle darin, den Unternehmen in Zeiten des "digitalen Umbruchs" Orientierung oder Denkanstöße für weitere Entwicklungspotentiale zu geben. Die Offenheit für das „Neue“ besteht bei allen Pilotunternehmen und das ist das Wichtigste! Viele Unternehmen haben bereits Digitalisierungsprojekte angedacht. Das Tagesgeschäft, Fragen der Kapazität oder die ein oder andere Unsicherheit verhindert gerne mal die Umsetzung. Das gilt es zu überwinden. "Let’s do it" lautet dabei unser Motto.
Wir beobachten ja recht viele Initiativen in Deutschland, die sich in der einen oder anderen Form mit Digitalisierungs- und Qualifizierungsthemen befassen. Worin besteht die Besonderheit in Ihrem Projekt?
Der Lehrgang reicht weit über die reine Vermittlung von Inhalten hinaus. Getreu dem Motto Kennen – Wissen – Können legen wir den Schwerpunkt darauf, dass die Teilnehmenden das erlernte Wissen noch während des Lehrgangs in ihr Unternehmen einbringen. Gemeinsam mit den Teilnehmenden führen wir Workshops in den Unternehmen durch, um Maßnahmen für die Personalarbeit aus dem Blickwinkel der Unternehmensstrategie und der Digitalisierungsziele zu betrachten. Die darin verwendeten Tools werden zur Vorbereitung in einem digitalen Werkzeugkoffer bereitgestellt. In der zweiten Projektphase begleiten wir die Umsetzung der wichtigsten Maßnahme. Diese Transferunterstützung ist sicherlich eine Besonderheit bei unserer Vorgehensweise.
Eine weiterer Aspekt: Der Lehrgang ist als Blended-Learning-Format aufgebaut. Das bedeutet, dass sich Selbstlernphasen und Präsenztermine abwechseln. Ein Austausch zwischen den Teilnehmenden wird digital über Collaboration Tools sichergestellt und die Vernetzung geling unkompliziert über Online-Foren. Ein Lehrgangsformat, das nicht nur digitalisierungsrelevante Inhalte vermittelt, sondern gleichzeitig den Umgang der Teilnehmenden mit digitalen Technologien stärkt – das verstehen wir im RKW BW als neue Welt des Lernens!
Was bedeuten digitale Kompetenzen und können Sie aus Ihren Erfahrungen heraus vielleicht schon einige Hinweise geben, worauf mittelständische Unternehmen achten oder was sie tun können, um die Kompetenzen Ihrer Mannschaften zu verbessern?
Ich habe ein Psychologiestudium abgeschlossen und mich daher besonders gefreut, dass ich mein Wissen in unserem Projekt "QualiDigi" so unternehmensnah einbringen kann. Wissen Sie, warum Menschen handeln, wie Sie handeln? Neben spezifischem Wissen und Qualifikationen, die jeder Mensch immer wieder neu erwerben kann, bestimmen auch persönliche Kompetenzen unsere individuellen Verhaltensweisen. Diese Kompetenzen entstehen, indem wir jede Handlung im Nachgang reflektieren. So entwickeln sich Schemata, nach denen wir auch in Zukunft handeln. Die Kompetenzebene wird in einer digitalen, komplexen, unsicheren und sich ständig veränderndes Umfeld immer wichtiger. Der Mensch kann immer weniger auf spezielles erworbenes Wissen zurückgreifen sondern muss sich auf sich stetig weiterentwickelnde Kompetenzen verlassen.
Wir verstehen unter digitalen Kompetenzen neben dem Umgang mit Technologien noch weit mehr. In einer Welt der Digitalisierung sind besondere Kompetenzen speziell in den Bereichen "Ideen & Möglichkeiten generieren", "Ressourcen aktivieren" und "Handeln" wichtig. Das sind die drei Kompetenzfelder des EU-EntreComp-Modells, dem wir uns in unserem Projekt bedienen. Neben den klassischen Schulungen, beispielsweise zum Umgang mit digitalen Tools, rückt hier immer mehr das "Learning on the Job" in den Vordergrund. Die Unternehmen müssen ihrer Belegschaft vor allem den Rahmen dafür schaffen. Zum Beispiel sollte den Mitarbeitenden der Freiraum gewährt werden, über den Tellerrand hinauszuschauen und neue Ideen und Chancen der Digitalisierung im Unternehmen einzubringen. Dinge sollten auch einfach mal ausprobiert werden. Ebenfalls von großer Bedeutung ist eine neue (digitale) Gestaltung der Zusammenarbeit, die gerne über Fachbereiche hinaus gehen darf. So entstehen nicht nur gemeinsam neue Ideen, sondern die Mitarbeitenden lernen auch voneinander und erweitern so ihre Kompetenzen ganz nebenbei.
Aktuell sind durch die Corona-Krise sicher auch ganz andere Themen auf der Agenda der Unternehmen. Was bedeutet das für die Digitalisierungsbemühungen? Oder zugespitzter: Erhält die Digitalisierung nun Rückenwind oder verliert sie an Fahrt?
Aufgrund der Corona-Krise wurden viele Unternehmen gezwungen ihre Schritte in Richtung Digitalisierung zu erweitern beziehungsweise zu beschleunigen. Das sehen wir sehr deutlich! Vor allem im Bereich der digitalen Zusammenarbeit sind die Effekte sicherlich am stärksten ausgeprägt. Einige Unternehmen sind in einem weiteren Schritt dabei, ihr Geschäftsmodell neu zu denken oder teilweise schwerfällige und manuelle Arbeitsprozesse zu digitalisieren. Es gilt nun die Vor- und auch die Nachteile der Digitalisierung an den unterschiedlichen Stellen im Unternehmen besser zu kennen und im Bedarfsfall auch zukünftig die optimale Lösung zu wählen. Eine hohe Unsicherheit über die noch anstehende Entwicklung der Krise besteht aber natürlich noch immer, weshalb Investitionsvorhaben mit einem noch kritischeren Blick geprüft werden.
Wir sind uns allerdings einig, dass die aktuelle Situation die Arbeitswelt nachhaltig verändern wird. Das Ziel sollte daher sein, dass eine digitale Arbeitswelt in all ihren Facetten keine Besonderheit mehr darstellt, sondern in den Unternehmen als "the next normal" angesehen wird.
So konservativ der Ruf des baden-württembergischen Mittelstands vielleicht sein mag, so positiv wirken sich hohe Eigenkapitalquoten und Strukturen von familiengeführten Betrieben in einer Krisensituation wie dieser aber auch aus. Unsere Pilotbetriebe sind auch trotz Corona-Pandemie noch an Bord und halten an unserem Projekt fest. Das freut uns sehr!
Ganz pragmatisch konnten Sie in den vergangenen Wochen und Monaten vermutlich kaum in Workshops vor Ort mit den Unternehmen zusammenarbeiten. Wie sind Sie mit dieser Herausforderung umgegangen?
Durch Covid-19 war es uns nicht möglich die Präsenzveranstaltungen wie geplant durchzuführen. Wir haben daher sowohl unser Kick-Off sowie zwei geplante Workshop-Tage in Live-Online-Veranstaltungen beziehungsweise Virtual Classrooms übergeführt. Wir konnten auf diese Weise an allen Inhalten und dem Zeitplan des Lehrgangs festhalten.
Auch für uns war diese Situation neu und hat bei uns zu einen steilen Anstieg unserer eigenen Kompetenzen im Umgang und Verstehen digitaler Tools geführt. Dank der digitalen Möglichkeiten haben wir die im Training geplante Methodik inklusive Gruppen-Übungen, Abstimmungen oder Whiteboard-Arbeiten mit den entsprechend geeigneten Tools auch online realisiert. Darauf sind wir schon ganz schön stolz. Und das Feedback der Teilnehmenden ist unser größtes Lob.
Was wir für unsere zukünftige Arbeit darüber hinaus noch mitnehmen: Wir wollen unsere Angebote im RKW BW vielschichtiger gestalten und die Möglichkeiten, Workshops oder Trainings auch online durchzuführen, weiter ausbauen.
Wie können andere Unternehmen von den Ergebnissen profitieren? Und wie sehen Ihre nächsten Schritte im Projekt aus?
Nachdem wir den Lehrgang nun mit unseren ersten Pilotbetrieben erfolgreich durchlaufen haben, nutzen wir das Feedback der Teilnehmenden und unsere eigenen Erfahrungen und passen die Schwerpunkte und einzelne Inhalte nochmals an. Anfang des kommenden Jahres soll der überarbeitete Lehrgang weiteren Personalverantwortlichen zur Verfügung gestellt werden. Anfangs nochmal finanziell unterstützt durch die Förderung des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau in Baden-Württemberg. Später soll der Lehrgang fester Bestandteil im RKW-Weiterbildungsprogramm werden – denn unsere Erfahrungen zeigen: Die systematische Personalentwicklung und -planung mit Fokus auf die digitalen Kompetenzen ist ein erster wichtiger Schritt für die Digitalisierung in den Unternehmen.
An Stellen wie dieser oder auf unserer Website: www.rkw-bw.de berichten wir in regelmäßigen Abständen auch über unsere Einzelmaßnahmen. Gerne möchten wir auch die teilnehmenden Betriebe zu Wort kommen und planen zum Ende der Projektlaufzeit eine Roadshow durch Baden-Württemberg, um über die Projektergebnisse zu informieren. Wir freuen uns über jedes Unternehmen, mit dem wir uns gemeinsam auf die digitale Reise begeben können.
Unser Verständnis im RKW ist es Sparringspartner für den Mittelstand zu sein. Mit dem Projekt "QualiDigi" können wir genau das tun.
Frau Stehle, herzlichen Dank für das Gespräch!