Seit über 20 Jahren unterstützt Norbert Kunz Existenzgründer und hat als Mitbegründer verschiedener Organisationen maßgeblich an der Entwicklung sozialer Innovationen mitgewirkt. Seit einigen Jahren konzentriert sich der Geschäftsführer der gemeinnützigen Social Impact GmbH auf den Aufbau einer Infrastruktur für soziale Innovationen und auf die Unterstützung von Social Startups. Wir haben mit Norbert Kunz gesprochen – vor allem über die Motivation, sich für soziale Innovationen einzusetzen und über Herausforderungen, die die Umsetzung mit sich bringt.
Juliane Kummer: Herr Kunz, was macht eine Innovation sozial?
Norbert Kunz: Die Anerkennung eines innovativen Produkts oder einer Dienstleistung läuft über den Markt. Wenn man von einer sozialen Innovation spricht, heißt das nicht unbedingt, dass das Produkt oder die Dienstleistung vom Markt anerkannt werden muss, sondern primär von der Gesellschaft.
Können Sie uns Ihr Lieblingsbeispiel aus den Social Impact Labs nennen?
Ja, zum Beispiel „auticon“, ein Projekt für Asperger Autisten. Diese Menschen haben es schwer, am Arbeitsmarkt akzeptiert zu werden, weil sie aus Perspektive der Arbeitgeber eine Reihe von Defiziten ausweisen: Sie sind schwer sozial integrierbar, total ehrlich – was nicht unbedingt förderlich ist im sozialen Umfeld – und wahnsinnig sensibel. Gleichzeitig haben sie fast immer eine – oft mathematische – Inselbegabung. Ein weiteres Merkmal ist eine besonders hohe Konzentrationsgabe. Diese Eigenschaften sind für eine Industrie, die Softwareindustrie, von besonderem Interesse. Wenn man nämlich binäre Softwarecodes auf ihre Richtigkeit prüfen will, muss man a) ein wahnsinniges Zahlenverständnis haben und b) Konzentrationsfähigkeit. Man muss stundenlang auf Zahlenreihen schauen und die Muster erkennen, die dahinterstecken, und Autisten können das. Daraus hat auticon ein Geschäftsmodell entwickelt, das Asperger Autisten als Systemsoftwareprüfer qualifiziert und sie als IT-Consultants einsetzt. Bezahlt werden sie wie ganz normale IT-Consultants. Inzwischen hat sich daraus ein ansehnliches Geschäftsmodell entwickelt mit, ich glaube, 80 angestellten Asperger-Autisten und fünf Standorten.
Das ist ein beeindruckendes Beispiel. Was motiviert denn die jetzigen sozialen Innovatoren?
In vielen Fällen haben die Gründer einen eigenen biografischen Bezug zu dem Themenfeld, in dem sie aktiv werden, wie bei mir auch. Aber gerade bei jüngeren Leuten spielen noch andere Aspekte eine Rolle: Es geht darum, soziales und unternehmerisches Engagement zusammenzubringen und die eigene Selbstwirksamkeit zu erleben. Also spielen oft auch persönlichkeitsbildende Faktoren eine Rolle.
Wenn es an die Umsetzung von Ideen geht – was sind die speziellen Herausforderungen, denen Social Startups begegnen?
Soziale Geschäftsmodelle müssen meist eine vielschichtige Kundenbeziehung etablieren. Oft sind ihre unmittelbaren Nutznießer, die Primärkunden, nicht in der Lage, die Leistung zu bezahlen, die sie in Anspruch nehmen. Mithin steht der Sozialunternehmer vor der Herausforderung, Kundengruppen zu gewinnen, die die Leistung nicht in Anspruch nehmen, aber bereit sind, dafür zu bezahlen – Sekundärkunden. Aus dieser Konstellation heraus ergibt sich ein komplexes Geschäftsmodell. Durch die Doppelkundenbeziehung erhalten die Marketingstruktur, die Finanzierungsstruktur, auch die Art und Weise: „Wie messe ich Erfolg?“, „Wie messe ich meinen Impact?“ „Wie schaffe ich die wirtschaftliche Stabilität?“– alles einen höheren Komplexitätsgrad. Diese Komplexität muss man managen können. Eine weitere Herausforderung ist Finanzierung. Banken haben Angst davor, innovative Geschäftsmodelle zu finanzieren, weil sie die Wirksamkeit nicht beurteilen können. Das heißt, es bleiben eigentlich nur Finanzierungsoptionen über Investoren. Aber Investoren erwarten in der Regel relativ hohe Gewinne, und das ist gerade im sozialen Umfeld nicht zu erreichen. Es ist auch nicht das Ziel von einem sozialen Unternehmen. Insofern ist es sehr schwer, die Finanzierung für ein Sozialunternehmen aufzubauen. Es gibt halt noch viel zu wenig Impact Investoren, viel weniger als man hoffen sollte. Aber auch wenn es noch nicht genügend Investoren in dem Feld gibt, ist wahrzunehmen, dass sich soziale Innovationen zu einem Trend entwickeln. Die Welt zu einem besseren Ort zu machen ist „in“.
Wie schätzen Sie diesen Trend im Hinblick auf die Zukunft ein?
Ich kann nur hoffen, dass der Trend anhält, sonst haben wir keine Zukunft. Es gibt so viele schlechte Nachrichten aus der Welt, dass man einfach die Hoffnung haben muss, dass es uns gelingt, viele Blumen wachsen zu lassen. Ich glaube, die Fantasie, die Kreativität von Menschen ist die einzige wirkliche Macht, die uns hilft, die gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen.
Ich sehe schon, dass immer mehr, vor allem auch junge Menschen gemerkt haben, dass es nicht darum gehen kann, individuell nur maximalen Reichtum zu generieren. Dass einen das nicht glücklich macht und dass es auch die Welt nicht rettet oder hält, sondern dass man sich engagieren muss. Deshalb glaube ich und hoffe, dass dieser Trend noch die nächsten Jahre anhalten wird und dass wir noch viele soziale Innovationen bekommen werden.
Herr Kunz, herzlichen Dank für das Gespräch!
Dieses Interview ist in gekürzter Form dem RKW Magazin 1/2017 entnommen. Gern können Sie weitere Beiträge in der PDF lesen, oder bestellen Sie sich gleich eine Printausgabe!
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