Wie allen größeren und kleineren Hypes begegnen wir auch diesem aufmerksam, aber mit der gebotenen Vorsicht: Aufmerksam, weil sie oft genug einen „wahren Kern“ enthalten, etwas, das bedenkenswert erscheint und das ganz bodenständig und pragmatisch eingesetzt einen echten Mehrwert verspricht. Vorsicht, weil sich die unweigerlichen Heilsversprechen in der Realität meist als haltlos erweisen.
Geschäftsmodelle, oder: der Wesenskern von Unternehmen
Ein Geschäftsmodell wie wir es verstehen, ist nicht nur die Art und Weise, wie ein Unternehmen Geld verdient, sondern nichts weniger als sein Wesenskern. Welche Aspekte diesen Kern im Detail ausmachen, darüber streiten die Geister. Wir persönlich bevorzugen ein relativ kompaktes Modell, das übersichtlich, flexibel einsetzbar und leicht anpassbar ist:
- Kunden: Wer sind unsere Zielkunden?
- Kanäle: Wie gestalten wir die Schnittstelle zu diesen Kunden?
- Angebote: Was wollen wir diesen Kunden bieten?
- Prozesse: Wie können wir diese Leistungen erbringe?
- Erlösmodelle: Wie verdienen wir damit ausreichend Geld?
Den Rahmen dafür bilden bei vielen mittelständischen Unternehmen die Interessen der Eigner und (natürlich) die ganz spezifischen Umweltbedingungen.
Wenn die Umwelt das eigene Geschäftsmodell zu überholen droht
Nüchtern betrachtet ist die laufende Anpassung des Geschäftsmodells nichts Neues oder gar Ungewöhnliches und immer schon integraler Bestandteil von Unternehmertum. Das gilt im Übrigen auch für Geschäftsmodellinnovationen, also größere Veränderungen.
Was sich aber unserer Beobachtung nach verändert, ist die Geschwindigkeit, mit der sich die Unternehmensumwelt wandelt. Vollzog sich dies früher eher schrittweise und langsam und traten neue Geschäftsmodelle eher selten auf, hat sich die Schlagzahl in den letzten Jahren in vielen Branchen deutlich erhöht. Ein wesentlicher – wenn auch beileibe nicht der einzige oder zwingend wichtigste – Veränderungstreiber ist dabei die voranschreitende Digitalisierung.
In der Folge begegnen wir Kfz-Händlern, die ihr ganzes Geschäft in Frage stellen, Automobil-Zulieferern, die sich fragen, wie folgenreich sie der Bedeutungsverlust von Verbrennungsmotoren treffen könnte oder Handwerksbetrieben, die plötzlich neuen und stark digitalisierten Konkurrenten gegenüber stehen. Und mitunter treffen wir findige Unternehmerinnen und Unternehmer, die aktiv die Spielregeln ihrer Branche selbst zu verändern suchen. Aber um der Wahrheit Genüge zu tun: Wir begegnen mindestens genauso vielen Unternehmen, die sich von diesem Wandel nur am Rande betroffen fühlen und sich mit graduellen Anpassungen auch in Zukunft noch gut aufgestellt sehen.
Daß ich erkenne, was die Welt Im Innersten zusammenhält, Schau alle Wirkenskraft und Samen, Und tu nicht mehr in Worten kramen.
Johann Wolfgang von Goethe, Faust: Eine Tragödie
Geschäftsmodellentwicklung: Arbeit an der inneren Wahrheit des Unternehmens
Ändern sich die Spielregeln einer Branche, die technischen Möglichkeiten oder der Taktgeber im Unternehmen, wird das eigene Geschäftsmodell in der Regel zumindest in Frage gestellt – eine Phase der Selbstvergewisserung und Neujustierung, also letztlich der Strategiearbeit. Ob nun am Ende dieses Prozesses eine Innovation oder eine Anpassung des Geschäftsmodells steht, spielt unterm Strich keine große Rolle. Entscheidend ist vielmehr, ob die Lösung sich als tragfähig erweist, angesichts der Ambitionen der Entscheider, der Erwartungen der Kunden, der Dynamiken in der Unternehmensumwelt und der Umsetzbarkeit im Unternehmen.
Strategiearbeit im Allgemeinen und die Arbeit am Geschäftsmodell im Besonderen erleben wir im Kern als kommunikativen Prozess. Kaum verwunderlich, geht es hier doch an die Aushandlung dessen, was das Unternehmen heute und in Zukunft ausmacht. Wir bezeichnen das als „Arbeit an der inneren Wahrheit“ des Unternehmens. Konkret heißt das, dass geteilte, aber vor allem auch unterschiedliche Wahrnehmungen, Einschätzungen, Vorstellungen, persönliche Interessen und Bedürfnisse ausgelotet, sinnvoll kanalisiert und möglichst fruchtbar miteinander in Kontakt gebracht werden wollen.
Begleiten wir ein Unternehmen auf dieser Reise, tragen wir dem Rechnung, indem wir zunächst das bestehende Geschäftsmodell würdigen. Hier geht es nicht so sehr darum, in analytischer Detailarbeit einzelne Verbesserungspotenziale zu identifizieren, die es später abzuarbeiten gilt. Vielmehr gilt es, die derzeitige innere Wahrheit des Unternehmens so knapp wie möglich, aber so tiefgreifend wie nötig herauszuarbeiten. Hier nutzen wir das Geschäftsmodell als Wegweiser, um die wichtigsten Aspekte getrennt, aber im Bezug zueinander zu diskutieren und wo nötig durch Analysen gezielt zu vertiefen. Dieser flexible Rahmen hilft, Komplexität sinnvoll zu reduzieren, sich im Kreis drehende Diskussionen zu kanalisieren, einen fokussierten Austausch sicherzustellen sowie die Ergebnisse in einem konsistenten Gesamtbild zu verdichten.
Vor diesem Hintergrund lassen sich die zu erwartenden Veränderungen in der Umwelt besser interpretieren und das Morgen sinnvoll und „geerdet“ gestalten. Schließlich erleben wir in kleinen oder mittleren Unternehmen in aller Regel, dass das Neue in einem sehr engen Bezug zum Alten steht.
Statt die Aufmerksamkeit maßgeblich auf die Analyse des Heute zu lenken, reservieren wir ausreichend Kraft für das Morgen: dem Öffnen für mögliche Szenarien, dem lösungsoffenen Erarbeiten, Hinterfragen, Weiterentwickeln und (Aus)Sortieren vielversprechender Optionen. Gelingt dieser Schritt, ergeben sich die folgenden relativ selbstverständlich: Die Ausarbeitung eines geteilten Bildes davon, was das Unternehmen morgen ausmachen soll und eines Fahrplans, wie es sich diesem Ziel nähern kann. Ohne die Rolle des Geschäftsmodells als Ordnungsrahmen überstrapazieren zu wollen: Gerade an dieser Stelle kann es einen Unterschied machen. Wenn es nämlich gelingt, den zukünftigen Wesenskern eines Unternehmens zugespitzt, aber im Gesamtzusammenhang auf den Punkt zu bringen. Beschränkt sich ein Tochterunternehmen beispielsweise weiterhin auf seine Rolle als Zulieferbetrieb oder definiert es sich innerhalb der Holding zukünftig darüber hinaus auch als „Ohr und Labor“ für neue Märkte, und was muss das Unternehmen für Voraussetzungen schaffen, um dieser Aufgabe zukünftig gerecht werden zu können? In solchen Fällen erweist sich das Geschäftsmodell als sinnvolle Kommunikationsplattform und geeigneter Ausgangspunkt, um Gemeinsamkeiten und Trennlinien in der Einschätzung herauszuarbeiten, die Ideen gemeinsam zu tragfähigen Optionen weiterzuentwickeln und bestenfalls Stakeholdern und Mitarbeitern verständlich zu machen.
Der Autor:
Alexander Sonntag ist Soziologe, gelernter Schreiner, Vater von zwei Kindern und leitet gemeinsam mit Patrick Großheim das Projekt „Wettbewerbsfähig mit digitalen Geschäftsmodellen und Personalstrategien“ im RKW Kompetenzzentrum. Dort erarbeitet er mit und für kleine und mittlere Unternehmen Angebote zu den Themen Geschäftsmodellentwicklung, Digitalisierung und strategische Personalarbeit – „Chefsachen“ eben.
Diesen und weitere Artikel zum Thema finden Sie in unserer Publikation "Chefsachen" (Ausgabe 1/2018).
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