... "fremdorganisierte Selbstorganisation" wird die Vereinbarkeit von dezentraler und zentraler Steuerung wie auch von hierarchischen und nicht hierarchischen Steuerungsmechanismen proklamiert.

Diese paradoxen Formulierungen spielen darauf an, dass die Steuerung über Hierarchie das zentrale Medium für die Koordination von nicht hierarchischen Koordinationsformen wie Markt oder Verständigung ist. Innerhalb der Organisation kann die Hierarchie sehr effektiv dazu genutzt werden, Autorität auszuweisen, die nicht an Bedingungen der Unter- und Überordnung gebunden ist.

Die regelmäßigen Debakel langfristiger Planung zeigen, dass die Organisationen des 21. Jahrhunderts nicht an zu viel, sondern an zu wenig innerer Komplexität und Unsicherheit leiden. Manager und Mitarbeiter scheinen sich von der lange Zeit so populären Annahme zu trennen, dass Unsicherheit und Instabilität die Konsequenzen aus Inkompetenz und Ignoranz sind. Vielmehr werden diese Ungewissheiten immer mehr als ein notwendiges, ja lebenswichtiges Fundament für die Organisationen des 21. Jahrhunderts begriffen.

Sicherlich – Komplexität, Chaos und Instabilität zerstören die alltäglichen Routinen in der Organisation; Routinen, die nicht selten einen erheblichen Teil der Wertschöpfung garantieren. Aber gerade dieser Prozess der kreativen Zerstörung scheint – so jedenfalls die Auffassung in der Managementliteratur – den Platz für Innovation und Wandel zu schaffen. Gefahren der Unsicherheit und Instabilität wandeln sich so in Möglichkeiten der Überraschung. Chaos wird zum „Wagniserreger“.

Damit der Prozess der Zerstörung kreativ und nicht ruinös ist, Unsicherheit und Komplexität nicht zur explosiven Bedrohung werden, sondern sich produktiv von den Organisationen nutzen lassen, scheint man in Organisationen danach zu streben, das Chaos organisationell zu begrenzen. Organisationen müssen – so die Auffassung – ihre innere Komplexität erhöhen, sie aber durch vereinfachte, dezentralisierte Strukturen beherrschbar machen.

Organisationen müssen sich offenbar zunehmend mit gegensätzlichen, paradoxen Anforderungen auseinandersetzen: Sie sehen den Zwang, ihre Komplexität gleichzeitig zu steigern und zu reduzieren. Sie müssen desintegrieren, und sie müssen gleichzeitig integrieren. Sie müssen global auftreten und gleichzeitig lokal verankert sein. Sie müssen sowohl kreatives Chaos als auch Ordnung organisieren, sie müssen flexibel und stabil sein. Es herrscht immer mehr die Meinung vor, dass der Umgang mit Dilemmata, Ambiguitäten und Widersprüchlichkeiten zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor für Organisationen wird.

Die Herausforderung scheint für Organisationen darin zu bestehen, die beiden Seiten eines Dilemmas gleichzeitig wirksam werden zu lassen. Die beiden sich eigentlich widersprechenden Pole müssen sich – so die sich im Management durchsetzende Meinung – in Organisationen zur gleichen Zeit entfalten können. Erst durch diese neuartige Mischung von Mechanismen der Flexibilität und der Stabilität könnten Organisationen ihre Leistungsfähigkeit erhalten und steigern. Nur der simultane Doppelbezug auf Wiederholung und Wandel hebe Organisationen auf ein Niveau, auf dem Flexibilitätsanforderungen und Prozessintegration miteinander vereinbar seien.

Nicht die einseitige Betonung von Wandlungsfähigkeit, sondern eine intelligente Mischung von Routinen, Ritualen und Programmen mit einer Öffnung der Organisation für Veränderungen ermögliche es, externes Chaos produktiv umzusetzen, ohne an übersteigerter interner Unsicherheit zugrunde zu gehen.

Der Autor:
Stefan Kühl ist Professor für Organisationssoziologie an der Universität Bielefeld. Er arbeitet als Organisationsberater bei der Metaplan® – Thomas Schnelle Gesellschaft für Planung und Organisation mbH für Unternehmen, Ministerien und Verwaltungen. Von ihm erschienen vor kurzem in Neuauflage „Wenn die Affen den Zoo regieren. Die Tücken der flachen Hierarchien“ (Campus 2015) und „Sisyphos im Management. Die vergebliche Suche nach der optimalen Organisationsstruktur“ (Campus 2015). Kontakt: stefan.kuehl@uni-bielefeld.de

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