Karriereformen und Karrierelaufbahnen
Zur Beschreibung von Karrieren wird zumeist die hierarchische Struktur von Unternehmen, die ein formales Über- und Unterordnungsverhältnis ermöglicht, herangezogen (Friedli, 2008). Grob können alle Karriereformen in eine Systematik eingeordnet werden, die zwischen vertikalen und horizontalen Karrieren unterscheidet. Eine vertikale Karriere, auch lineare Karriere genannt, geht mit dem Aufsteigen in einer Unternehmenshierarchie einher, wohingegen eine horizontale Karriere mehr Freiräume zulässt, indem sie eine Abfolge von verschiedenartigen Karriereschritten beschreibt, die Seitwärtsbewegungen (zum Beispiel durch Job-Rotation, Projekteinsätze, Auslandsaufenthalte etc.) und Abwärtsbewegungen inkludiert (Bohnic, 2008).
Karrierelaufbahnen, auch Karrierepfade genannt, bilden in ihrer Gesamtheit das Karrieremodell bzw. Karrieresystem eines Unternehmens (Wohlfahrt, Moll & Wilke, 2011). Dieses bietet das betriebliche Gerüst, um eine Karriere – beeinflusst durch das gemeinsame Wirken betrieblicher Gelegenheiten sowie individueller Verhaltensweisen – zu gestalten (Berthel, 1995, 2000). Berthel (2000) erklärt den Begriff der Karrierelaufbahn anhand von typischen Bewegungsprofilen, die durch bewusste Entscheidungen ausgestaltet werden. Eine Karrierelaufbahn ist entsprechend als historisch entstandenes und deshalb für das spezifische Unternehmen typisches Bewegungsprofil zu verstehen, das aus einer Abfolge von üblicherweise nacheinander durchlaufenen Positionen resultiert und durch bewusste Unternehmensentscheidungen ausgestaltet wird. Etablierte Karrierelaufbahnen legen einen „generalisierten Versetzungsmodus“ (Thom, 2008, S. 12), eine unternehmensspezifische Beförderungspraxis, fest (Thom, 2008; Berthel, 2000). Durch bewusste Unternehmensentscheidungen, die eine Positionsbesetzung veranlassen, entsteht eine organisationale Karrierelogik (Mayrhofer, 1996). Für einen Außenstehenden werden anhand organisationaler Karrierelogiken die Intentionen und Überlegungen eines Unternehmens beobachtbar, die mit Hilfe von Karrierelaufbahnen verfolgt werden (Hermann, 2004). Die Ausgestaltung von Karrierelaufbahnen liegt im Ermessen eines jeden Unternehmens, weshalb sich Karrierelaufbahnen vorrangig hinsichtlich der Anzahl an Karrierestufen, deren Aufeinanderfolge und der höchstmöglich zu erreichenden Position unterscheiden (Berthel, 1997, 2000).
Wie bereits diskutiert, wird unter der klassischen Karriere vorrangig der Aufstieg innerhalb eines Unternehmens verstanden, der mit dem Aufstieg in immer höhere Hierarchiestufen verbunden ist (Hall, 2002). Bei dieser traditionellen Karriere handelt es sich um eine vertikale Karriere. Da ein traditioneller Aufstieg mit steigendem Einfluss auf Unternehmensentscheidungen einhergeht und vorrangig durch zunehmende Personal- und Budgetverantwortung gekennzeichnet ist, wird diese Karriere mit Management- und (Personal-)Führungsaufgaben in Verbindung gebracht. Daraus resultiert der Name der Management- bzw. Führungskarriere (Domsch & Ladwig, 2011; Bohnic, 2008; Hall, 2002). Im Zuge von aktuellen Entwicklungen, wie dem Lean Management und der Verschlankung von Unternehmensstrukturen, die mit der Abflachung von Unternehmenshierarchien einhergehen, sind Karrieremöglichkeiten innerhalb einer traditionellen Führungslaufbahn rückläufig (Friedli, 2008). Um trotz des Nachfrageüberschusses an Entwicklungsmöglichkeiten guten Mitarbeitern Karriereperspektiven zu bieten, müssen Optionen angeboten werden, die über die Führungskarriere hinausgehen.
Eine weitere Möglichkeit zum vertikalen Aufstieg bietet die sogenannte Expertenlaufbahn. Dieses Karrieremodell ist für die vorliegende Arbeit besonders relevant, weshalb das Konzept der Expertenlaufbahn im Kapitel 3 Expertenlaufbahnen umfassend erläutert wird. An dieser Stelle wird vorgreifend ein kurzer Überblick zu Expertenlaufbahnen gegeben, um die Fachkarriere theoretisch einzuordnen.
Um eine Alternative zu Führungslaufbahnen in Unternehmen zu etablieren, haben sich Expertenlaufbahnen („dual ladder career“, „dual system“) als Karrieremöglichkeit für Fachexperten aufgetan (Bailyn, 1991; Katz & Allen, 1985). Eine Fachkarriere ist gekennzeichnet durch den hierarchischen Aufstieg, der mit einem vergrößerten Handlungsspielraum, dem vermehrten Einsatz von Expertenwissen und der Übernahme von zunehmender Fachverantwortung in Zusammenhang gebracht wird (Friedli, 1999 nach Thom, 2008). Der große Unterschied zur Führungskarriere liegt im inhaltlichen Fokus von Fachkarrieren: Die ständige Kompetenzerweiterung in einem festgelegten Fachgebiet ist das, worauf es bei Fachkarrieren ankommt, wohingegen die Übernahme von Führungsaufgaben kaum eine Rolle spielt. Statt den Führungskräftenachwuchs zu sichern, gehen die Bemühungen zur Implementierung von Expertenlaufbahnen eher dahin, für einen Expertennachwuchs zu sorgen (Domsch & Ladwig, 2011).
Die anhaltende Debatte darüber, wie Karrieren aus organisationaler Sicht gestaltet werden sollten, beschäftigt sowohl Wissenschaftler als auch Praktiker in großem Maße. Aus diesen Hintergründen heraus haben sich verschiede Ansätze entwickelt, aus denen Konzepte zur Realisierung horizontaler Karrieren entstanden sind (Rump et al., 2014; Valcour, Bailyn & Quijada, 2007). Allgemein ist eine horizontale Karriere als Kompetenzentwicklung durch eine „gelungene Verzahnung von Persönlichkeits-, sozialer, methodischer und fachlicher Kompetenz eines Mitarbeiters“ (Burchard, 2000, S. 29) zu verstehen. Zu diesen verschiedenen Ansätzen zählen zum Beispiel die Konzepte der hybriden Karriere (Bailyn, 1982, 1991), boundaryless career (Arthur & Rousseau, 1996; Segers, Inceoglu, Vloeberghs, Bartram & Henderickx, 2008; Sullivan & Arthur, 2006), protean career (Briscoe et al., 2006; Hall, 1976, 1996a; Joseph, Boh, Ang & Slaughter, 2012; Segers et al., 2008; Valcour & Ladge, 2008), Knowhow-/Flächenkarriere (Fuchs, 1998, 2006) und der Patchwork-Karriere (Zaugg, 2008). Gemeinsam ist diesen Konzepten, dass sie statt einer linearen Karriereentwicklung, physische und psychische Mobilität, die ständige Kompetenzerweiterung oder die Verbesserung der Marktfähigkeit (Employability) als Karriereschritte betrachten.
Baruch (2006) weist drauf hin, dass eine klare Unterscheidung von traditionellen und neueren Karrierekonzepten nicht zwingend notwendig ist. In der Unternehmenspraxis haben sich Karrieresysteme etabliert, die verschiedene Elemente traditioneller und moderner Karrierekonzepte verknüpfen, woraus eine gesteigerte Komplexität und Flexibilität bezüglich der Gestaltung von Karrieren resultiert. Dies kann von Unternehmen genutzt werden, um zukünftig Karrierelaufbahnen zu entwickeln, die verschiedene Aspekte integrieren.