Konzeption von Expertenlaufbahnen
Im Vorfeld zur eigentlichen Gestaltung einer Expertenlaufbahn muss eine Entscheidung bezüglich der Ausrichtung des Expertenlaufbahnkonzeptes getroffen werden. Da kein Modell existiert, das für alle Unternehmen passend ist, sollte ein unternehmensspezifisches Konzept erstellt werden, das der jeweiligen Unternehmensstrategie gerecht wird und zur Unternehmenskultur passt. Trost (2014) und Sieber Bethke (2013) unterscheiden zwischen vier Ansätzen zur Konzeption von Expertenlaufbahnen, die sich hinsichtlich der Fokussierung und der internen Reichweite unterscheiden. Der Fokus von Expertenlaufbahnen kann entweder auf der Person oder auf dem Unternehmensbedarf liegen. Die interne Reichweite gibt Auskunft darüber, wie viele Mitarbeiter durch die Expertenlaufbahn gefördert werden, ob die Expertenlaufbahn also eher konservativ angelegt ist oder ob möglichst viele Mitarbeiter die Expertenlaufbahn einschlagen. Abbildung 1 stellt diese vier Ansätze dar. Welcher dieser Ansätze gewählt wird, sollte an die strategische Frage anknüpfen, in welchen Unternehmensbereichen zukünftig Experten benötigt werden und über welche Kompetenzen diese verfügen müssen (Francke & Chmielarski, 2010).
Der erste Ansatz, mit Fokus auf der Person und geringer interner Reichweite, wird als Elitemodell bezeichnet. In diesem Modell werden nur sehr wenige Personen innerhalb der Expertenlaufbahn gefördert (0,2 bis 5 Prozent im Verhältnis zu Personen, die Führungspositionen einnehmen), die über erfolgskritisches Wissen verfügen, welches sowohl innerhalb als auch außerhalb des Unternehmens in der wissenschaftlichen Gemeinschaft anerkannt ist. Diesen wenigen Mitarbeitern werden attraktive Anreize und Privilegien geboten, die ihren individuellen Anforderungen entsprechen, um diese strategisch wichtigen Experten an das Unternehmen zu binden. Ein Nachteil, der bei diesem Modell auf der Hand liegt, ist das die Fehlbesetzungen von elitären Expertenpositionen oder Misserfolge in diesen Positionen schwerwiegende Folgen für das Unternehmen haben (Lang, 2009). Außerdem ergeben sich Probleme, sollten diese Experten doch abwandern.
Der zweite Ansatz fokussiert hingegen den Unternehmensbedarf, indem die Besetzung von wenigen Expertenpositionen im Vordergrund steht. Ebenso wie beim Elitemodell wird auf eine geringe interne Reichweite abgezielt. Dieses Modell wird als Spitzenmodell bezeichnet, bei dem maximal ein 1:5-Verhältnis von Expertenstellen zu Führungsstellen angestrebt wird. Mitarbeiter bekommen in diesem Modell hochwertige Aufgaben übertragen und werden mit zentralen Befugnissen ausgestattet. Ziel des Unternehmens ist es, bei der Anwendung dieses Modells Experten- und Führungsaufgaben klar zu differenzieren, damit sich Experten voll den Fachaufgaben zuwenden können. Da hier der Unternehmensbedarf im Mittelpunkt steht, sind Experten oft in Unternehmensprozesse eingebunden und die Anreize und Privilegien richten sich nicht nach den Wünschen der einzelnen Mitarbeiter.
Bei dem dritten Ansatz, dem Breitenmodell, liegt ebenfalls ein organisatorischer Bedarf vor, jedoch besitzt dieses Modell eine größere interne Reichweite als das Spitzenmodell. Hier machen Expertenstellen einen wesentlich größeren Anteil aus, der 25–40 Prozent der Führungsstellen entspricht. Oftmals werden Fachexperten in diesem Modell weder besondere Befugnisse zugesprochen, noch wird eine gesonderte Kennzeichnung der Experten in der Organisationsstruktur vorgenommen. Ein Nachteil dieses Expertenlaufbahnmodells ist, dass es im Vergleich zur Führungslaufbahn wenig attraktiv erscheint und daher die Akzeptanz des Modells unter Mitarbeitern geringer ist. Die drei Modelle Elitemodell, Spitzenmodell und Breitenmodell können als Stellensysteme verstanden werden, die zusätzlich zur etablierten Führungshierarchie implementiert werden und wenigen Spezialisten als Karrierealternative dienen (Deuter & Stockhausen, 2011).
Das vierte Modell stellt kein Expertenlaufbahnmodell im engeren Sinne dar, da es allen Mitarbeitern, die keine Führungslaufbahn einschlagen, die Möglichkeit zur Expertenkarriere eröffnet. Es ermöglicht eine durchgängige Strukturierungsmethode für alle Mitarbeiter ohne Führungsambitionen (Deuter & Stockhausen, 2011). Bei Anwendung dieses Modells entstehen mehr Expertenstellen als Führungsstellen. Es wird daher als das Pseudo-Modell bezeichnet. Der Fokus dieses Modells liegt bei der Person, und es besitzt eine große interne Reichweite. Vorteilhaft ist, dass dieses Modell allen Mitarbeitern die Möglichkeit zur systematischen Weiterentwicklung bietet. Gleichzeitig ist als Nachteil dieses Modells zu nennen, dass keine motivationale Wirkung für solche Mitarbeiter entsteht, die tatsächlich das Potenzial besitzen, hohe Funktionen innerhalb eines der zuvor vorgestellten Expertenlaufbahnmodelle zu besetzen. In der Vergangenheit wurden Expertenlaufbahnen oft als Pseudo-Laufbahnen eingeführt und dadurch nicht als wahre Alternative zur Führungslaufbahn wahrgenommen. Aus diesem Grund ist die Gleichwertigkeit zur Führungslaufbahn ein sehr bedeutsames Gestaltungsmerkmal (Friedli, 2002). Hierauf wird im nächsten Kapitel 3 Gestaltungsdimensionen von Expertenlaufbahnen detailliert eingegangen.
Bestenfalls werden Expertenlaufbahnen so konzipiert, dass sie mit bereits etablierten Personalprozessen kompatibel sind. Es ist vorteilhaft, wenn durch Expertenlaufbahnen möglichst wenig zusätzliche Strukturen geschaffen werden, sondern Anknüpfungspunkte zu und Verzahnungen zwischen bestehenden Prozessen und Strukturen genutzt werden (Francke & Chmielarski, 2010). Dies bezieht sich vorrangig auf flankierende Personalmaßnahmen wie das Talentmanagement, bestehende Auswahlinstrumente oder Qualifizierungsund Weiterbildungsprogramme, aber auch auf die Zusammenarbeit zwischen dem Personalwesen und den betreffenden Führungskräften bei der individuellen Karriereplanung von Mitarbeitern (Wohlfahrt et al., 2011).
Um von Mitarbeitern als attraktive Karrierepfade wahrgenommen zu werden und eine Anreizwirkung zu besitzen, müssen Expertenlaufbahnen derart konzipiert werden, dass sie die Bedürfnisse der Mitarbeiter nicht verfehlen (Steiner & Baake, 2013). Eine Möglichkeit, um auf individuelle Wünsche von Mitarbeitern einzugehen, bietet die Flexibilisierung von Karrierekonzepten im Sinne der hybriden Karrieren nach Bailyn (1991). Hierbei wird eine individuelle Gestaltung der Karriere ermöglicht, indem verschiedene vordefinierte Bausteine angeboten werden, die miteinander kombiniert werden können. Aus Komplexitätsgründen können Unternehmen in der Regel keine maßgeschneiderten Karrieren zulassen, die sich völlig an den Vorstellungen eines Individuums orientieren, so dass das Baukastenprinzip eine realistische Alternative darstellt, die sich zunehmend durchsetzt (Kels, 2009).
Bei der Konzeption von Expertenlaufbahnen ist es empfehlenswert, von Anfang an Mitarbeiter einzubinden, die direkt von dem Vorhandensein einer Expertenlaufbahn betroffen sind. Ein partizipatives Vorgehen stellt sicher, dass die Vielzahl relevanter Aspekte bereits bei der Entwicklung ausreichend berücksichtigt wird. Insofern sollten anerkannte Spezialisten der Fachgebiete, Führungskräfte sowie Mitarbeiter aus dem Personalwesen und der Organisationsentwicklungsabteilung in einer Arbeitsgruppe zusammenkommen und gemeinsam einen Entwurf für eine Expertenlaufbahn erarbeiten (Domsch, 1994; Domsch & Ladwig, 2011; Wohlfahrt et al., 2011). Um Schwierigkeiten bei der Einführung von Expertenlaufbahnen zu vermeiden, ist es darüber hinaus angemessen, die Arbeitnehmervertretung von Beginn an einzubeziehen (Gerpott, 1994; Berthel & Koch 1985). Der Arbeitsauftrag an eine solche Arbeitsgruppe sollte unter anderem Folgendes umfassen: die Auswahlkriterien, die zur Aufnahme in eine Expertenlaufbahn angelegt werden, sowie das Auswahlverfahren, die klare Abgrenzung und Anzahl an Entwicklungsstufen innerhalb der Expertenlaufbahn mit zugehörigen Aufgaben, Reportingstrukturen, Gehaltsbandbreiten sowie Statussymbole, die Festlegung von Leistungsbeurteilungskriterien und die Sicherung der Gleichwertigkeit zur Führungslaufbahn (Sieber Bethke, 2007; Domsch & Ladwig, 2011; Francke & Chmielarski, 2010; Gerpott, 1994; Trost, 2014). Werden diese Aspekte nicht ausreichend ausgearbeitet, droht die Koexistenz von zwei Unternehmenskulturen, bei denen die Führungslaufbahn viel besser definiert ist als die Expertenlaufbahn. Dies gilt es unbedingt zu vermeiden, da hieraus Unsicherheiten in Bezug auf die Expertenlaufbahn entstehen, welche ein hohes Frustrationspotenzial für die Mitarbeiter bergen, die die Expertenlaufbahn einschlagen (Badawy, 1995). Diese Herausforderungen werden im Kapitel 5 Gestaltungsdimensionen von Expertenlaufbahnen umfassend besprochen.