Hintergrund

Erwerbsverläufe in der mittel­ständischen Bauwirtschaft gestalten

Der demografische Wandel verändert maßgeblich unsere gesellschaftliche, politische und ökonomische Situation. Wie das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in seiner letzten Veröffentlichung zur Bevölkerungsentwicklung ermittelt hat, wird die Zahl der in Deutschland lebenden Menschen bis zum Jahr 2060 um 12 bis 17 Mio. zurück­gehen. Dabei wird zu diesem Zeitpunkt der Anteil der Kinder (unter 20 Jahren) von heute 14,9 Mio. um 16 Prozent auf etwa 10 bis 11 Mio. abnehmen. Gleichzeitig wird voraussichtlich auch die Zahl der Erwerbsbevölkerung von heute 50 Mio. um ein Viertel schrumpfen, während der Anteil der über 65-­Jährigen weiter auf 34 Prozent ansteigen wird.

Vor diesem Hintergrund hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) das Programm "Demografischer Wandel als betriebliche Herausforderung – Veränderungen frühzeitig erkennen und erfolgreich gestalten" initiiert, um Menschen nachhaltig und zukunftsorientiert beim Erhalt ihrer Arbeits-­ und Beschäftigungsfähigkeit zu unterstützen. Im Rahmen dieses Programms wurde auch das Projekt "Gestaltung inner-­ und überbetrieblicher Erwerbsverläufe in der mittelständischen Bauwirtschaft" gefördert.

Der Baubranche fehlen bereits heute Fachkräfte, und viele Un­ternehmen beklagen, offene Ausbildungsstellen nicht beset­zen zu können. Die Sozialpartner prognostizieren sogar einen Fachkräftemangel von circa 60.000 bis zum Jahr 2020. Dieser Trend wird sich fortsetzen.

Das RKW Kompetenzzentrum, RG-­Bau hat gemeinsam mit seinen Partnern, dem Institut Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg Essen und dem Bildungswerk BAU Hes­sen-­Thüringen e.V. in einem Modellprojekt, in dem auch die Sozialpartner eingebunden waren, untersucht, wie und in welchen Tätigkeitsbereichen die Fachkräfte länger der Bran­che erhalten bleiben können. Dabei wurden für ausgewählte Berufsgruppen mit hohen Belastungen Gestaltungs­- und Ausstiegsalternativen modellhaft erarbeitet und umgesetzt. Älteren Beschäftigten soll so eine langfristige Beschäftigungs­perspektive im Bausektor ermöglicht werden.

Um hier nachhaltige Ergebnisse zu erzielen, wurden im Rah­men des Projekts

  • besonders belastete Berufsgruppen in den Bauberufen ermittelt,
  • physisch und psychisch weniger belastende Tätigkeiten in der Wertschöpfungskette Bau identifiziert,
  • für die zuvor ausgewählten Berufsgruppen notwendige Qualifikationserfordernisse bestimmt und
  • Qualifizierungs-­ und Weiterbildungsangebote entwickelt und modellhaft umgesetzt.

Belastete Berufsgruppen in den Bauberufen und präventive Maßnahmen

Bei den Untersuchungen der vorhandenen Daten zeigte sich, dass Wechselhäufigkeiten in den Bauberufen eine besonde­re Rolle spielen. Eine spezielle Herausforderung ist die Wech­selhäufigkeit der jungen Beschäftigten, die die Baubranche verlassen und auch später nicht zurückkehren. Auch in den geführten Interviews hat sich gezeigt, dass Bauarbeiter/in­ nen gefragt sind und oft schon in jungen Jahren abgeworben werden. Sie gelten als gut ausgebildet und besonders flexibel, was sie für die stationäre Industrie, die wesentlich belastungsärmere Tätigkeiten anbieten kann, attraktiv macht. Attraktive Laufbahngestaltungen helfen deshalb nicht nur, die Fachkräf­te länger im Berufsleben zu halten, sondern zeigen auch po­tenziellen Nachwuchskräften und jungen Beschäftigen attrak­tive Zukunftsperspektiven in der Baubranche auf.

Aus der Untersuchung vorliegender Daten zu Krankenstän­den, Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentungen geht hervor, dass die Berufe Maurer/in und Betonbauer/in, Zimmerer/in und Dachdecker/in als relativ alterskritisch einzustufen sind. Für die Beurteilung alterskritischer Berufe werden allerdings auch Aspekte wie Kompetenzentwicklung und Kompetenzein­satz, die Altersangemessenheit der Aufgaben sowie die Schä­digungsfreiheit der Tätigkeit mit berücksichtigt. Doch auch Poliere sind hohen, überwiegend psychischen Belastungen ausgesetzt. Die Gründe hierfür liegen vor allem an der stei­genden Verantwortung, erhöhtem Termindruck und ständig wechselnden Orten der Baustellen. Somit gilt es, auch dieser Berufsgruppe besondere Beachtung zu schenken.

In Experteninterviews konnte festgestellt werden, dass prä­ventive Maßnahmen, insbesondere der Gesundheitsschutz, einen besonderen und immer größer werdenden Stellenwert einnehmen. Dabei werden neben dem Einsatz technischer Hilfsmittel auch Sicherheitsschulungen angeboten, um die Gesundheit der Beschäftigten zu erhalten. Ein weiterer Punkt ist die Schaffung belastungsärmerer Tätigkeitsbereiche im Be­trieb, beispielsweise durch die Vorfertigung von Bauteilen. Ein bisher in der Bauwirtschaft eher vernachlässigter aber wich­tiger präventiver Baustein ist eine kontinuierliche Weiterbil­dung.

Weitere Möglichkeiten für eine altersgerechte Laufbahnge­staltung bieten die Einrichtung von Altersteilzeit-­/Langzeit­konten, um den Mitarbeiter(inne)n einen fließenden Über­gang in den Ruhestand oder den Wechsel in andere weniger belastende Tätigkeitsfelder zu ermöglichen. Im Einzelfall ist auch aufgrund von gesundheitsbedingten Leistungsbeein­trächtigungen ein vorzeitiger Renteneintritt möglich.

Tätigkeitsfelder mit geringer Belastung in der Wertschöpfungskette Bau

Langfristige Beschäftigungsperspektiven innerhalb der Wert­schöpfungskette Bau können aber auch mit einem Tätigkeits­wechsel verbunden sein. In Ideenworkshops und den Interviews, die mit Beschäftigten und der Geschäftsleitung von Betrieben geführt wurden, haben sich Tätigkeiten im Bereich des barrierefreien Bauens und Sanierens, beim Gebäudemanagement und im Baustoff­-Fachhandel als besonders erfolgs­versprechend herausgestellt.

Aber welche Voraussetzungen bringen die Fachkräfte eigent­lich mit? Neben den Maurer(innen) als Allrounder der Branche zeigte sich, dass auch die Zimmerer/innen besondere Kom­petenzen aufzuweisen haben. Sie verfügen nicht nur über handwerkliches Geschick, das erwartungsgemäß in allen Be­rufsgruppen zu finden ist, sondern auch über Selbstständig­keit, Planungskompetenzen und mathematische Fähigkeiten. Kompetenzen in den Bereichen Führung und Koordination wurden hingegen hauptsächlich den Polieren zugesprochen.

Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebot

Bei einer Gegenüberstellung der besonders alterskritischen Tä­tigkeiten im Baubereich und deren besonderen Kompetenzen mit dem bestehenden Bildungsangebot der Bauwirtschaft, las­sen sich verschiedene Schnittstellen feststellen. So umfasst das bestehende Bildungsangebot im Bereich barrierefreies Bauen ein vielfältiges Angebot für Architekt(inn)en, Ingenieur/innen und Handwerksmeister/innen. Dieses beinhaltet Lehrgänge zur "Fachkraft für barrierefreies Bauen und Wohnen", das im Bil­dungsprogramm der Handwerkskammern enthalten ist. Ähnlich gestaltet sich das Angebot im Bereich Gebäudemanagement. Hier gibt es die von der GEFMA (German Facility Management Association) zertifizierten Lehrgänge "Fachwirt und Servicekraft Facility Management". Ausbildungsberufe für Fachkräfte im Baustoff­-Fachhandel reichen von Kauffrau /­mann für Groß­- und Außenhandel, Kauffrau /­mann im Einzelhandel bis hin zur Fachkraft für Lagerlogistik oder Fachlageristen. Das Weiter­bildungsangebot in diesem Bereich liegt überwiegend bei neuen Produkten, Anwendungen und Regelungen.

Das bestehende Angebot an Weiterbildungs­- und Qualifizierungsmöglichkeiten bietet also lediglich eine gute Ausgangsbasis für einen Tätigkeitswechsel innerhalb der Wertschöpfungskette Bau. Um allerdings langfristige Be­schäftigungsperspektiven in der Wertschöpfungskette Bau zu ermöglichen, werden weitere Schritte notwendig sein. Des­halb wurden Personalentwicklungspläne erstellt, die insbe­sondere für Maurer/innen, Betonbauer/innen, Dachdecker/ innen, Zimmerer/innen und Poliere eine Hilfestellung bieten, einen "zweiten Beruf" in der Branche zu finden. Hier wurden die erforderlichen Schulungsmodule aufgeführt, angefangen bei Basismodulen wie Mathematik, über Aufbaumodule und Spezialmodule bis hin zu möglichen Zertifizierungen.

Die Ergebnisse des Projekts verdeutlichen, dass es keine allgemeingültige Lösung gibt, die den Beschäftigten in den Bauberufen ein langes Verbleiben in der Branche si­cherstellt. Vielmehr steht die individuelle Situation der Fachkräfte und der Unternehmen im Vordergrund, so dass Alternativen für geringer belastende Tätigkeiten oft zwischen Arbeitnehmer/in und Arbeitgeber/in getroffen werden müssen. Gleichzeitig gibt die in dem Projekt er­ arbeitete modulartige Übersicht von Weiterbildungsbau­ steinen den Beschäftigten in belasteten Bauberufen eine Hilfestellung, durch Weiterbildung und Qualifizierung in eine weniger belastende Tätigkeit in der Wertschöpfungs­kette Bau zu wechseln. So können individuell Lehrgänge zusammengestellt und durchgeführt werden, was einer der wichtigsten Bausteine für einen erfolgreichen Tätig­keitswechsel bedeutet – und somit auch eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit ermöglicht. Zusätzlich könnten auch branchenspezifische Lösungen, wie z. B. die betrieb­liche Altersversorgung für das Dachdeckerhandwerk, un­terstützen. Für den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit der Fachkräfte in den Bauberufen wäre eine Gemeinschaftslö­sung aller Mitwirkwenden, die neben den Sozialpartnern der Bauwirtschaft beispielsweise auch die Bundesagentur für Arbeit, Krankenkassen und Weiterbildungseinrichtun­gen mit einbezieht wünschenswert.

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