Schule der Zukunft: Entrepreneurship Education und digitale Kompetenzentwicklung als neue Herausforderungen
Unsere Gesellschaft befindet sich in einem Prozess schnell stattfindender Umbrüche. Zahlreiche globale Probleme, Zweifel an der politischen Handlungsfähigkeit der zuständigen Institutionen und das gestiegene Maß an Unsicherheit in der bisherigen internationalen Ordnung erzeugen Verunsicherung. Die zur Erhaltung guter Lebensgrundlagen auch für die nächsten Generationen dringend nötige Nachhaltigkeitstransformation der Wirtschaft bedarf grundlegend neuer Handlungsperspektiven. Zugleich führt die rasant fortschreitende Digitalisierung zu schwerwiegenden Veränderungen der Arbeitswelt, aber auch des Freizeit- und Kommunikationsverhaltens. Das Leben des Einzelnen ist ebenso wie die politische Gemeinschaft auf allen Ebenen davon berührt. Die nötigen Innovationen können nur von mutigen Menschen geleistet werden, die kompetent und verantwortungsbewusst neue Ansätze verfolgen.
In Bezug auf die Veränderungen der Arbeitswelt durch die Digitalisierung schätzt das McKinsey Global Institute in der Studie „JOBS LOST, JOBS GAINED: WORKFORCE TRANSITIONS IN A TIME OF AUTOMATION“ (2017) den Wandel in Deutschland so ein, dass bis 2030 bis zu 12 Millionen Arbeitsplätze wegfallen bzw. sich grundlegend wandeln werden. Neue Berufsbilder werden hinzukommen. Ein wesentlicher Treiber dieser Entwicklung ist der zunehmende Einsatz von sogenannter künstlicher Intelligenz (KI). Kennzeichnend ist ihre Selbstlernfähigkeit. Natürlich wird noch programmiert, aber nur, wie die KI lernen soll und wie das Gelernte dann in Aktionen umgesetzt wird. Hier stellen sich grundlegende neue ethische Fragen. Die sozialen und damit gesellschaftlichen Auswirkungen dieses Wandels können kaum überschätzt werden. Nur gut ausgebildete, flexibel und selbstständig denkende Menschen können die daraus resultierenden Aufgaben bewältigen.
Angesichts der Fülle der Probleme steht fest, dass vorhandene Blockaden gegenüber neuen Ansätzen zügig überwunden werden müssen. Notwendig sind nicht nur Neugründungen und neue soziale Initiativen, sondern auch eine Durchdringung der schon bestehenden Unternehmen und Organisationen mit einem „Entrepreneurial Spirit“. Gebraucht werden „Agenten des Wandels“, die Impulse und Innovationen auf dem Weg in eine nachhaltige Wirtschaft im digitalen Zeitalter und im globalen Zusammenhang entwickeln und durchsetzen.
Die nötigen Kompetenzen heranzubilden und Handlungsmotivation aufzubauen, wäre die zentrale Aufgabe des Bildungswesens. Leider ist insbesondere unser Schulsystem auf die Anforderungen der Zukunft bisher nur sehr unzureichend vorbereitet. Der gesetzliche Bildungsauftrag erfordert jedoch in aller Klarheit eine Orientierung der Schulen hin auf die Anforderungen der Zukunft. So heißt es z. B. im baden-württembergischen Schulgesetz in § 1: „Über die Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten hinaus ist die Schule insbesondere gehalten, die Schüler [...] zu Leistungswillen und Eigenverantwortung sowie zu sozialer Bewährung zu erziehen und in der Entfaltung ihrer Persönlichkeit und Begabung zu fördern, [...] (und) auf die Mannigfaltigkeit der Lebensaufgaben und auf die Anforderungen der Berufs- und Arbeitswelt mit ihren unterschiedlichen Aufgaben und Entwicklungen vorzubereiten.“ Ähnliches findet sich in den Schulgesetzen der übrigen Bundesländer.
Persönlichkeitsbildung sowie Bildung zu Innovationsfähigkeit und nachhaltiger Entwicklung müssen Leitgedanken der Neuorientierung unserer Schulen sein. Genauer haben Fadel, Bialik und Trilling in ihrem richtungsweisenden Buch „Four Dimensional Education“ (2015) die vier Zielbereiche einer Bildung für das 21. Jahrhundert beschrieben: Fähigkeiten (Skills), Charakterbildung (Character), Erwerb relevanter Kenntnisse (Knowledge) und schließlich Meta-Learning. „Skills“ sind u. a. Kreativität, kritisches Denken, Fähigkeit, sich der Kritik zu stellen, Kommunikationsfähigkeit, Fähigkeit zur Zusammenarbeit und Organisation des eigenen Lernens. „Character“ umfasst Eigenschaften wie Achtsamkeit, Neugierde, Mut, Flexibilität, ethische Verankerung und Führungsfähigkeit. „Knowledge“ enthält viele Inhalte der klassischen Fächer, im Zentrum steht jedoch stets das Wissen um Zusammenhänge und um ein kulturelles und politisches Grundverständnis. Mathematisches und informatisches Wissen sollen ebenso enthalten sein wie die Kenntnis von ein bis zwei Fremdsprachen. Unter „Meta-Learning“ wird die Fähigkeit verstanden, das eigene Lernverhalten den jeweiligen Zielsetzungen anzupassen und die Motivation zum Lernen lebenslang aufrechtzuerhalten.
Die Neuorientierung von Schule erfordert neue Inhalte und Methoden. Entrepreneurship Education entspricht den genannten Zielen in besonders wirksamer Weise und ist inzwischen auch in Deutschland erprobt. In zahlreichen Schulen hat sich erwiesen, dass sie speziell in Verbindung mit informatischen Elementen für die Verwirklichung einer zukunftsorientierten Bildung ein Königsweg sein kann, und zwar für alle Schularten. Die so nötige, aber in der Schule bislang kaum vorkommende wirtschaftliche Allgemeinbildung wird dabei motivierend und geradezu spielerisch vermittelt. So werden in diversen Bundesländern z. B. seit 2004 durch „Network For Teaching Entrepreneurship (NFTE Deutschland e. V.)“ Lehrkräfte in dreitägigen Kursen zu EntrepreneurshipLehrern fortgebildet und mit einem innovativen Curriculum für ihre Kurse versehen. In BadenWürttemberg wurde die Finanzierung zunächst durch die Karl Schlecht Stiftung und das Wirtschaftsministerium übernommen. Derzeit steht, in Zusammenwirken mit den Pädagogischen Hochschulen, die Lehrerausbildung im Fokus.
Schon 2013/2014 ist in einem Booklet der in Bildungsfragen aus Kompetenzgründen äußerst zurückhaltenden EU-Kommission angeregt worden, dass jeder Lehrer im Laufe der Ausbildung ein Modul Entrepreneurship Education zu durchlaufen habe. Dabei gehe es einerseits um die Erneuerungskraft und die Fähigkeiten, die gebraucht werden, um die wirtschaftlichen Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Andererseits gehe es um das Aufrechterhalten einer lebendigen Demokratie. Sie hänge von der Bereitschaft und Fähigkeit der Bürger ab, sich aktiv den neuen Herausforderungen zu stellen. Beides werde durch „Entrepreneurial Spirit“ ermöglicht.
Ich möchte unterstreichen, dass informatische Bildung mit Entrepreneurship Education zusammengehört, genauer: in Entrepreneurship Education mit integriert werden sollte. Die Nutzung von Präsentationstechniken und Kalkulationsprogrammen ist ohnehin schon fest verankert. Unternehmensideen können in Computersimulationen kontinuierlich verfeinert werden. Junge Menschen können ihre Ideen im globalen Zusammenhang prüfen und vergleichen. Weltweit verfügbare Informationen erlauben von jedem Ort aus den Blick über den Tellerrand. Kritische Internetrecherche und Hinterfragen von Informationen sollten ebenso organische Bestandteile der Entrepreneurship Education werden wie Überlegungen zum Persönlichkeits- und Datenschutz. Das Erlangen informatischer Kompetenz wird so in Ergänzung anderer Ansätze sachbezogen vertieft. Das neu von NFTE herausgegebene Schülerbuch mit seinen digitalen Verknüpfungen ist bereits darauf ausgelegt.
Wie sehr in der Praxis Entrepreneurship Education in Verbindung mit informatischer Bildung die Ziele einer Bildung für das 21. Jahrhundert abdeckt, wird durch das „Trio-Modell der Entrepreneurial Education“ deutlich, an dem das österreichische Vorstandsmitglied von NFTE Deutschland, Johannes Lindner, maßgeblich mitgewirkt hat. Dieses Modell wurde im Rahmen eines Erasmus-Programms der Europäischen Union entwickelt und an zahlreichen Schulen international erprobt. Es lässt sich in die drei Kernbereiche „Core Entrepreneurial Education“ (Entwicklung und Umsetzung eigener Ideen für unternehmerische und private Herausforderungen), „Entrepreneurial Culture“ (Förderung einer Kultur der Selbstständigkeit, der Offenheit für Neuerungen, der Empathie und Nachhaltigkeit sowie einer ermutigenden Beziehungsund Kommunikationskultur) sowie „Entrepreneurial Civic Education“ (Stärkung einer Kultur der Mündigkeit, Autonomie und Verantwortung für gesellschaftliche Herausforderungen durch die Entwicklung von Ideen und das Engagement bei der Umsetzung) unterteilen. Es ist offensichtlich, dass durch diesen Ansatz wesentliche Ziele der vier Bildungsdimensionen von Fadel et al. und insbesondere das Ziel der Persönlichkeitsstärkung erreicht werden können.
Entrepreneurship Education in Verbindung mit informatischer Bildung bildet somit einen wesentlichen Baustein einer „Schule der Zukunft“. Sie trägt dazu bei, verantwortliche, selbstbewusste Persönlichkeiten zu bilden, die in der Lage und willens sind, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen und mit den Herausforderungen der Zukunft kreativ und innovativ umzugehen.
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