Beitrag 5 Spanische Fachkräfte für das oberbayerische Handwerk
→ Heinrich Traublinger und Dr. Lothar Semper
Ausgangssituation
Francisco hat es geschafft. In einem oberbayerischen Dorf ist er dabei, als Informationselektroniker eine neue Existenz für sich und seine Freundin aufzubauen. Anfang Juni ist er nach Deutschland gekommen und langsam normalisiert sich sein neues Leben. Eine Wohnung ist gefunden, die Behördengänge werden weniger und auch die sprachliche Verständigung gelingt immer besser.
Francisco ist einer der jungen Spanier, um die sich das Projekt „Spanische Fachkräfte für das Handwerk in Oberbayern“ der Handwerkskammer für München und Oberbayern bemüht. Er ist gut ausgebildet und verfügt über Berufserfahrung. Dennoch findet er in seiner Heimat keine Anstellung. Die europäische Wirtschaftskrise hält Spanien fest im Griff, mehr als die Hälfte der jungen Menschen ist dort ohne Arbeit.
Ganz anders ist die Situation in Deutschland. Der demografische Wandel und die stabile Konjunktur führen in vielen Bereichen zu personellen Engpässen. Auch das oberbayerische Handwerk kann seinen Fachkräftebedarf längst nicht mehr über die Ausbildung alleine decken. Gesucht wird in fast allen Branchen. Besonders begehrt sind Elektroniker, Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, Schreiner, Maurer, Spengler, Bäcker und Friseure.
Hier setzt das Projekt der Handwerkskammer in München an. Es zielt darauf ab, den Fachkräftemangel bei den Mitgliedsbetrieben zu mildern und gleichzeitig jungen Menschen aus Spanien eine berufliche Perspektive zu bieten. Durch das Projekt finden beruflich qualifizierte Spanier und oberbayerische Handwerksbetriebe zusammen. Eine Situation, von der beide Seiten profitieren.
Leistungen des Projektes
Im Frühjahr 2012 entschloss sich die Handwerkskammer für München und Oberbayern, das Modellprojekt ins Leben zu rufen. Mit einer Laufzeit von zunächst bis Ende 2013 sollen junge Menschen zwischen 18 und 30 Jahren aus Spanien nach Oberbayern begleitet werden.
Voraussetzungen für die Teilnahme ist die spanische Staatsangehörigkeit, eine abgeschlossene Berufsausbildung, mindestens zwei Jahre Berufserfahrung und ausreichende Deutschkenntnisse für die Tätigkeit in einem oberbayerischen Betrieb.
Auf Arbeitgeberseite sind alle Mitgliedsbetriebe im Kammerbezirk München und Oberbayern zur Teilnahme eingeladen. Zentrales Element des Projektes ist die betriebliche, soziale und kulturelle Integration der Teilnehmer. Als Projektträger hat die Handwerkskammer hierfür eigens Projektmitarbeiter mit guten Spanischkenntnissen eingestellt.
Das Paket der Projektleistungen beinhaltet neben der Vermittlung in eine qualifizierte Beschäftigung sowohl finanzielle als auch immaterielle Unterstützung. Zu den finanziellen Leistungen zählen beispielsweise die Beteiligung an den Reisekosten, die Übernahme von Sprachkursen oder die Gewährung von Mietzuschüssen. In den Bereich der immateriellen Unterstützung fallen die Begleitung bei Behördengängen, Hilfe bei der Wohnungssuche oder die Vernetzung der Teilnehmer untereinander.
Kooperationspartner
Das Projekt wird mit Eigenmitteln der Handwerkskammer für München und Oberbayern finanziert. Die Kofinanzierung erfolgt aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen.
Von Anfang an war klar, dass der Erfolg des Projektes von seiner finanziellen Ausstattung, aber auch von Kooperationspartnern abhängt, die bei der Identifizierung von geeigneten Bewerbern in Spanien helfen.
Partner hat die Handwerkskammer im Arbeitgeberservice der Arbeitsagentur München und der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit gefunden. Darüber hinaus wurden Kontakte zum Spanischen Generalkonsulat in München sowie zu Stadtverwaltungen in Spanien geknüpft. Zusätzlich wurden Anzeigen auf spanischen Stellenportalen geschaltet und das Vorhaben in der spanischen Gemeinde in München vorgestellt. Seit Beginn des Projekts führen auch „Mund-zu-Mund-Propaganda“ und die positive Berichterstattung in den Medien im In- und Ausland dazu, dass sich Bewerber und Betriebe aktiv an die Handwerkskammer wenden.
Projektablauf
Francisco hat durch das Projekt viel Unterstützung erhalten. Er stammt aus einem Dorf in Andalusien, Hauptarbeitgeber dort war über Jahrzehnte eine Mine. Im Zuge der Wirtschaftskrise musste diese Konkurs anmelden, was Auswirkungen auf die Wirtschaft der ganzen Region hatte. Auch Francisco wurde arbeitslos. Er hatte zwar bereits einige Jahre Berufserfahrung sammeln können, aber für seine Freundin, die gerade erst ihr Studium abgeschlossen hatte, schien es nun nicht einmal mehr die Möglichkeit zu einem Start ins Berufsleben zu geben.
Im Fernsehen sahen sie Mitte 2012 einen Beitrag, dass in Deutschland Arbeitskräfte gesucht werden. Ohne lange zu zögern, meldeten sie sich an einer Sprachschule zum Deutschkurs an. Im lokalen Arbeitsamt erfuhren sie mehr über die Möglichkeiten in Deutschland und sind auf das Programm der Handwerkskammer für München und Oberbayern aufmerksam geworden.
Francisco schickte seine Bewerbungsunterlagen nach München. Er verfügt über eine Formación Profesional, die in Spanien der deutschen Berufsausbildung am nächsten kommt, Berufserfahrung und Deutschkenntnisse. Damit war er ein idealer Kandidat für die Vermittlung durch das Modellprojekt.
Seine Bewerbung wurde in der Handwerkskammer ins Deutsche übersetzt und an einen Betrieb weitergeleitet, der Interesse an einer spanischen Fachkraft bekundet hatte. Die betrieblichen Anforderungen und die Erfahrungen von Francisco wurden vorab auf dem Papier abgeglichen. Ein Termin zum Vorstellungsgespräch via Videoschaltung war schnell vereinbart. Unter Nutzung moderner Medien gibt es keine geografischen Hindernisse mehr.
Das Bewerbungsgespräch über das Internet wurde von einer Projektmitarbeiterin gedolmetscht. Danach waren sich beide Seiten einig. Francisco hinterließ einen guten Eindruck bei dem Betrieb und gemeinsam wurde ein Termin zur Probearbeit vereinbart. Die Handwerkskammer beteiligte sich an den Kosten für Anreise und Unterkunft und begleitete Francisco am ersten Tag zum Betrieb. Seine Freundin entschloss sich, Francisco auf eigene Kosten zu begleiten. Auch sie wollte einen Eindruck vom Leben in Deutschland bekommen, einem Land, das beiden bis dahin gänzlich unbekannt war.
Trotz anfänglicher Verständigungsschwierigkeiten konnte Francisco während der Probearbeit überzeugen. Fachliches Können, gepaart mit seinem Willen, so schnell und viel wie möglich dazuzulernen, waren der Schlüssel zu Erfolg. Am Ende der Probearbeit erhielt er einen Arbeitsvertrag, den er sofort unterschrieb.
Zurück in Spanien hat er letzte Vorbereitungen getroffen und war zwei Wochen später wieder am Münchener Flughafen, wo er abgeholt und an seinen neuen Wohnort begleitet wurde. An den Reisekosten beteiligte sich ein zweites Mal der Projektträger, der Betrieb hatte eine erste Unterkunft im örtlichen Gasthaus organisiert.
Gemeinsam mit der Projektmitarbeiterin der Handwerkskammer nahm Francisco die ersten bürokratischen Hürden, um sich in Deutschland niederzulassen: die Anmeldung bei der Gemeinde, die Eröffnung eines Bankkontos, der Gang zum Finanzamt und die, letztlich erfolgreiche, Suche nach einer Wohnung. Auch einen fachspezifischen Deutschkurs, den die Handwerkskammer organisiert und bezahlt, besucht Francisco zur Vertiefung seiner Kenntnisse.
Erkenntnisse und Herausforderungen
Mittlerweile konnten über 20 Spanier nach Oberbayern vermittelt werden. Alle Beteiligten, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, sind ausgesprochen zufrieden. Die überwiegende Mehrheit derer, die zur Probearbeit kommt, bekommt auch einen Arbeitsvertrag. Die spanischen Fachkräfte sind hochmotiviert und verfügen über Kenntnisse und Fertigkeiten, die sie direkt in den betrieblichen Alltag einbringen können. Die wenigen Teilnehmer, die mittlerweile wieder in ihr Heimatland zurückgekehrt sind, haben dies aus persönlichen Gründen getan. Hier zeigt sich, dass sich die sorgfältige Vorauswahl der Bewerber und Betriebe lohnt.
Neben den positiven Erfahrungen haben sich auch konkrete Herausforderungen gezeigt. Die Aussagekraft der spanischen Bewerbungsunterlagen ist oft nicht mit dem deutschen Standard vergleichbar. In Spanien existieren keine Arbeitszeugnisse, die den deutschen Betrieben aber sehr wichtig sind. Die Probearbeit und die Rücksprache der Projektmitarbeiter mit den Bewerbern über ihre konkreten beruflichen Erfahrungen schaffen hier Abhilfe für beide Seiten. Schnell wird dabei klar, was verlangt und was geboten wird.
Zudem hat sich gezeigt, dass die Deutschkenntnisse der Teilnehmer sehr unterschiedlich sind. Von einzelnen Ausnahmen abgesehen, sind Vorkenntnisse kaum oder nur sehr rudimentär vorhanden. Die Selbsteinschätzung der Bewerber hält zudem der Überprüfung nicht immer stand. Dennoch zeigt die Erfahrung, dass die Teilnehmer nach ihrer Ankunft sehr schnell lernen, so dass eine Kommunikation mit etwas gutem Willen von beiden Seiten bald möglich ist.
Besonders schwierig gestaltet sich die Suche nach geeignetem Wohnraum, insbesondere im Großraum München. Der Wohnungsmarkt ist angespannt und gute Objekte zu akzeptablen Preisen sind rar. Hinzu kommt die Unsicherheit über den Erfolg der Auswanderung, was manche Vermieter abschreckt.
Viele Betriebe lösen das Problem sehr pragmatisch, indem auch sie bei der Suche helfen oder sogar selbst Wohnraum zur Verfügung stellen. Mit den Teilnehmern wird vereinbart, dass ein Familiennachzug erst in Frage kommt, wenn eine passende Wohnung gefunden ist.
Im Zusammenhang mit der Wohnraumsuche zeigt sich auch, dass viele der spanischen Fachkräfte nicht über finanzielle Reserven verfügen. Mietkautionen oder die Einrichtung der Wohnung werden damit oftmals zur Herausforderung.
Im Bereich der behördlichen Regelungen konnten auch die Projektmitarbeiter der Handwerkskammer noch einiges dazulernen. Schließlich gilt es, Fragen nach der richtigen Steuerklasse, wenn der Ehepartner in Spanien lebt, zu beantworten, Kindergeld für in Spanien lebende Kinder zu beantragen oder den Nachwuchs in das deutsche Bildungssystem einzugliedern.
Bei vielen Anträgen müssen selbst die Mitarbeiter der beteiligten Behörden im In- und Ausland zunächst Informationen einholen, was die Anfragen in die Länge ziehen kann. Dennoch lassen sich die meisten Probleme und Herausforderungen mit gutem Willen und viel Engagement der Betriebe, der spanischen Fachkräfte und der Projektverantwortlichen meistern.
Ausblick
Der Fachkräftebedarf im oberbayerischen Handwerk wird langfristig bestehen bleiben. Genauso ist aktuell nicht damit zu rechnen, dass sich die Wirtschaft in den europäischen Krisenländern schnell erholt. Damit verbunden bleibt das Problem der hohen Arbeitslosigkeit in Spanien und anderen europäischen Ländern.
Das Modellprojekt der Handwerkskammer für München und Oberbayern kann nur einen begrenzten Beitrag zur Lösung des Fachkräftemangels leisten. Aber es ist ein wichtiges Puzzleteil, welches einen Weg zeigt, von dem zwei Seiten profitieren können: Einerseits erhalten Betriebe ihre dringend benötigten Fachkräfte, andererseits wird aufgrund der aktuellen Situation kein Land um gut ausgebildete Menschen beraubt. Im Gegenteil, wenn die Menschen eines Tages in ihre Heimat zurückkehren, können sie ihr erworbenes Wissen aus Oberbayern vielleicht gewinnbringend für den Aufbau der heimischen Wirtschaft nutzen.
Hinter Francisco liegt eine aufregende Zeit. Beim Stammtisch im Dorfgasthaus wird er mittlerweile auf spanisch-bayerisch mit „Hola España, bist jetzt wieder do?“ begrüßt. Er fühlt sich wohl in seiner neuen Heimat, hat den Schritt nie bereut. Mutig muss man sein, sagt er. Und neugierig. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an die Mitarbeiterin des Projekts „Spanische Fachkräfte für das Handwerk in Oberbayern“, Elisabeth Kirchbichler.
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