Beitrag 7 Theorie und Praxis – Ein Erfahrungsbericht
→ Dr. Yazid Shammout
Die DANA Senioreneinrichtungen GmbH ist eines der größten privaten Dienstleistungsunternehmen in der Seniorenbetreuung in Norddeutschland. Zurzeit betreibt das Unternehmen 17 Senioreneinrichtungen und hat rund 900 Mitarbeiter. Sitz der DANA GmbH ist Hannover.
Die Idee, Fachkräfte aus dem Ausland zu rekrutieren, ist nicht neu. Mit der erweiterten Arbeitnehmerfreizügigkeit in acht osteuropäischen EU-Ländern ab dem 1. Mai 2011 war die Hoffnung auf Pflegefachkräfte groß. Doch als der erwarte Strom an Fachkräften aus dem osteuropäischen Ausland ausblieb, war für die DANA Senioreneinrichtungen GmbH Spanien eine naheliegende Lösung.
Ausgangsituation
Bereits im Sommer 2011 konnte die DANA GmbH einige private Kontakte nach Spanien nutzen und wusste so um die schlechte Arbeitsmarktlage in den ländlichen Regionen Spaniens für Krankenschwestern und -pfleger. Zu diesem Zeitpunkt hatte die DANA GmbH knapp 30 offene Stellen für examinierte Pflegefachkräfte zu besetzen.
In der Region um Alicante mit seinen rund 330.000 Einwohnern gibt es circa 8.000 Krankenschwestern und -pfleger, die keine Arbeit finden. Die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien lag im Mai 2012 bei knapp über 50 Prozent.
Krankenpfleger müssen in Spanien ein Studium absolvieren. Nach ihrem Abschluss ist ihre Qualifikation quasi zwischen Ärzten und deutschen Pflegekräften anzusiedeln: Sie haben damit höhere Qualifikationen als hiesige Pflegefachkräfte.
Um dem gerade in der Pflege voranschreitenden massiven Fachkräftemangel zu begegnen, hat die DANA GmbH die Initiative ergriffen und zu Beginn des Jahres 2012 hochqualifizierte Pflegefachkräfte aus Spanien angeworben.
Zu Beginn des Projektes kamen 14 junge Spanier in zwei Gruppen nach Norddeutschland. Nachdem zu Anfang des Jahres 2012 die erste Gruppe Spanier ohne weiteres als Pflegefachkräfte anerkannt wurde, machten die zuständigen Landesbehörden ab April für die zweite Gruppe die Erteilung der Berufsanerkennung von der Erlangung eines außergewöhnlich hohen Sprachniveaus abhängig. Bis zu diesem Zeitpunkt waren solche Sprachkenntnisse für eine Anerkennung als Pflegefachkraft nicht relevant.
Geänderte Anforderungen bringen das von vielen Seiten gelobte Projekt ins Wanken
Zum Nachweis der sprachlichen Eignung der spanischen Pflegefachkräfte forderten die Landesbehörden plötzlich eine offizielle Bescheinigung von einer anerkannten Stelle, wie beispielsweise dem Goethe Institut, des Sprachniveaus B2 gemäß dem gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen.
Das Sprachniveau B2 sieht vor, dass eine spontane und fließende Verständigung möglich sein muss. Die Landesbehörden begründeten dies damit, dass die Erhöhung des Sprachniveaus vor allem dem Schutz der alten Menschen dienen soll, denn gerade in Notsituationen darf es keine Kommunikationsprobleme geben.
Die DANA GmbH war der Ansicht, dass diese Vorgehensweise weder von einer verbindlichen Regelung gerechtfertigt noch politisch gewollt sein kann. Der gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen ist lediglich eine Empfehlung für Sprachlernende und Sprachlehrende und keine gesetzliche Norm. Erforderlich für die Anerkennung von Berufsqualifikationen sind nach Art. 53 der Richtlinie 2005/36/EG nur die Sprachkenntnisse, die für die Ausübung der Berufstätigkeit im Aufnahmestaat maßgeblich sind. Diese werden indes in § 2 Abs. 1 Pkt. 4 KrPflG beschrieben, und zwar lediglich mit den für die Berufsausübung erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache, nicht aber solchen des Sprachniveaus B2. Die Forderung der meisten Bundesländer nach einem Deutschzertifikat der Stufe B2 wird vor allem mit dem Patientenschutz begründet. Die in Stufe B2 vermittelten Sprachkenntnisse seien für eine Pflegefachkraft von elementarer Bedeutung, um den Anforderungen im Pflegealltag gerecht werden zu können. Nur so könne sichergestellt werden, dass die Pflegefachkraft angemessen dokumentieren, im Notfall reagieren und auf die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen eingehen kann. Dies gilt aber für Pflegehilfskräfte in Pflegeeinrichtungen gleichermaßen. Gegen den Einsatz der spanischen Kollegen ohne das geforderte Sprachniveau als Pflegehilfskräfte aber hegten die Behörden keine Bedenken. Das Argument des Patientenschutzes läuft damit leer.
Die spanischen Mitarbeiter sind hochqualifiziert. Sie haben in ihrem Heimatland sogar die universitäre Pflegeausbildung absolviert. So sind ihnen in Spanien behandlungspflegerische Tätigkeiten gestattet, die in Deutschland nur ärztlichem Personal vorbehalten sind. Das heißt, sie dürfen beispielweise in einem gewissen Rahmen über Medikationen sowie Infusions- und Wundtherapie entscheiden. Grundpflegerische Tätigkeiten hingegen werden in Spanien in der Regel nur durch Pflegehelfer ausgeführt.
Gleichwohl kommen sie nach Deutschland und ordnen sich dem hiesigen Kompetenzrahmen für Pflegefachkräfte unter, denn hier sind beispielsweise grundpflegerische Tätigkeiten alltägliche Aufgaben für eine examinierte Pflegefachkraft.
Mangels Anerkennung ihrer Fachlichkeit allein aus Gründen ihrer sprachlichen Kenntnisse durften die spanischen Pflegekräfte aber nicht einmal mehr diese Aufgaben ausüben, sondern mussten sich auf reine Pflegehelferaufgaben beschränken.
Selbstverständlich sind ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache ein wichtiges Qualitätsmerkmal für Fachkräfte. Gleichwohl muss aber der Maßstab, welche Sprachkenntnisse ausreichend sind, sach- und praxisgerecht beurteilt werden.
Ansonsten ist der Leitgedanke der Gründerväter der EU überholt und die derzeit aufgenommenen politischen Bemühungen, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben, sind bloße Lippenbekenntnisse.
Die jungen arbeitslosen Fachkräfte verfügen in ihrem Heimatland Spanien aufgrund der oftmals ländlichen Infrastruktur weder über die Möglichkeit des Besuchs eines zertifizierten Sprachinstitutes noch haben sie die finanziellen Mittel, solche Institute aufzusuchen. Selbst in der Region um Alicante ist es für viele junge arbeitslose Krankenpfleger nicht möglich, ein Sprachinstitut zu erreichen.
An dieser Stelle sind praxisnahe Lösungen gefragt, nicht überzogener Bürokratismus. Es muss möglich sein, den Fachkräften aus der EU einen raschen und praxisorientierten Weg ins Berufsleben zu ermöglichen. Das Sprachniveau B2 für Pflegefachkräfte ist eine unverhältnismäßig hohe und unrealistische Anforderung.
Denn um auf das Sprachniveau B2 zu kommen, braucht ein Anfänger ohne Vorkenntnisse rund ein Jahr intensiven täglichen Unterrichts.
Selbst in Einbürgerungs- und Zuwanderungsverfahren wird nur das Sprachniveau B1 vorausgesetzt, was deutlich unter den Anforderungen von B2 liegt. Oder anders ausgedrückt, die spanischen Pflegekräfte müssen besser Deutsch sprechen als deutsche Staatsbürger.
Grundproblem: Fachkräftemangel
In der Debatte um das Sprachniveau verliert man oft den Fokus auf das eigentliche Problem – nämlich dem Mangel an Fachkräften. Nur wenn ausreichend Fachkräfte vorhanden sind, kann der Qualitätsstandard in der Pflege aufrechterhalten werden.
Wer Pflegequalität fordert, muss auch sicherstellen, dass es Fachkräfte gibt, die diese erbringen können.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Gesundheitssektors wird immer weiter steigen.
Die Altersgruppe der 80-Jährigen wird bis 2050 dreimal so groß sein wie 2005. Durch die sinkenden Geburtenraten werden in Zukunft immer mehr Angehörige fehlen, die die Älteren pflegen. So müssen schließlich immer mehr Pflegebedürftige in Heimen betreut werden. Das lässt den Bedarf an Heimplätzen ansteigen, womit zwangsläufig auch der Bedarf an Personal wachsen wird.
Und genau hier liegt das eigentliche Problem. Nicht aber in der Debatte um das Sprachniveau für ausländische Fachkräfte.
Um den hiesigen Qualitätsanspruch an unsere Wirtschaft, hier speziell die Gesundheitswirtschaft, aufrechterhalten zu können, müssen wir uns den veränderten Rahmenbedingungen, verursacht durch den massiven Mangel an Fachkräften, stellen und uns anpassen.
Um diese Herausforderungen im Sinne des Gesundheitssektors zu lösen, müssen realitätsnahe Lösungswege geschaffen werden. Und hier heißt das Problem Fachkräftemangel und nicht mangelnde Sprachkenntnisse.
Bei der Diskussion um das Sprachniveau blendet man das eigentliche Problem, den Fachkräftemangel, gerne aus. Nur zu gern vergisst man, dass Deutschland nicht das einzige Land ist, was vom Fachkräftemangel betroffen ist. Der Kampf zwischen den führenden Industrieländern um die besten Fachkräfte hat bereits begonnen.
Um unsere Wirtschaft und unseren Lebensstandard aufrechthalten zu können, brauchen wir in Deutschland einen Überfluss an Fachkräften, keinen Mangel. Dies gilt für alle Bereiche der Wirtschaft.
In dem wir unrealistisch hohe Hürden bei der Gewinnung von Fachkräften schaffen, vergraulen wir die Fachkräfte, auf die wir so dringend angewiesen sind.
Die wichtigste Frage in der Debatte also ist, wie wir ausländische Fachkräfte gewinnen, ohne unsere Qualitätsansprüche senken zu müssen.
Neue Lösungswege müssen gefunden werden
Die DANA GmbH erreichten trotz der geänderten Anforderungen weiterhin jede Woche neue Initiativbewerbungen, da das Projekt sich in Spanien unter den jungen arbeitslosen Pflegekräften herumgesprochen hatte.
Um einen gemeinsamen praxisorientierten Konsens auszuarbeiten und um die Möglichkeit zu nutzen, mit den jungen spanischen Fachkräften zumindest einen kleinen Teil des Fachkräfteproblems zu lösen, nutzte der Geschäftsführer der DANA GmbH, Dr. Yazid Shammout, seine zahlreichen Kontakte in die Politik und suchte das Gespräch mit den beiden Sozialministerinnen der Bundesländer, in denen seine Einrichtungen vertreten sind, der damaligen Sozialministerin von Niedersachsen Aygül Özkan (CDU) und der Sozialministerin von Schleswig-Holstein Kristin Ahleit (SPD).
Auch den beiden Ministerinnen war an einer schnellen Lösung gelegen.
Denn allein in Schleswig-Holstein, wo 28.300 Pflegekräfte in 664 Einrichtungen arbeiten, werden bis 2020 etwa 11.000 zusätzliche Fachkräfte benötigt, um den Bedarf der älter werdenden Bevölkerung zu decken.
Gemeinsam trafen sie eine Regelung, nach der für die berufliche Anerkennung der jungen Spanier ein berufsbezogener Sprachkurs ausreichen soll. Dieser kann entweder als dreimonatiger Deutsch-Intensivkurs oder als sechsmonatiger berufsbegleitender Sprachkurs abgelegt werden.
Nach ihrem Sprachkurs sollen die spanischen Mitarbeiter in ihrem Berufsalltag unter steter Begleitung und Anleitung durch eine anerkannte Fachkraft weitere Routine in der deutschen Sprache erlernen. So können die motivierten spanischen Fachkräfte sogleich ihre beruflichen Fähigkeiten einsetzen. Durch die ständige Begleitung und Anleitung durch eine deutsche Fachkraft werden sprachliche Defizite ausgeglichen und die Spanier lernen schnell und unkompliziert nicht nur den Pflegealltag, sondern auch die deutsche Sprache kennen.
In einer eigens dafür gebildeten Kommission aus Pflegefach- und Sprachschulen unter der Leitung des Sozialministeriums arbeitete die DANA GmbH ein Konzept für die Lehr- und Prüfungsinhalte eines speziellen Pflegefachkurses für ausländische Pflegefachkräfte aus und stellte die Ergebnisse den Ministerinnen von Niedersachsen und Schleswig-Holstein vor.
So sollen den jungen Pflegekräften in 560 Unterrichtsstunden die wichtigsten Grundlagen beigebracht werden.
Die abschließende Prüfung wird von einer anerkannten Pflegefachschule abgenommen.
Das erfolgreiche Bestehen dieser Sprachprüfung ermöglicht den spanischen Fachkräften einen schnellen und unbürokratischen Zugang zum Pflegefachberuf.
16 weitere Pflegekräfte für die DANA GmbH
Nach der Einigung über die Spracherleichterung für spanische Pflegefachkräfte gelang es der DANA GmbH schnell, 16 weitere Pflegefachkräfte, die in Spanien von der Arbeitslosigkeit betroffen waren, für ihre Pflegeeinrichtungen zu gewinnen. Schließlich hatte sich das Projekt in der Region um Alicante rumgesprochen und zahlreiche Bewerbungen lagen der Zentrale der DANA GmbH in Hannover bereits vor.
Die jungen Fachkräfte kamen im Februar 2013 nach Deutschland, um als erste Gruppe ihren berufsbezogenen Sprachkurs zu absolvieren.
Hierfür wurde eigens neben einer Sprachlehrerin auch eine Krankenschwester, die den Spaniern vor allem beim Erlernen der pflegerischen Fachsprache zur Seite stand, engagiert.
Die jungen Spanier waren mit viel Herzblut bei der Sache und zeigten neben Engagement vor allem Motivation und Lerndisziplin, und so gelang es, dass Ende Mai alle 16 spanischen Pflegekräfte den pflegespezifischen Deutsch-Intensivkurs als Pflegesprachprüfung in einem mündlichen, einem schriftlichen und einem praktischen Teil erfolgreich beendeten.
Das Prüfungsgremium des zertifizierten Fortbildungsinstitutes Überlingen nahm die Prüfungen ab und lobte die guten Leistungen der Prüflinge.
Direkt im Anschluss nahmen die spanischen Pflegefachkräfte ihre Arbeit in den Einrichtungen der DANA GmbH auf.
Die neuen Mitarbeiter wurden von ihren Kolleginnen und Kollegen freundlich begrüßt, und die Einrichtungsleitungen unterstützen sie in der Anfangszeit nicht nur bei der Wohnungssuche, sondern auch bei allen anderen Fragen des Alltags in ihrer neuen Heimat.
Da das Aufgabenfeld einer examinierten Pflegefachkraft in Deutschland nicht identisch mit dem Aufgabenfeld in Spanien ist, benötigten die jungen Spanier einige gewisse Zeit der Eingewöhnung. Schließlich mussten sie sich erst daran gewöhnen, dass gewisse behandlungspflegerische Maßnahmen in Deutschland nur von einem Arzt entschieden und erst dann an die Pflegekraft delegiert werden. Grundpflegerische Maßnahmen hingegen mussten teilweise erst erlernt werden.
Dennoch fühlten sie sich in ihrer neuen Heimat, vor allem durch die positive Unterstützung ihrer deutschen Kollegen, schnell wohl.
Um die hohe Qualität der anspruchsvollen Pflege in den DANA-Einrichtungen auch zukünftig zu gewährleisten, wird die DANA GmbH ihre Bemühungen um qualifizierte Pflegefachkräfte auch weiterhin fortsetzen. Die DANA GmbH erwartet von ihren Mitarbeitern ein hohes Maß an fachlicher Kompetenz, dazu gehört auch eine gute Kommunikationsfähigkeit – auch für die ausländischen Kollegen.
Natürlich sprechen die 16 jungen Spanier nach ihrem dreimonatigen Sprachkurs noch nicht fließend Deutsch. Aber die Betonung liegt auf „noch“, denn der Sprachkurs ist lediglich ein Anfang und ihr Deutsch verbessert sich stetig.
Zusätzlich muss nach weiteren Wegen gesucht werden, denn das eigentliche Problem darf nicht aus den Augen verloren werden. Mit den ausländischen Fachkräften allein wird sich das Problem des Fachkräftemangels in der Pflege nicht lösen lassen. Vielmehr benötigt es ein Bündel von Maßnahmen. Dabei dürfen parteipolitische und sonstige Interessen nicht mehr im Vordergrund stehen. Das Ziel muss sein, eindeutige und mutige Maßnahmen zu ergreifen, um den Personalbedarf in der Altenpflege zu decken. Es müssen Anreize geschaffen werden, um mehr Deutsche für den Beruf der Pflegefachkraft zu begeistern, zusätzlich muss der deutsche Arbeitsmarkt attraktiver für ausländische Fachkräfte gestaltet werden.
Dabei sind Aspekte wie beispielsweise eine kostenlose Ausbildung, eine bessere Vergütung sowie eine praxisorientierte Finanzierung der Sprachkurse für ausländische Fachkräfte ein wesentlicher Teil dieser Maßnahmen. Es bedarf darüber hinaus zusätzlich regionaler Kompetenzzentren, die über einen Gesamtüberblick der verschiedenen Förderprogramme verfügen, sodass eine Anlaufstelle für sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber existiert, die in der Lage ist, praxisorientierte Lösungen anzubieten.
- © FabrikaCr / iStock.com – Header_Website_1460_360_magazin.jpg