Komplexitätskompetenz

Diese Kompetenz ermöglicht …

  • die Auswahl passender Lösungsansätze für qualitativ unterschiedliche Problemstellungen.
  • das Finden einer Haltung im Umgang mit komplexen Fragestellungen.
  • die Anpassung des Unternehmens an die zunehmende Komplexität.

Typische Erfahrung:

„Auf die gewohnte Weise komme ich nicht mehr weiter – ich blicke gerade gar nicht mehr durch!"

 Neue Haltung:

„Vom Berechnen zum Ausprobieren und vom Wissen zum Nicht-Wissen“

Was ist Komplexitätskompetenz und wofür ist sie hilfreich?

Über die Zunahme an Komplexität in unserer Arbeitswelt und anderen Lebensbereichen muss nicht mehr viel gesagt werden. Oft begegnen viele von uns Komplexität im Arbeits- und Privatleben daher mit nicht allzu großer Freude. Denn meistens wissen wir nicht genau, wie wir mit ihr gut umgehen sollen. Damit kann auch der Wunsch nach Einfachheit, Überschaubarkeit, Berechen- und Beherrschbarkeit oder einfach nach der guten alten Zeit einhergehen. Überbordende Komplexität ist allerdings nicht beherrschbar und dennoch neigen wir dazu, genau diese anzustreben, durch mehr Analyse, Fleiß oder Gründlichkeit. Am Ende scheint es so, als ob unser Denken und unsere Tools an Grenzen stoßen. Ein Grund, warum Komplexität für viele auch mit einem gewissen Maß an Überforderung verbunden ist.

Aber was ist eigentlich Komplexität? In den Wissenschaften, die sich mit Systemen und ihren Funktionsweisen beschäftigen, gibt es viele Erklärungsansätze. Für die Praxis ist die Unterscheidung von komplizierten und komplexen Systemen besonders hilfreich, da sie sich sehr gut auf Aufgaben und Herausforderungen des geschäftlichen Alltags übertragen lassen. Diese Unterscheidung ist nicht nur eine akademische Übung, sie hilft uns auch, zu verstehen, dass – je nach Systemtyp – eine andere Herangehensweise zu wählen ist.

Komplizierte Systeme: Mit Fleiß und Gehirnschmalz, vor allem aber mit Fachwissen, Berechnungen, und Daten lassen sich Fragestellungen dieses Typs gut bearbeiten. Hier kommt die klassische Wissenschaft zum Zuge. Lineares Denken führt zum Ziel und es können (im Laufe der Zeit) relativ klare Ursache-Wirkungszusammenhänge erkannt und bearbeitet werden. Eine große technische Anlage, eine Rakete, ein Antriebssystem, die Planung einer Stadt am Reißbrett oder eine Unternehmensbilanz können Beispiele dafür sein. Technisch, mathematisch und mechanisch geprägtes Denken helfen hier gut bei der Problemlösung. So lässt sich mit entsprechendem Aufwand herausarbeiten und verstehen, wie etwas funktioniert und an welcher Schraube gedreht werden muss, damit am Ende das gewünschte Resultat herauskommt. Ursache und Wirkung sind erkennbar oder mit Analyse zu ermitteln. Taucht ein Problem auf, wurzelt es typischerweise in einer unzureichenden Wissens- und Datenbasis, das sich mit mehr Zeit, Ressourcen und Fachwissen lösen lässt. Erarbeitete Lösungen lassen sich gut dokumentieren, anderen zugänglich machen und wiederholen. Beispielsweise kann ein Flugzeug in seine Einzelteile zerlegt und im Anschluss durch andere Menschen wieder zusammengebaut werden.

Komplexe Systeme: Diese Systeme lassen sich nicht mehr vollkommen verstehen. Sie lassen sich nicht berechnen. Sie bestehen aus vielen Elementen, die nicht alle bekannt sind, die untereinander vernetzt sind und sich gegenseitig beeinflussen. Sie folgen einer unbekannten Eigendynamik, die so auch die Ergebnisse auf einer nicht nachvollziehbaren Weise verändern kann. Daher lassen sich hier keine klaren Ursache-Wirkungszusammenhänge formulieren – dieser Systemtyp übersteigt unsere kognitiven Kapazitäten, sofern wir ihn in Gänze verstehen wollten. Damit geht einher, dass wir es auch nicht beherrschen oder in eine gewünschte Richtung steuern und kontrollieren können. Ein Fußballspiel, die Coronapandemie, ein Kindergeburtstag, oder etwas geerdeter, der Eintritt mit einem neuen Produkt in einen neuen Markt oder einfach ein Changeprojekt im Unternehmen können Beispiele für komplexe Systeme sein. Die Erfolgsfaktoren zur Lösung komplizierter Probleme wie Fachwissen, Good Practice, Berechnungen, Analysen oder die Sammlung und Auswertung von Daten führen für komplexe Problemstellungen nicht mehr oder nur noch unzureichend zum Ziel.

Vielleicht ist schon deutlich geworden, dass sich die Arbeit mit komplexen Systemen (mit unserem herkömmlichen Denken und gewohnten Herangehensweisen) nicht befriedigend bewerkstelligen lässt. Allerdings sind wir gewohnt, durch unsere erlernte Profession, unser Arbeitsumfeld und unsere Biografie mit bekannten Lösungen vorzugehen. Sind wir etwa gewohnt, stets in klaren Ursache-Wirkungsprinzipien zu denken, neigen wir dazu, mit dieser Perspektive auch komplexe Zusammenhänge zu interpretieren: „Probleme sind dann Ursache fehlerhafter Prozesse. Daher müssen wir nur die Prozesse weiter optimieren.“ Oder: „Das Problem wurzelt in einer unzureichenden Datenbasis. Daher benötigen wir mehr Zeit, Ressourcen und weitere Expertise, um es zu lösen.“ Ein letztes Beispiel: „Wenn die Mitarbeitenden nicht mitmachen, müssen wir den Druck (oder die finanziellen Anreize) erhöhen!“ Wir neigen dadurch jedoch dazu, mit dem klassischen Denken und den dazugehörigen Tools die vorhandene Komplexität zu trivialisieren. Dies wird dann zu einem Problem, wenn die gewünschten oder erforderlichen Resultate ausbleiben.

Welche Erfahrung haben Sie gemacht, mit der Denkweise und den Tools komplizierter Systeme an komplexe Sachverhalte heranzugehen?

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In welchen der Unternehmensbereiche, Projekte oder aktuellen Aufgaben müssen eher einfache, in welchen eher komplizierte und in welchen komplexe Herausforderungen gelöst werden?

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Dasselbe gilt natürlich auch für viele Tools, die in den Unternehmen verwendet werden. Denn Gantt-Diagramme, Projektmanagementtools, Budgetplanungen, Bewertungsformulare und vieles mehr entfalten ihre volle Wirkung, wenn es um das Beherrschen komplizierter Systeme geht. Sie greifen allerdings zu kurz, wenn wir damit versuchen, komplexe Sachverhalte zu bearbeiten und zu steuern. Beispielsweise lässt sich ein weitreichendes Veränderungsvorhaben im Betrieb nicht ohne Weiteres mit einem Projektfahrplan erfolgreich steuern. Ebenso illusionär wäre die Vorstellung, das Verhalten der Mitarbeitenden durch ein neues Firmenleitbild nach Wunsch auszurichten.

Wie kann ich Komplexitätskompetenz entwickeln?

Es ist deutlich geworden, dass die erfolgreichen Problemlösungsstrategien eines Systemtyps für einen anderen Systemtyp weniger hilfreich oder sogar kontraproduktiv sein können. Im hektischen Alltag fällt es uns aber meist schwer, zu erkennen, mit welchem Systemtyp wir zu tun haben oder es fehlt uns das generelle Verständnis für diese Unterschiede. Eine zentrale Fähigkeit der Komplexitätskompetenz ist daher, zu erkennen, mit welchem Systemtyp wir zu tun haben und unsere Herangehensweise und Lösungsstrategie daran anzupassen. Darüber hinaus ergeben sich für den beruflichen Umgang mit Komplexität drei wichtige Ansatzpunkte:

  • die Haltung der Verantwortlichen und das daraus resultierende Vorgehen beim Arbeiten
  • das Organisationsdesign und die Strukturen im Unternehmen
  • die verwendeten Methoden und Tools

Die Basis von Komplexitätskompetenz bildet der Ansatzpunkt „Haltung und Vorgehensweise“. Denn hier entscheidet sich, wie wir komplexen Sachverhalten begegnen. Erkennen wir sie und passen unser Vorgehen an oder vereinfachen wir sie und wählen die falsche Lösungsstrategie? Der Managementvordenker Peter Drucker merkte bereits vor vielen Jahren an, dass es nichts Unnützeres gibt, als die falschen Dinge richtig zu machen. So können wir lernen, die richtigen Vorgehensweisen auszuwählen, bestehende Tools auf ihre Reichweite hin einzuschätzen und komplexe Sachverhalte nicht zu trivialisieren. Darauf aufbauend können wir auch besser einschätzen, in welchen Unternehmensbereichen agile Methoden oder selbstgesteuerte Teams (als „Komplexitätskiller“) hilfreich sind und in welchen Bereichen vielleicht besser „klassisch“ gearbeitet werden soll.

Um diesen Kern herum findet sich zudem ein gro- ßes Bündel an Ansätzen, möglichen Organisationsstrukturen und Methoden, die bei der Bewältigung der Komplexität helfen. Gerade die Entwicklungen der letzten Jahre im Bereich Agilität oder New Work oder einzelner Methoden wie Design Thinking integrieren viele Aspekte zur Komplexitätsbewältigung. Damit bieten sie eine Vielzahl guter Ansätze, die für den Umgang mit Komplexität und den sich schnell verändernden Marktbedingungen wichtig sind. Da das „Arsenal“ an Methoden sehr umfangreich ist, kann es hier nicht abgebildet werden. Daher ist eine persönliche Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen und Methoden hilfreich – vor allem dann, wenn die Struktur des Unternehmens verändert und/oder neue Methoden verwendet werden sollen.

Haltung und Vorgehensweise

Experimentelles Herantasten und Fehlerkultur

Wie bereits beschrieben, lassen sich komplizierte Sachverhalte gut durch Expertise, Logik und Sachverstand bearbeiten und steuern. Komplexe Sachverhalte hingegen lassen sich nicht verstehen und erfordern daher eine andere Herangehensweise. Da wir diese nicht vollständig verstehen können, empfehlen die Entwickler des Cynefin Frameworks Dave Snowden und Mary Boone ein experimentelles Herantasten bei komplexen Systemen. Es gilt, sprichwörtlich ein Steinchen (z. B. eine Maßnahme, eine Handlung, eine Entscheidung oder ein kleines Projekt) ins Wasser zu werfen und im Anschluss genau wahrzunehmen und auszuwerten, was passiert, um daraus Rückschlüsse zu ziehen und so zu den nächsten Schritten (oder Kieselsteinen) zu kommen. Anstelle der Umsetzung eines Plans rückt so das Reagieren auf Veränderungen und neue Erkenntnisse in den Vordergrund. Diese Haltung findet sich auch im agilen Management wieder, wo kurzzyklische Arbeitsphasen ausgewertet werden, um sich an Veränderungen anpassen zu können. Beispielsweise könnte ein neues Produkt vorerst als Prototyp im kleinen Vertriebskreis ausprobiert werden, um dann die Reaktionen auszuwerten und darauf aufbauend erst die weiteren Schritte zu planen. Ähnliches gilt, wenn eine neue Führungskultur etabliert werden soll. Diese könnte vorerst in einem Unternehmensbereich erprobt, ausgewertet und auf dieser Basis in andere Bereiche übertragen werden. Im Abschnitt Übungen und Tools am Ende dieser Publikation findet sich das Cynefin Framework inklusive der empfohlenen Herangehensweisen für vier verschiedene Systemarten.

Gibt es Aufgaben oder Projekte, für welche das experimentelle Herantasten hilfreich wäre und wo wäre es kontraproduktiv?

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Wäre die erforderliche Fehlerakzeptanzkultur gegeben? Würde sie durch die Führung getragen?
Könnten die Beschäftigten sich darauf einlassen?

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Welche Gründe sprechen bei Ihnen für und welche gegen ein experimentelles Vorgehen?

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Diese Herangehensweise ist aber kein Selbstläufer. Es ist wichtig, für die passenden Rahmenbedingungen und Haltungen zu sorgen: Genau hier setzt dann die berühmte Fehlerakzeptanzkultur ein. Das experimentelle Herantasten und das Ausprobieren machen Fehler de facto notwendig, da erst daraus die nächsten Schritte abgeleitet werden können. Dies liest sich gegebenenfalls leichter als es ist. Je nach Kultur und Gewohnheit kann das eine enorme Veränderung für Menschen bedeuten. Hierfür braucht es erfahrungsgemäß die persönliche und betriebliche Erlaubnis gleichermaßen sowie die Unterstützung durch die Führungskräfte. Eine weitere Schwierigkeit kann sich zeigen, wenn das experimentelle Herantasten auf bestehende Prozesse und Vorgaben oder klassisch arbeitende Abteilungen trifft. Hier können buchstäblich zwei „Wahrheiten“ (schnell, kurzzyklisch, zielgruppenorientiert vs. stabil, standardisiert, vorgabentreu) aufeinandertreffen. Oft haben beide für das Unternehmen Bedeutung. Daher braucht es individuelle Lösungen, die diese Widersprüchlichkeiten „bearbeiten“ – siehe Paradoxiekompetenz.

Orientierung über Intuition

Unsere Intuition, Ahnung, Erfahrung oder unser Bauchgefühl können wertvolle und meist unterschätzte Impulse für den Umgang mit komplexen Sachverhalten liefern. Sie sind gerade dann wertvoll, wenn sich die Vorgehensweise nicht über Wissen, Expertise, Big Data oder Good Practice festgelegen lassen. Wenn ich weiß oder es in Erfahrung bringen kann, in welchen Schlitz ich die Münze einwerfen muss, brauche ich keine Bauchgefühlentscheidung! Intuition ermöglicht uns, im „unüberschaubaren und unbekannten Gelände“ gute Entscheidungen zu treffen und wertvolle Impulse zur Lösungsentwicklung zu finden. Um Intuition professionell nutzen zu können, braucht es mindestens zweierlei:

  • Zum einen fällt der Zugriff auf die Intuition nicht immer leicht. In vielen Betrieben ist es verpönt oder einfach unbekannt. Es gilt, über Zahlen, Daten und Fakten zu Entscheidungen zu kommen. Immer wieder zeigt sich auch,dass es beinahe eine Erlaubnis braucht, damit es Menschen überhaupt wagen, die Intuition auch im beruflichen Kontext zu nutzen beziehungsweise offen damit umzugehen. Daher ist es hilfreich, bei der Arbeit mit komplexen Sachverhalten, einen Rahmen zu schaffen, indem Mitarbeitende bewusst dazu aufgefordert und trainiert werden, ihre Intuition zu nutzen.
  • Der zweite Punkt hängt damit zusammen, dass intuitive Entscheidungen und Ideen – trotz ihrer verblüffenden Treffsicherheit – auch „fehleranfällig“ sind. Daher kommt für die Bearbeitung komplexer Fragestellungen dem Austausch in einer Gruppe eine besondere Bedeutung zu. Hier können nicht nur verschiedene Perspektiven, Erfahrungen und Ideen zusammengebracht, sondern die Intuition kann im Austausch geprüft und zu einer „Teamoder Kollektivintuition“ verdichtet werden. Diese Form der Arbeit und Lösungssuche findet sich auch in der Generativen Kompetenz, wenn Menschen zusammenkommen, um Neues außerhalb gewohnter Pfade zu erschaffen.
Gäbe es aus Ihrer Sicht Fragestellungen in Ihrem Betrieb, die sich besonders für die Nutzung von Intuition eignen könnten?

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Was spricht aus Ihrer Sicht für und was gegen die Nutzung von Intuition im Beruf?

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Welche Erfahrungen haben Sie bezüglich der (professionellen) Nutzung von Intuition gemacht?

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Im Übungsteil am Ende dieser Publikation findet sich eine Spiegelungsübung, mit welcher sich Intuition einüben und deren Wirkung praktisch erfahren lässt.

Nicht-Wissen

Der reduzierte Nutzen gewohnter Herangehensweisen bringt uns an den Punkt des „Nicht-Wissens“. Da die Ursache-Wirkungsprinzipien bei komplexen Sachverhalten unbekannt sind, wissen wir im Vorfeld auch nicht, wie und welche Schritte die (übernächsten sein werden. Auch unsere bisherigen Erfahrungen, unser Wissen und unsere Lösungswege passen nicht mehr oder stehen sogar im Wege. Gleiches gilt für den Wunsch, den Sachverhalt zu verstehen – so viel dafür auch investiert wird, am Ende bleibt es komplex und wir verstehen es nicht. Radikal ausgedrückt geht es darum, das bisherige (Erfolgs-Wissen und den Wunsch des Verstehens sprichwörtlich liegen zu lassen, da es der Lösungsfindung im Wege stehen kann. Denn wenn wir mit dem Hammer unterwegs sind, sehen wir überall Nägel.

Aus dieser Haltung heraus kann dem komplexen Sachverhalt mit Nicht-Wissen begegnet werden. So werden wir innerlich maximal „frei“, um einen neuen Weg oder Ansatz zu finden, der zur Problemstellung passt. Wir „stülpen“ dem Problem dann Welche Erfahrungen haben Sie bezüglich der (professionellen) Nutzung von Intuition gemacht? nicht mehr unsere alten Lösungen (Hammer und Nagel) über und sind somit offen für Neuartiges. Nicht-Wissen hat jedoch nicht den besten Ruf in der Arbeitswelt. Etwas nicht zu wissen, kann durchaus Probleme bereiten. Sowohl im Kreis der Mitarbeitenden als auch für einen persönlich. Denn hinter dem Nicht-Wissen steckt noch mehr. Lässt man sich tatsächlich darauf ein, steigt meist auch die empfundene Unsicherheit, da nichts mehr bleibt, woran man sich festhalten oder orientieren könnte. Auch dieses Gefühl ist in der klassischen Unternehmenswelt nicht gerne gesehen. Verantwortliche und Betroffene müssen daher lernen, diese Unsicherheit „auszuhalten“ oder zumindest eine Weile lang mit ihr leben zu können. Komplexitätskompetenz beinhaltet daher eine offene Haltung gegenüber dem Nicht-Wissen und der damit verbundenen Unsicherheitstoleranz. Emotionskompetenz kann uns im Umgang mit Unsicherheit im Alltag unterstützen.

Organisationsdesign und Strukturen

Zentralistische, starre und stark hierarchische Strukturen eignen sich gut für überschaubare Märkte. Große Serien, standardisierte Produkte und Wertschöpfungsprozesse sowie mäßige Innovationsanforderungen ermöglichen mit dieser Struktur die Nutzung von Spezialisierungsvorteilen der jeweiligen Unternehmenseinheiten. Steigen Komplexität und Dynamik der Märkte einerseits und der Wertschöpfung andererseits, sinkt die Entscheidungsgeschwindigkeit und -qualität dieser Unternehmensform. Der steigende Abstimmungsbedarf zwischen den Einheiten und mit der Kundschaft führt dann zunehmend zu Ineffizienz. Zu starr und vertikal strukturierte Unternehmen können der Komplexität dann nichts mehr entgegensetzen. 

„Komplexitätskiller“ Team

Eine organisatorische Antwort, um die steigende Komplexität zu bearbeiten, sind flachere Strukturen sowie mehr Entscheidungsmacht und Verantwortung in und für Teams. Ein zentraler Grund für die Bearbeitung komplexer Aufgaben in einer Gruppe liegt darin, dass Entscheidungen und Pläne immer nur so intelligent sein können, wie der Mensch, der sie erbracht hat. Diese „Einzelintelligenz“ stößt bei komplexen Sachverhalten an Grenzen. Im Team wird dagegen die Intelligenz vergrößert und angereichert. Zehn Menschen kommen zu einem deutlich besseren und fundierteren Bild über eine komplexe Herausforderung und deren Lösungsansätze. Dieser Gedanke wird zunehmend in der Arbeitsorganisation aufgegriffen. Gerade die weitreichende Selbstständigkeit der Teams unterscheidet diese Arbeitsform von klassischer Teamarbeit. Im Kontext von New Work gibt es zahlreiche Erfolgsbeispiele, wo Teams mit umfangreichen Entscheidungsvollmachten ausgestattet dynamische Märkte bearbeiten. Die Beispiele erstrecken sich von Automotivebetrieben über Bekleidungshersteller, IT-Unternehmen oder die Hotellerie bis hin zur Pflegebranche. Bei näherer Betrachtung sehen die Erfolgsbeispiele auf den ersten Blick sehr verlockend aus, da sie sich meist auch deutlich positiv in den Kennzahlen und der Bilanz niederschlagen. Jedoch ist „echtes“ New Work sehr voraussetzungsvoll. Mehr dazu im Abschnitt New Work.

Ist Ihre Organisationsform gut aufgestellt, um auf Veränderungen adäquat zu antworten? Wo zeigen sich Schwächen oder Probleme?

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Wie komplex und dynamisch sind Ihre wichtigsten Märkte?

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Was würde in Ihrem Unternehmen für und was gegen Teamarbeit mit weitreichenden Entscheidungsbefugnissen sprechen?

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Aber auch ohne die New-Work-Philosophie beschleunigt und verbessert diese Arbeitsform Entscheidungen, da sie gemeinsam von den Menschen getroffen werden, die näher am Arbeitsgegenstand und der Kundschaft sind. Das passende Maß an Selbstständigkeit der Teams muss jedoch zu den Menschen und den zu bearbeitenden Märkten passen. Gerade wenn Menschen über viele Jahre hinweg in klassisch vertikal strukturierten Betrieben gearbeitet haben, braucht es maximale Unterstützung für den Übergang, da die Erfolgsmuster der Vergangenheit nicht mehr greifen und die neuen erst erlernt werden müssen. Es gibt daher keine fertige Blaupause, die einfach übernommen werden kann. Demzufolge braucht es einerseits eine gute Abwägung darüber, in welchen Unternehmensbereichen diese Arbeitsform sinnvoll ist und andererseits auch darüber, wie weitreichend die Befugnisse der Teams und der Mitarbeitenden sein sollen. Schließlich müssen die Teams durch das Unternehmen unterstützt werden. In Abhängigkeit zur Geschichte des Unternehmens und den Mitarbeitenden kann diese Umstellung sehr voraussetzungsvoll sein. Eine Art der Teamunterstützung findet sich im Teil Übungen und Tools am Ende dieser Publikation. Das Tool „Verantwortungssystem“ ermöglicht Teams, das Können, Wollen, Sollen und Dürfen zu besprechen und festzulegen.

Dies bietet Hochleistungsteams mehr Klarheit, mehr Verantwortung und dadurch auch bessere Leistungen. Um diese Arbeitsform neu und erfolgreich im Unternehmen einzuführen, ist auch eine tiefere Auseinandersetzung mit den Erfolgsbeispielen aus dem New-Work-Umfeld empfehlenswert.

Methoden und Tools

Das Angebot an einzelnen Methoden, die bei der Komplexitätsbewältigung unterstützen, ist groß. Daher sollen hier exemplarisch zwei Überbegriffe, unter denen sich jeweils viele Methoden und Ansätze verbergen, vorgestellt werden. Eine tiefere Auseinandersetzung ist an dieser Stelle nicht möglich, bei Interesse für das eigene Unternehmen ist sie empfohlen.

Agilität

Das beschriebene „Herantasten“ findet sich auch in modernen Methoden wieder. Vor allem agile Ansätze integrieren dies konzeptionell. Ziele, Meilensteine, Aufgaben werden hier ausschließlich mit kurzen Zeithorizonten angelegt, um kurzzyklisch die Wirkung zu betrachten und um anpassungsfähig an unbekannte Veränderungen zu bleiben. Auch die Mitarbeitenden und die Teams werden dabei systematisch stärker eingebunden und in Verantwortung gebracht, um gezielt mehrere Perspektiven einzubinden. Auf Unternehmensebene ist dies beispielsweise mit der Methode OKR (Objectives and Key Results) und auf der Ebene von Projekten mit SCRUM möglich.

Die Komplexität des Marktes lässt sich in Bezug auf die Produkt- oder Dienstleistungsentwicklung ebenfalls methodisch reduzieren. Design Thinking ist hier die prominenteste Methode. Eine Anleitung dazu findet sich im Abschnitt Übungen und Tools am Ende der Publikation dieser Reihe zur Generativen Kompetenz.

New Work

Dieser Sammelbegriff beinhaltet heute eine Vielzahl von verschiedenen Philosophien, Methoden und Ideen. Diese reichen vom Tischfußball im Pausenraum bis hin zu holokratischen Organisationen, wo alle Organisationsmitglieder in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Die Wurzeln und die weitreichendsten Ansätze von New Work konzipieren jedoch vollkommen neue (vielleicht auch gewöhnungsbedürftige oder revolutionäre) Vorstellungen darüber, wie Arbeit und Organisation gestaltet werden können. Daher gehen sie weit über den Tischkicker oder eine Kreativecke im Großraumbüro hinaus. Ein wichtiger Aspekt davon ist die Selbstorganisation von Menschen und Teams, die mehr als die klassische Teamarbeit bedeutet. Beispielsweise wird ein Großteil der klassischen Funktionen in die Teams verlagert. So können Vertrieb, Personalarbeit, Arbeitsvorbereitung, Organisation und Controlling vollkommen von den Teams wahrgenommen werden. Viele ökonomisch erfolgreiche Beispiele belegen, dass diese Teams die Komplexität (in dynamischen Märkten) deutlich besser bearbeiten, als dies einzelne Führungskräfte in vertikalen Strukturen könnten. Die Idee der Selbstorganisation geht hier über die vorgestellte Teamarbeit (siehe Abschnitt Organisationsdesign und Strukturen) hinaus. Beispielsweise betrifft das die Rolle des Menschen im Unternehmen oder die Ausrichtung an einem übergeordneten Sinn. Für diese Art der Selbstorganisation verzichten manche Unternehmen sogar auf die Entwicklung einer Strategie und von Zielen. Die Verantwortlichen berichten in diesem Zusammenhang, dass sich die Mitarbeitenden auf Basis der Firmenvision selbstständig ausrichten und immer wissen beziehungsweise spüren, was das Richtige ist.

Wo könnten agile Methoden für Sie hilfreich sein – für einzelne Teams, Abteilungen oder für das gesamte Unternehmen?

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Sehen Sie in der Philosophie von New Work eine mögliche Bereicherung für Ihr Unternehmen? Warum?

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Wäre auf Basis Ihres aktuellen Geschäftsmodells die Ableitung eines übergeordneten Sinns für die Beschäftigten möglich?

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Diese Ansätze können nicht nur für unser Denken herausfordernd oder ungewöhnlich sein – für klassische Unternehmen sind sie mit sehr tiefgreifenden Veränderungen verbunden, da sie weit über die Anwendung einer Methode oder einer Organisationsform hinausgehen. Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung sind …

  • die Überzeugung der Führungsetage bezüglich der Ansätze und der Philosophie.
  • die spür- und erlebbare sinnhafte Ausrichtung des Unternehmens, damit die Menschen sich daran orientieren können (Umsatzziele reichen dafür beispielsweise nicht aus).
  • der vorhandene Entwicklungs- und Gestaltungsraum für die Mitarbeitenden, der mehr als die professionelle Wahrnehmung einer Rolle bietet.

Das führt dazu, dass das reine nutzenorientierte Kopieren dieser Ansätze oftmals erfolglos bleibt. In der Literatur finden sich dazu Inspiration und gute Lösungen, beispielhaft: „Reinventing Organizations“ von Frederic Laloux oder in den neueren Büchern von Frithjof Bergmann, dem Urvater der New-Work-Bewegung.

Zusammengefasst beinhaltet Komplexitätskompetenz …

  • die Bereitschaft, komplexe Fragestellungen nicht zu trivialisieren und zu vereinfachen.
  • die Fähigkeit, den Systemtyp zu erkennen und die Konsequenzen zu ziehen.
  • immer wieder neu zu schauen, sich an Lösungen heranzutasten und neu zu bewerten (agiles Mindset).
  • die Möglichkeit, Lösungen in Teams und Gruppenprozessen zu suchen.
  • die Bereitschaft, Wissen und vergangene Erfahrungen „fallen“ zu lassen
  • sich dadurch dem Nicht-Wissen und damit der Unsicherheit auszusetzen.
  • den Ansatz, Fehler als Bestandteil von Entwicklung zu verstehen.
  • die Fähigkeit, bei Bedarf das Unternehmen an die Komplexität anzupassen.