Paradoxiekompetenz

Diese Kompetenz ermöglicht …

  • einen professionellen Zugang zur Entscheidungsfindung.
  • Unterstützung und Lösung für vertrackte Situationen und Zwickmühlen.
  • die Bearbeitung von Konflikten in Organisationen.
  • mehr Handlungsfreiheit durch innere Flexibilität.

Typische Erfahrung:
„Egal wie ich es mache, es ist verkehrt!“

Neue Haltung:
„Von der Eindeutigkeit zum Abwägen“

Was ist Paradoxiekompetenz und wofür ist sie hilfreich?

In paradoxen Situationen bekommen wir es mit Zweideutigkeiten zu tun. In dieser Zweideutigkeit kann wiederum unsere (erwünschte) Eindeutigkeit verloren gehen – und damit auch die Gewissheit vom richtigen oder falschen Handeln. Paradoxien zeigen sich meist erst im praktischen Tun. Wir fühlen uns dann wie in einer Zwickmühle. Egal wie wir es angehen, die Lösungen scheinen alle unbefriedigend. Manchmal bringen sie uns ins Grübeln und manchmal können sie uns regelrecht lähmen. Wie lässt sich dies erklären?

Unser Alltagsdenken neigt dazu, die Welt in einer zweiwertigen Logik wahrzunehmen. Heiß und kalt, hell und dunkel, gut und böse oder ja und nein. Mit diesem Denken ist meist verbunden, dass beides nicht gleichzeitig sein kann (oder darf). Die Heizung kann nicht gleichzeitig hoch (warm) und runter (kalt) gestellt werden. Wir schauen dann durch die „Entweder-oder-Brille“. Wenn mir kalt ist und ich den Raum erwärmen möchte, ist klar, welche Einstellung an der Heizung die richtige ist – soweit ist noch alles in Ordnung. Paradox wird es jedoch, wenn nicht mehr eindeutig klar ist, was das Richtige und was das Falsche ist oder wenn beides gleichzeitig gebraucht wird.

Paradoxien zeigen sich weniger auf der Planungs- als vielmehr auf der Umsetzungsebene. Damit ist gemeint, dass beim Erstellen von Plänen oder Konzepten Paradoxien seltener anzutreffen sind. Die Widersprüche werden meist erst beim Umsetzen der Pläne und Konzepte deutlich – also im Arbeitsalltag. Wenn der Auftrag beispielsweise lautet „Sorge dafür, dass sich alle im Raum wohlfühlen!“, muss das noch keinen Widerspruch erzeugen. Wenn es jedoch eine verantwortliche Person für die Heizungsregulierung gibt und einer Gruppe im Raum warm und einer anderen kalt ist, ist nicht mehr eindeutig klar, wie die Heizung eingestellt werden soll. Wenn die Menschen noch lautstark ihrem Ärger Luft machen, kann die verantwortliche Person unter Druck und in eine Zwickmühle geraten: „Egal wie ich es mache, es ist verkehrt.“ Paradoxien können daher als Situationen verstanden werden, die eine Unmöglichkeit einer allseits befriedigenden Lösung in sich tragen. 

Im Unternehmen sind wir vielen solcher Widersprüchlichkeiten ausgesetzt: Beteilige die Belegschaft (erfordert Zeit) und setze schnell um! Spare Kosten ein und entwickle ein neues Produkt (kostet Geld)! Reduziere die Variantenvielfalt und gehe auf die verschiedenen Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden ein! Akquiriere ein neues Projekt und überlaste die Beschäftigten nicht! Sei auf die Ziele fokussiert und sei offen gegenüber Abweichungen! Sei kooperativ, aber auch durchsetzungsstark! Gebe Verantwortung ab und sei trotzdem für die Ergebnisse deines Bereichs verantwortlich! Ergreife Verantwortung, obwohl dir die Befugnisse fehlen! Die Widersprüchlichkeiten, Zwickmühlen oder Dilemmata können regelrecht lähmen, Druck erzeugen und zu (Ziel-)Konflikten führen. Daher wird der gekonnte Umgang mit Paradoxien gerade für Menschen, die in anspruchsvollen Arbeitsumgebungen entscheiden, handeln und umsetzen müssen, immer wichtiger.

Paradoxien und die damit zusammenhängenden Zwickmühlen können uns im Berufsalltag auf zwei Ebenen begegnen und uns das Entscheiden, Gestalten und Handeln schwer machen:

Paradoxien in Organisationen: Der Berufsalltag steckt voller Paradoxien, die durch die „Logik“ von Organisationen hervorgebracht werden. Sie entstehen, wenn zwei unterschiedliche Systeme, Gruppen, Abteilungen oder Anweisungen – mit einem jeweils für sich logischen und „gut gemeinten“ Inhalt – aufeinandertreffen. Meist scheint dann eine (Win-win-)Lösung unmöglich. Oder in anderen Worten: Zwei Wahrheiten stehen sich gegenüber, was zu Konflikten und Entscheidungsproblemen führen kann. Typische Beispiele:

Organisationseinheiten/Abteilungen: Wenn die Logiken von Vertrieb (z. B. Freiheiten für Absatzabsprachen und Preisgestaltung) und Entwicklungsabteilung (z. B. Freude am Entwickeln ohne Kosten- und Marktdruck) oder der Produktion (z. B. präzise Vorgaben und nicht zu viel Variationen) zusammentreffen und gemeinsam Probleme lösen müssen.

Managementsysteme und -tools: Hier kann die Vorgabe, sich an Zielvereinbarungssysteme oder Zertifizierungen zu halten, mit den Erfordernissen, die sich im Kontakt mit den Markt- und Kundenanforderungen zeigen, zu Zwickmühlen führen. Einerseits muss ich zehn Lebensversicherungen pro Monat verkaufen und andererseits soll ich mein Gegenüber perfekt beraten, was beinhalten kann, keine Lebensversicherung (sondern ein anderes Produkt) zu verkaufen.

Leitlinien, Strategien und Anreizsysteme: Beispielsweise geben die Leitlinien vor, dass talentierte Mitarbeitende gefördert werden. Dem könnte entgegenstehen, dass eine Führungskraft in Bezug auf Teamoutput Boni erhält. Wenn sie nun ihre „besten Pferde im Stall“ entwickelt, kommen diese vielleicht in andere Unternehmensbereiche und die Boni verringern sich. Ähnliche Widersprüche können bei der Umsetzung strategischer Ziele entstehen, beispielsweise wenn sie auf die „Realität“ operativer Anforderungen treffen.

Führungsentscheidungen: Hier finden sich ebenfalls viele Dilemmata, denen Verantwortliche im Alltag begegnen. Beispielsweise müssen die Kosten reduziert und gleichzeitig Neuentwicklungen finanziert werden. Oder es müssen Aufträge angenommen werden, für die keine Kapazitäten oder Kompetenzen vorliegen. Vielleicht muss schnell und dynamisch, aber auch in Ruhe und abwägend gehandelt werden. In einem anderen Fall soll für Transparenz gesorgt werden, was zu Verbindlichkeit führt und gleichzeitig braucht es aber auch einen großen Handlungsspielraum, der es gegebenenfalls erfordert, Informationen zurückzuhalten.

Wenn Verantwortliche nicht auflösen können, welcher „Wahrheit“ sie nun folgen sollen oder wenn Vertretungen zweier „Wahrheiten“ aufeinandertreffen und ihre „Wahrheit“ als die alleinige betrachten, können Schwierigkeiten auftreten. Paradoxiekompetenz unterstützt im Umgang mit diesen natürlichen und typischen Phänomenen in Organisationen, indem die „Gegenseite“ oder die andere „Wahrheit“ bewusst in den Lösungsprozess integriert wird.

Werden bei Ihnen in Konfliktsituationen die dahinterliegenden Paradoxien erkannt und produktiv bearbeitet oder wird in der Regel die „Gegenseite“ beschuldigt oder bekämpft?

Tragen Sie hier Ihre Gedanken ein:

 

 

 

 

 

Welche Paradoxien treffen Sie typischerweise in Ihrem Unternehmen an? Wie gehen Sie damit um? Zeigen sich Konflikte?

Tragen Sie hier Ihre Gedanken ein:

 

 

 

 

 

Paradoxien und persönliche Zwickmühlen: Im Unternehmen können zwei konkurrierende Wahrheiten oder Polaritäten aufeinandertreffen, die eine eindeutige Entscheidung schwer machen. Ähnlich kann es sich auch in unserem Inneren verhalten. Das heißt, der Konflikt spielt sich weniger im Unternehmen und mehr in uns selbst ab: Sei durchsetzungsstark und sei kooperativ! Sei den Mitarbeitenden nah und wahre deine professionelle Distanz! Sei für die Firma da und sei für die Familie da! Halte dich an die Regeln und finde kreative Lösungen! Diese widersprüchlichen Forderungen können ebenfalls zu Entscheidungsschwierigkeiten oder zu Konflikten führen – diese spielen sich jedoch in unserem Inneren ab.

Beispielsweise, wenn wir beides wollen („Für die Familie und für das Unternehmen da sein!“), jedoch nur eines wählen können. Hier finden wir uns in der bekannten Zwickmühle wieder, da wir den beiden Seiten in uns, die etwas haben wollen, nicht gerecht werden können („Soll ich für die Firma oder für meine Familie da sein?“).

Manchmal wissen wir jedoch genau, welche der beiden Seiten einer Polarität wir bevorzugen. Wir haben dann eine klare Präferenz. Beispielsweise fühlt sich eine Führungskraft in der professionellen Distanz wohl (und lehnt die Nähe eher ab) oder eine junge Potenzialträgerin ist sich darüber klar, der Familie den Vorrang vor der Karriere zu geben. Diese Präferenz für eine Seite einer Polarität führt uns vorerst nicht in eine Zwickmühle. Dies kann sich jedoch ändern. Nämlich dann, wenn die äußeren Anforderungen (oder der eigene Wunsch) uns mit der Gegenseite unserer bevorzugten Seite einer Polarität konfrontieren. Solange wir die andere Seite bei Bedarf gut einnehmen können, kommen wir damit zurecht. Viele von uns können …

  • sowohl kooperationsfähig als auch durchsetzungsstark sein.
  • Nähe und Distanz zu Menschen gleichermaßen genießen.
  • mal viel und auch mal wenig arbeiten.
  • gut „ja“ und bei Bedarf auch gut „nein“ sagen.
  • ausreichend vertrauen und angemessen kontrollieren.

In manchen Fällen kann es uns jedoch ausgesprochen schwerfallen, die Gegenseite wahrzunehmen. Wenn eine Seite der Polarität – egal aus welchen Gründen – keine Option für uns darstellt (z. B. zu viel Nähe zum Kollegium eingehen) können wir regelrecht auf die eine Seite fixiert sein. Dies kann unser Handlungsspektrum verengen und wir können in manchen Situationen nicht mehr frei und stimmig reagieren. Diese Form der Fixierung ist menschlich und hochgradig individuell. In einer starken Ausprägung kann dies dazu führen, dass wir vielleicht …

  • nur noch durchsetzungsstark und nicht auch mal kooperationsfähig sein können.
  • nur noch die Nähe suchen und nicht auch mal eine distanzierte Haltung einnehmen.
  • nur noch viel arbeiten und nicht auch mal „runterfahren“ können.
  • nur noch „ja“ und nicht auch „nein“ sagen, obwohl es angemessen wäre.
  • nur vertrauen, ohne auch mal kontrollieren zu dürfen.

Mit solch starken Fixierungen wird nicht nur unser Handlungsrepertoire eingeschränkt, dies kann auch dazu führen, dass wir Situationen oder Anforderungen meiden, wo der „ungeliebte“ Gegenpol verlangt wird. Um die Herausforderungen der Zukunft meistern zu können, ist jedoch eine gewisse innere Beweglichkeit wichtig. Paradoxiekompetenz bedeutet hier, diese Fixierungen zu erkennen sowie den Mut und die Bereitschaft zu haben, die eigenen Bewertungen und inneren Prämissen auf solche Einschränkungen hin zu hinterfragen – nicht um sich an alles anzupassen, sondern, um mehr innere Wahlfreiheit zu erlangen.

Können Sie Fixierungen bei anderen Beschäftigten beobachten. Welche Auswirkungen sehen Sie?

Tragen Sie hier Ihre Gedanken ein:

 

 

 

 

 

Bei welchen Polaritäten weisen Sie selbst eine innere Präferenz aus? Wie gehen Sie damit um, wenn der Gegenpol verlangt wird?

Tragen Sie hier Ihre Gedanken ein:

 

 

 

 

 

Wie kann ich Paradoxiekompetenz entwickeln?

Egal ob organisationale oder persönliche Paradoxie, damit gehen oftmals (Ziel-)Konflikte zwischen Menschen und Abteilungen oder in unserem Innenleben einher, die sich mit der „Entweder-oder-Brille“ beziehungsweise dem Denken in „Richtig“ und „Falsch“ nicht auflösen lassen. Wie können wir mit Paradoxien umgehen? Und wie können wir zu brauchbaren Lösungen kommen, wenn wir uns in Zwickmühlen befinden?

Wir können damit beginnen, die Fragestellungen des Alltags bereits zu Beginn in ihrer Polarität zu betrachten. So lernen wir, von der verlockenden Eindeutigkeit in das Abwägen zu kommen und den oftmals bedeutungsvollen Gegenpol mit einzubeziehen. Meist werden Themen, Fragestellungen und Lösungen recht eindeutig dargestellt. Beispielhaft: „Die Führungskraft als Coach“ – wer kontrolliert dann oder weist bei Bedarf an? „Der Kunde ist König!“ – was passiert mit den Kosten, wenn alles daran ausgerichtet wird? Gleiches gilt für die „Vertrauens- oder Fehlerakzeptanzkultur“ – braucht es nicht manchmal auch das Gegenteil davon? Oder, wenn in einem „Training für mehr Durchsetzungsstärke“ vergessen wird, dass der Gegenpol ebenfalls bedeutsam ist. Paradoxiekompetenz ist darauf angewiesen, in Polaritäten zu denken und zu handeln. Daher gilt es, den möglichen Wunsch nach Eindeutigkeit im Auge zu behalten und im Alltag immer wieder bewusst die Gegenpole zu suchen und mitzudenken. Dann darf zum Beteiligen von Mitarbeitenden auch das Ausschließen, zum regelkonformen Handeln auch das situationsgerechte Handeln, zum gründlichen auch das schnelle Arbeiten oder zum Vertrauen auch die Kontrolle kommen.

Zu den wichtigsten Voraussetzungen, sich kompetent mit Paradoxien auseinanderzusetzen, gehört das ungetrübte Bewusstsein darüber, dass man immer auch etwas verliert, wenn man etwas gewinnt. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die Löhne gesenkt werden (gewinnen), dadurch jedoch die Fluktuation steigt (verlieren). Mit diesem Bewusstsein werden das „Verlorene“ und das „Gewonnene“ in jede Entscheidung gleichermaßen miteinbezogen. So ist beispielsweise das „Ja“ zur Überstunde fest mit dem „Nein“ zur Freizeitaktivität mit den Freunden im Bewusstsein. Oder das „Nein“ zur angebotenen Projektverantwortung ist mit dem „Ja“ des persönlichen Vorhabens verbunden, eine Zeit lang etwas kürzer treten zu wollen. Genauso fließt in die Managemententscheidung „Wir diversifizieren unser Produktangebot.“ auch das „Wir verzichten bewusst auf Kostenvorteile, die wir durch die Spezialisierung unseres Angebots erlangen könnten.“ mit ein.

Im Abschnitt Übungen und Tools findet sich der Paradoxiecanvas. Damit können Sie die Vor- und Nachteile beider Seiten herausarbeiten und zur Entscheidungsfindung hinzuziehen.

Damit steht im Zusammenhang, dass Paradoxiekompetenz auch eine Offenheit gegenüber den „zweitbesten Lösungen“ beinhaltet, da die ursprüngliche Intention meist fallen gelassen werden muss.

Schließlich braucht Paradoxiekompetenz noch die Bereitschaft, Widersprüche auszuhalten, um sich nicht vorschnell auf „eine der Seiten“ zu schlagen oder nach dem erstbesten Ast zu greifen.

Paradoxiekompetenz in Organisationen

Organisationen und deren Strukturen, Prozesse, Verfahren und vieles mehr können im Alltag Paradoxien erzeugen. Anweisungen können einem Prozess entgegenstehen und ein Ziel oder ein Prozess stellt sich vielleicht quer zum Bedarf der Kundschaft. Die Beschaffung versucht, möglichst günstig einzukaufen und die Entwicklung regt sich über die mangelnde Qualität der Teile auf. Ähnliches kann für (schwierige) Managemententscheidungen gelten. „Wenn wir in den neuen Markt eintreten, machen wir zu wenig Umsatz! Wenn wir jedoch zu lange warten, werden wir abgehängt.“ Wenn zugunsten des „Einen“ entschieden wird, wird das „Andere“ (ebenfalls wichtige) ausgeblendet und gegebenenfalls zulasten des Unternehmens benachteiligt.

Welche Preise haben Ihre letzten Entscheidungen mit sich gebracht (z. B. einem Bekannten beim Umzug zu helfen, bedeutet etwa das „Nein“ zu einem gemütlichen Abend zu Hause)?

Tragen Sie hier Ihre Gedanken ein:

 

 

 

 

 

Wurde bei den letzten (größeren) Entscheidungen in Ihrem Unternehmen der Preis oder das Verlorene bewusst berücksichtigt?

Tragen Sie hier Ihre Gedanken ein:

 

 

 

 

 

Macht das einen Unterschied für Sie, sich die Preise bewusst zu machen?

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Paradoxiekompetenz bedeutet hier, sich von der Eindeutigkeit zu lösen und bewusst in das Abwägen zu kommen. Ein lösender Umgang mit solchen Paradoxien muss jedoch erarbeitet werden. Ähnlich zur inneren Fixierung geht es zuerst darum, den Gegenpol bewusst zu machen, da dieser oft vergessen oder ausgeblendet wird. Ein Beispiel: Im Unternehmen gibt es jemanden, der eine Veränderung und das „Neue“ einfordert. Dies kann jedoch spätestens bei der Umsetzung zu Schwierigkeiten führen, da vergessen wurde das „Alte“ (also die Menschen, die für dieses stehen) zu berücksichtigen und zu beteiligen. Wenn dieses Bewusstsein gegenüber der Paradoxie und der dahinterliegenden Polarität vorliegt, sind verschiedene Vorgehensweisen hilfreich:

Vertreterinnen und Vertreter ins Gespräch bringen

Oft zeigen sich Paradoxien durch Konflikte zwischen Menschen, Abteilungen oder den Vertreterinnen und Vertretern für ein bestimmtes Ziel. Typisch wäre ein Konflikt zwischen Menschen, die für die Einhaltung einer Regel sind, und anderen, die für die Ausrichtung am operativen beziehungsweise situativen Bedarf stehen. Ebenfalls typisch sind Konflikte im Rahmen von Veränderungsvorhaben. Die einen stehen für das Neue und die anderen als die Bewahrer des Alten.

Vollkommen neue Lösungen tun sich auf, wenn der Gegenpol bewusst in die Überlegungen einbezogen und mit den Betroffenen bearbeitet wird. Wichtig ist dabei, die jeweiligen Vor- und Nachteile beider Seiten sowie deren Auswirkungen auf das Geschäft und die Ergebnisse zu diskutieren. Beispiel: Was sind die Vor- und Nachteile des Neuen und was des Alten? Dies lässt sich erfahrungsgemäß gut in einem Workshop mit den Beteiligten beider Seiten erarbeiten. Dadurch werden die zwischenmenschlichen Beziehungen entlastet, da sichtbar wird, dass es nicht an der Eigenart von Kollege X oder Kollegin Y hängt, sondern verschiedene Logiken aufeinandertreffen, die beide ihre Berechtigung haben. Im Anschluss lässt sich auf dieser Grundlage nochmals auf das ursprüngliche Problem schauen, eine Neubewertung durchführen und entscheiden, wie es weitergehen soll. Im Abschnitt Übungen und Tools am Ende dieser Publikation finden sich die Moderationssets „Innovationen bestreiten“ und „Zusammenarbeit bestreiten“. Damit können Sie sich aneignen, wie solch ein Prozess systematisch durchgeführt werden kann.

Alternativen und neue Positionen entwickeln

Meist scheitert eine adäquate Lösungsfindung an der Idee von Gleichzeitigkeit beziehungsweise dem „Entweder-oder“: „Wenn ich Kosten reduzieren muss, kann ich nicht gleichzeitig Geld in eine Innovation investieren!“ – „also muss ich mich für das Eine oder das Andere entscheiden!“ Lösungen können sich aber im „Sowohl-als-auch“, sprich im „Er macht dies und sie macht jenes.“, „Der eine braucht dieses, der andere jenes.“ oder im „Heute dies und morgen jenes.“ finden. Wir können Paradoxien also sachlich, sozial und zeitlich bearbeiten. Praktisch gelingt dies über den Blick auf die Sachebene (sachlich), auf Menschen, Abteilungen (sozial) und den Faktor Zeit (zeitlich). Das zuvor Widersprüchliche wird dann entsprechend aufgeteilt:

  • Paradoxie über die Sache aufteilen: Hier könnte erarbeitet werden, welche Produkte, Verfahren, Kommunikationswege usw. beibehalten werden können und welche unbedingt verändert werden müssen, um zukunftsfähig zu sein. Beispielsweise: Für die Produktgruppen A und B gibt es sofortigen Ausgabenstopp und in das Produkt C werden wir investieren.
  • Paradoxie über Menschen und Abteilungen aufteilen: Mit Blick auf Personen und Abteilungen lässt sich vielleicht festlegen, welche Bereiche Ausgabenstopp haben (z. B. Fertigung, Einkauf) und in welchen Bereichen, dies vermieden werden muss, um zukunftsfähig zu sein. Beispielsweise: Alle Abteilungen, außer der Entwicklungsabteilung, haben Ausgabenstopp.
  • Paradoxie über die Zeit aufteilen: Der Faktor Zeit ist ebenfalls hilfreich. Beispielsweise: Alle Bereiche haben bis zum Jahresende Ausgabenstopp, damit die Liquidität gesichert wird und im neuen Jahr wird investiert, um den Anschluss an den Wettbewerb nicht zu verlieren.

Darüber hinaus können wir Paradoxien über bewusste Entscheidungen oder durch das Finden gänzlich neuer Positionen bearbeiten. Eine Voraussetzung dafür ist, sich vorher mit dem „Preis“ einer Entscheidung – also den jeweiligen Vor- und Nachteilen beider Seiten – auseinandergesetzt zu haben:

  • Innovationen: Eine Bäckerei stand vor der Zwickmühle, keine Leute zu finden, die in der Nacht arbeiten wollen. Gleichzeitig waren sie darauf angewiesen, das Brot nachts vorzubereiten. Durch Innovation und Automation konnte dies gelöst werden.
  • Kompromiss: Bei der Frage „Sollen wir schnell produzieren, damit wir als Erster auf dem Markt sind und dafür Qualitätsprobleme in Kauf nehmen oder sollen wir auf die gewohnte Qualität setzen und spät auf den Markt kommen?“ ist entschieden worden: „Wir werden nicht Erster, aber der Zweite am Markt sein. Dafür nehmen wir dann nur kleinere Qualitätseinbußen in Kauf, als wenn wir Erster werden wollten.
  • Risiken/Nachteile bewusst in Kauf nehmen: Beispielsweise ist nach reiflicher Abwägung entschieden worden, trotz Liquiditätsengpässen ein kostenintensives Innovationsprojekt zu starten und das Risiko zu tragen.
  • Lösung „außerhalb“ der Polarität finden: Bei der Bearbeitung der Zwickmühle „Liquidität sichern vs. in ein dringend benötigtes Produkt investieren“ wurden weitere Optionen gesucht, die „außerhalb“ dieser beiden Wahlmöglichkeiten liegen. Beispiel: Einen Kredit aufnehmen, Privatinvestitionen erlangen oder Anteile des Unternehmens verkaufen. Ein anderes Beispiel: Einer Burg, die belagert wurde, gingen die Vorräte aus. Ihr blieb: Aufgeben oder angreifen. Die gänzlich neue Lösung war, die letzten Essensvorräte (eine Kuh) mit dem Katapult zum Feind zu schießen. Dieser packte nach einem Jahr Belagerung seine Zelte in dem Glauben zusammen, dass der Burgherr noch viele Vorräte besitzen muss, wenn er diese sogar als „Munition“ benutzt. Die Lösung liegt hier außerhalb des Gedankens „aufgeben vs. angreifen“ – also auf einer anderen Ebene.

Paradoxiekompetenz für persönliche Zwickmühlen

Wenn wir in eine persönliche Zwickmühle geraten, weil wir zwischen zwei Möglichkeiten nicht entscheiden können, die uns beide wichtig sind, bietet sich grundsätzlich auch das Vorgehen an, welches bei der Paradoxiekompetenz für Organisationen beschrieben wurde. Wir können festlegen, an welchen Tagen wir mehr arbeiten (sei für die Firma da!) und an welchen weniger (sei für die Familie da!). Vielleicht können wir auch unsere Arbeitszeit reduzieren. Ebenso können wir uns darüber Gedanken machen, in welchen Situationen eine gewisse Nähe zu den Mitarbeitenden wichtig ist und wann die professionelle Distanz. Solange keine persönliche Fixierung auf eine der Möglichkeiten vorliegt, lassen sich die oben beschriebenen Ansätze gut anwenden.

Fühlen wir uns auf der einen Seite einer Polarität „beheimatet“ oder fixiert, verlieren wir die Freiheit, beide Seiten leben und wahrnehmen zu können. Was können wir tun, um in diesen Fällen zu mehr Wahl- und Handlungsfreiheit zu kommen?

Wenn eine Fixierung vorherrscht, liegt ein wichtiger Schlüssel in einer Auseinandersetzung mit den jeweiligen negativen Ausprägungen beider Polaritäten. Was ist damit gemeint? Beide Aspekte einer Polarität haben immer auch eine negative Ausprägung oder in anderen Worten „zu viel des Guten“. Am Beispiel der Polarität Durchsetzungsstärke vs. Kooperationsfähigkeit könnten die negativen Ausprägungen (oder „zu viel des Guten“) „blinder Egoismus“ für die Durchsetzungsstärke und „es allen recht machen“ für die Kooperationsfähigkeit sein. Meist bildet der negative Aspekt der eigenen Seite unseren blinden Fleck („blinder Egoismus“) und der negative Aspekt des Gegenpols bildet das, was es tunlichst zu vermeiden gilt („es allen recht machen“). Der positive Aspekt des Gegenpols wird kaum wahrgenommen, da der Blick auf das Negative fällt.

Mit Blick auf die typischen Paradoxien in Ihrem Unternehmen, welche der vorgestellten Möglichkeiten könnten sinnvoll Unterstützung bieten?

Tragen Sie hier Ihre Gedanken ein:

 

 

 

 

 

Wenn wir (etwas mehr) Wahlfreiheit erlangen wollen, braucht es daher das Interesse, sich mit den eigenen einschränkenden Bewertungen auseinanderzusetzen und diese gegebenenfalls kritisch zu hinterfragen. Liegt eine Fixierung vor, bietet sich folgender schematischer Lösungsprozess an:

  • Erkennen einer einschränkenden Fixierung und der dahinterliegenden Polarität.
  • Bewusstmachung der positiven sowie der negativen Aspekte der eigenen Position (positiv: Durchsetzungsstärke und negativ: blinder Egoismus).
  • Herausarbeitung des Gegenpols sowie der damit verbundenen positiven und negativen Ausprägung (positiv: Kooperationsfähigkeit und negativ: es allen recht machen).
  • Reflexion der aktuellen einschränkenden Situation sowie der Auswirkungen auf andere Menschen, das Projekt, die Aufgabe oder die Ergebnisse (Wann und wo zeige ich blinden Egoismus und wann und wo zeige ich Durchsetzungsstärke? Wie wirkt sich das auf mein Umfeld, meine Arbeit aus? Wie fühlt es sich an? Wie beurteile ich die Auswirkungen? Was sagen andere dazu?).
  • Anerkennen und Begrüßen der bisherigen Einschränkung, der Abneigung des negativen Aspekts des Gegenpols und der damit verbundenen Gefühle (Anerkennen der Angst, es allen recht zu machen und selbst auf der Strecke zu bleiben).
  • Bewusstmachung, dass der Gegenpol auch positive Aspekte beinhaltet (Kooperationsfähigkeit) und beide Pole als zugehörig und als Einheit für kompetentes Handeln begreifen.
  • Erste (kleine) Versuche, den positiven Aspekt des Gegenpols in den Alltag zu integrieren und Geduld für „Rückfälle“ und „Ehrenrunden“ (Wiederholung der Einschränkung) entwickeln.

Für diesen Prozess findet sich im Teil Übungen und Tools am Ende dieser Publikation das „Werteund Entwicklungsquadrat“ von Friedemann Schulz von Thun. Mit diesem lässt sich der Gegenpol sowie die positiven als auch die negativen Aspekte der Seiten systematisch und visuell erarbeiten.

Zusammengefasst beinhaltet Paradoxiekompetenz …

  • die Gewohnheit, die Dinge des Alltags in Polaritäten zu betrachten.
  • die Bereitschaft, klare Eindeutigkeiten zu hinterfragen und zu erforschen, welche Bedeutung die Gegenseite für das Thema haben kann.
  • die Offenheit, zu untersuchen, ob hinter Konflikten möglicherweise keine Paradoxie liegt.
  • die Bereitschaft, mit sogenannten zweitbesten Lösungen zu arbeiten.
  • im Fall persönlicher Fixierungen, die Bereitschaft, persönliche Erfahrungen und Bewertungen zu hinterfragen und gegebenenfalls zurückzulassen.