Generative Kompetenz

Diese Kompetenz ermöglicht …

  • die Voraussetzungen für Kreativität und Neuerungen zu schaffen.
  • gemeinsam mit anderen Menschen aus dem Alten auszusteigen und sich für das Neue zu öffnen.
  • dem Neuen eine gute Starthilfe zu ermöglichen.

Typische Erfahrung:
„Wir bleiben zu oft im alten Fahrwasser – das Neue ist einfach nicht in Sicht!“

Neue Haltung:
„Vom Planen und Festlegen zum Entstehenlassen und Ausprobieren“

Was ist Generative Kompetenz und wofür ist sie hilfreich?

Unsere Welt und die Wirtschaft sind im Wandel. Das ist nichts Ungewöhnliches, jedoch trifft dies heutzutage im besonderen Maße zu. Die großen Megatrends, vor allem die „Grüne Wende“ und die Digitalisierung, die in sämtliche Lebensbereiche Einzug halten, sind wesentliche Treiber dafür. Damit geht einher, dass sich vieles, was Jahrzehnte lang Bestand hatte, nun auflöst oder zumindest verändern wird. Die Zukunftsforschung vergleicht das Veränderungsausmaß mit dem der Sesshaftwerdung der Menschheit oder mit dem Übergang der Agrar- zur Industriegesellschaft.

Um in diesem unausweichlichen Transformationsprozess überlebensfähig zu bleiben, werden sich die meisten Organisationen, Institutionen und Unternehmen (und damit auch wir Individuen) anpassen müssen – aber nicht nur das: Wir sind gleichzeitig auch treibende Kraft der Veränderungen, indem wir Neues in die Welt bringen. Für all dies werden wir auch auf Lösungen, Ideen und Neuerungen angewiesen sein, die wir bis dahin noch nicht kennen.

Wenn wir dafür in ein Unternehmen schauen, fällt der erste Blick vielleicht auf die angebotenen Leistungen und Produkte oder die Wertschöpfungsprozesse, die digitalisiert werden müssen. Ebenso können Teile oder das gesamte Geschäftsmodell infrage gestellt sein. Der Bedarf an Neuerungen, Innovationen und Veränderungen hört jedoch nicht an diesen Stellschrauben auf. Wenn wir genauer hinschauen, wird deutlich, dass der Innovations- und Veränderungsbedarf sich mitunter durch das gesamte Unternehmen zieht: Die Wertschöpfung, die Organisation und die Struktur, die Art und Weise der Zusammenarbeit, die Kommunikationskanäle, die Führung, die Kooperationsformen, die Räumlichkeiten, die Kompetenzen, die Unternehmensidentität oder die Haltung und das Mindset der Menschen. All dies agiert in Wechselwirkung miteinander und kann zur Disposition stehen, sich erschöpft haben oder einfach nicht mehr in die Zukunft tragen.

Immer öfter hört man Sätze wie: „Das, was uns bisher erfolgreich gemacht hat, ist nicht mehr das Passende, um uns in die Zukunft zu führen!“ Wir werden daher künftig noch mehr als heute Fähigkeiten benötigen, die unsere Kreativität fördern und uns helfen, Ideen zu generieren, Innovationen hervorzubringen und Veränderungen zu bewältigen. Für viele Unternehmen wird es daher unverzichtbar, zu lernen, unter welchen Bedingungen sich das „Neue“ generell finden und auch in den Alltag bringen lässt.

Inwieweit trifft dieser beschriebene Innovationsbedarf auf Ihr Unternehmen zu? Werden die Produkte, aber auch die Herstellungsprozesse, die Vertriebskanäle, die Erlösmodelle oder die Führungskultur Ihr Unternehmen in die Zukunft tragen?

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Unzählige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Künstlerinnen und Künstler und Unternehmerinnen und Unternehmer haben sich mit der Frage „Wie kommt das Neue in die Welt?“ auseinandergesetzt und versucht, eine Formel für Kreativität und Schöpferkraft zu finden. Am Ende bleibt der genaue Mechanismus ein Geheimnis. Was wir jedoch lernen können: auf die förderlichen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen zu schauen. Dabei nur oder vor allem auf Kreativitätstechniken oder Managementmethoden zu setzen, greift dabei deutlich zu kurz. Denn, ein Großteil unserer Kreativität und Schöpferkraft – der meist ungenutzt brachliegt – zeigt sich in unseren intuitiven Kräften sowie in echter Verbundenheit:

  • Das Intuitive kann sich durch eine Verbindung zu unserem Inneren – also zu inneren Bildern und Impulsen, Körperempfindungen, dem Unterbewussten und dem berühmten Bauchgefühl – zeigen.
  • Ebenso spielt die zwischenmenschliche Verbundenheit eine Rolle. Wenn wir uns im Austausch und in der Zusammenarbeit mit anderen, aber auch mit einem Thema oder einer Fragestellung verbinden, können vollkommen andere Perspektiven und Ideen entstehen, als dies ohne diese Verbindung möglich gewesen wäre.

Generative Kompetenz mobilisiert dieses Potenzial, setzt dadurch tiefer und auch wirksamer an, als es mit einer Kreativitätstechnik oder einem Managementtool allein möglich wäre. Sie unterstützt uns, wenn wir allein oder (noch besser) mit anderen gemeinsam nach dem Neuen suchen und dieses in die Welt beziehungsweise das Unternehmen bringen wollen. Generative Kompetenz beinhaltet zweierlei:

Zum einen die Fähigkeit, allein und vor allem in der Gruppe dem Neuen den bestmöglichen Nährboden zu bereiten. Diese Fähigkeit beinhaltet, …

  • aus dem Alltagsdenken und gewohnten Wahrnehmungsdenkmustern auszusteigen.
  • den Horizont durch neue Impulse und Sichtweisen zu erweitern.
  • die Verbindung zu den intuitiven Potenzialen und des Teams untereinander zu vergrößern.

Zum anderen beinhaltet Generative Kompetenz, bessere organisationale Rahmenbedingungen zu etablieren, damit das Neue seinen Weg in die Umsetzung findet, indem …

  • passende Prozesse und „Innovations(frei) räume“ geschaffen werden.
  • mit Prototypen experimentiert werden darf.
  • Fehler und Unsicherheit angenommen werden.
  • das Neue in Verbindung mit dem Alten gebracht wird.

Wie kann ich Generative Kompetenz entwickeln?

Wir gehen davon aus, dass das Neue immer durch Menschen erdacht und erarbeitet wird. Daher liegt der Schwerpunkt der Generativen Kompetenz auf den Bedingungen, unter denen Menschen dies bestmöglich erbringen können.

Als Person neue Perspektiven einnehmen

„Bitte denken Sie jetzt kreativ, am besten outside the box!“ Gut gemeint, aber Kreativität lässt sich nicht einfordern und erzwingen. Vielmehr noch, im Grunde ist sie unserem Gehirn fremd. Denn unser Gehirn ist tendenziell „faul“ und darauf aus, Muster zu bilden, sie wiederzuerkennen und dementsprechend in gewohnten Bahnen zu handeln. Dies entlastet unseren Alltag und bringt Orientierung und Sicherheit in unser Leben. Erschwerend kommt hinzu, dass diese natürliche Veranlagung (regelbasiert Probleme zu identifizieren und zu lösen) in Form von logischem Denken in unserer Schullaufbahn, unseren Ausbildungen und unserem Berufsalltag weiter geschult und trainiert wird. Und das nicht ohne Grund, hat diese wissenschaftliche Art der Problemlösung uns doch großen Fortschritt und viele erstaunliche Innovationen gebracht.

Sollen allerdings neue Wege jenseits der gewohnten Denkpfade beschritten werden, können uns unsere bisherigen Erfahrungen und Wahrnehmungsmuster auch bei der Neuschöpfung im Wege stehen (Basiskompetenz Achtsamkeit: Wir interagieren dann mit einer Vorstellung/Erfahrung und weniger mit der Realität. Oder auch das Konzept des „Nicht-Wissens“ bei der Komplexitätskompetenz). Denn haben wir bisher hauptsächlich mit einem Hammer gearbeitet, dann neigen wir überspitzt gesagt als „Gewohnheitstiere“ dazu, in jedem Problem zunächst einen Nagel zu sehen. Die Idee, einen Schraubenzieher als Lösungsweg zu sehen, bleibt uns fremd, bis wir gelernt haben, dieses Konzept als möglichen Lösungsweg in unsere Überlegungen einzubeziehen.

Dass uns Menschen um die Ecke zu denken schwerfällt, ist uns unter dem Begriff laterales oder divergentes Denken seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts hinreichend bekannt. Die zunehmenden Veränderungen machen die Problematik allerdings immer gravierender für Unternehmen. Denken Sie an einen Automobilzulieferer, der jahrzehntelang Bauteile für Verbrennungsmotoren hergestellt hat und sich nun „neu erfinden“ muss. Wie gut kann dies einem Unternehmen gelingen, welches jahrelang hauptsächlich auf eine produktive Fertigung geschaut hat?

Um die Ecke zu denken ist jedoch trainierbar. Ein erster wesentlicher Schritt besteht auch hier darin, sich die Wahrnehmungsmuster und getätigten Vorannahmen im Problemlösungsprozess bewusst zu machen. Dies erlaubt es anschließend, die daraus sonst automatisch ablaufenden Bewertungsprozesse und gewählten Lösungswege aktiv zu unterbrechen und neue Annahmen, Konzepte und Ideen spielerisch auszuprobieren (siehe auch Basiskompetenz Achtsamkeit). Edward De Bono, der prominenteste Vertreter dieses Konzeptes hat zahlreiche Übungen entwickelt, um diesen Perspektiven-  und Wahrnehmungswechsel zu unterstützen. Im Teil Übungen und Tools am Ende dieser Publikation findet sich dazu die Übung „Laterales Denken“.

Inwieweit werden in Ihrem Unternehmen bei der Suche nach dem Neuen immer wieder bekannte Lösungen eingebracht? Reicht Ihnen das oder müssen Sie dafür sorgen, gewohnte (Denk-)Pfade zu verlassen?

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Gemeinsam neue Wege wagen

Das Neue entsteht oft am Rand

Wir kennen alle den Ausspruch „über den Tellerrand schauen“. Die Mitte des Tellers zeichnet sich durch eine gewisse Homogenität aus. Dies kann beispielsweise die Art zu denken, die anzutreffenden Berufe und Professionen, die Kultur und andere soziale Merkmale, das Abteilungsdenken und die Regeln, den räumlichen Standort oder den gewohnten Kreis der Entscheiderinnen und Entscheider betreffen. Diese Homogenität hat zwar Vorteile, da sich Menschen ähnlich sind, jedoch kann sie auch dazu führen, dass wir bei unserer Suche nach dem Neuen, im Gewohnten bleiben. Im schlimmsten Fall führt sie sogar dazu, dass neue Impulse der vorschnellen und mitunter festgefahrenen Gruppenmeinung zum Opfer fallen oder im vorauseilenden Gehorsam erst gar nicht geäußert werden. Denn Ideen, die mit dem Gewohnten brechen, sind zarte Pflänzchen und selten von Anfang an bereits reif und überzeugend.

Am Rand aber, also im Kontakt mit der Kundschaft, mit anderen Ländern und Kulturen, neuen Wissensgebieten, außergewöhnlichen Menschen, fremden Branchen und vielem mehr, können wir irritiert und geistig befruchtet werden. Am Rand wird sprichwörtlich der Horizont erweitert. Neben dieser Inspiration ist noch etwas von Bedeutung: Die neuen Impulse und Ideen, die so entstehen, unterliegen weniger Kontrolle, weniger Verwertungsdruck, weniger Regeln und weniger Machtpolitik. Am Rand verbindet sich so der Kontakt mit dem Neuen und Unbekannten sowie einem gewissen Maß an Freiheit – ein perfekter Nährboden! Konzerne nutzen dies, wenn Sie Start-ups aufkaufen, da im Konzern zu wenig Innovationskraft aufgrund der Bürokratie zu finden ist. Ebenso können feinfühlige Vertriebsmitarbeitende, die die Kundschaft und deren Bedürfnisse kennen, wichtige Innovationsimpulse in den Betrieb bringen. Und im Geschäftsalltag ist immer öfter von interdisziplinär besetzten Teams, von hierarchie- und abteilungsübergreifender Zusammenarbeit oder Learning Journeys ins Silicon Valley (oder andere Orte) zu hören.

Wenn wir das Neue suchen, kann es sich lohnen, aktiv nach der Irritation des Randes zu suchen oder dies zuzulassen. Wir können so unser Denken erweitern, inspiriert werden, freier ausprobieren und dadurch zu neuen Ideen gelangen, die ohne diese Erfahrungen nicht möglich gewesen wären. Für unsere Praxis kann dies bedeuten, …

  • gezielt Menschen hinzuzuziehen (betriebsinterne wie -externe), die anderen Fach- und Wissensdisziplinen und Abteilungen angehören oder sich einfach vom Denken und deren Herangehensweisen von den eigenen unterscheiden.
  • Mitarbeitenden, die das Neue erarbeiten, mehr Freiheiten und weniger (Verwertungs-)Druck sowie den Kontakt zu anderen Bereichen, Ländern, Branchen oder Kulturen zu ermöglichen.
  • Methoden zu nutzen, die gezielt Perspektiven, Sichtweisen und Bedürfnisse der Kundschaft einbinden (z. B. Design Thinking).
Welche Erfahrungen hinsichtlich Ihrer Kreativität oder Inspiration haben Sie gemacht, wenn Sie im Kontakt mit dem Rand waren (z. B. auf Reisen, in neuen Umgebungen, im Kontakt mit ungewöhnlichen Menschen oder durch andere Irritationen)?

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Neues in der Gruppe entstehen lassen

Vielleicht haben Sie schon mal ein besonderes Gespräch erlebt? Eine echte Begegnung, wodurch sich das Denken und der Horizont beider Gesprächsparteien erweitert hat. Dabei sind Ideen und Gedanken entstanden, auf die keiner allein gekommen wäre. Solch eine Begegnung findet meist nicht nur kognitiv statt. Wir sind in so einem Gespräch mit unserem Gegenüber verbunden, wodurch etwas Besonderes, etwas Neues entsteht. Es ist mitunter eindrucksvoll, wie solch ein Gespräch unserem Denken und unserem Fühlen eine neue Richtung geben, uns zu neuen Ideen, Einsichten und Plänen inspirieren kann. Genau diese Qualität kann uns helfen, Probleme im Unternehmen zu lösen und schöpferisch neue Ideen zu entwickeln. Diese Begegnungsqualität ist daher der zentrale Nährboden für das Neue.

Wenn wir in unseren Erinnerungen suchen, werden wir wahrscheinlich feststellen, dass diese Gespräche nicht alltäglich sind – vor allem nicht in einer Gruppe oder in einem Meeting. Was wäre, wenn es gelingen könnte, für wichtige Anlässe solch eine Gesprächskultur im Unternehmen zu etablieren? Und welche Bedeutung beziehungsweise welche Auswirkung könnte dies für unsere Innovationsprozesse haben? Wissenschaftler wie William Isaacs oder Otto Scharmer des Massachusetts Institute of Technology haben diese Fragen aufgegriffen und versucht, die Magie solcher Gespräche und Zusammenkünfte zu erforschen.

Eine echte Begegnung zwischen den Menschen scheint wesentlich dafür zu sein. Neben einer wertschätzenden und respektvollen Haltung spielt auch hier der Modus unserer Aufmerksamkeit, unserer Präsenz und der gegenseitigen Verbundenheit eine Rolle. Otto Scharmer beschreibt in seiner U-Theorie verschiedene Stufen, die sich in ihrer Begegnungsqualität und somit in ihrer Lösungsfähigkeit unterscheiden. Um dieses anspruchsvolle Ziel zu erreichen, kann sofort beim nächsten Meeting damit begonnen werden, manche Gewohnheiten „ein kleines bisschen“ zu reduzieren und andere „ein kleines bisschen“ zu steigern.

Welche Erfahrungen haben Sie mit solch „magischen Gesprächen“ gemacht? Was war anders, im Vergleich zur betrieblichen Alltagskommunikation? Wie war der Umgang miteinander? Wie kam es dazu?

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Etwas weniger:

  • Viele betriebliche Zusammenkünfte sind dadurch gekennzeichnet, dass wir uns gegenseitig kaum zuhören.
  • Oft „laden“ wir unsere Botschaften nur ab, ohne auf den Redebeitrag des Vorredners oder der Vorrednerin einzugehen.
  • Manchmal dominieren Mikropolitik und Kalkül, was wiederum davon begleitet werden kann, dass die eigene Meinung und unser Potenzial zurückgehalten werden.
  • Wenn dann noch ein hohes Tempo und Hektik dazukommen, haben die Redebeiträge kaum noch eine Chance, eine Wirkung beim Gegenüber zu hinterlassen oder eine gegenseitige Verbundenheit und Befruchtung zu ermöglichen.

Unter solchen Bedingungen hat es das Neue schwer.

Etwas mehr:

  • Wenn wir uns daran erinnern, zuzuhören, ausreden zu lassen und vielleicht eine kleine Pause vor dem nächsten Beitrag zuzulassen, ist bereits viel gewonnen. Zuhören kann bedeuten, die Aussage anzunehmen (ohne sie teilen zu müssen) und das Gegenüber in seiner Situation zu sehen. Auch kleine Pausen und vor allem die bewusste Verlangsamung des typischen hektischen Kommunikationsstils können bereits Wunder bewirken. Im Abschnitt Übungen und Tools findet sich die Übung „Verlangsamung der Kommunikation“. Diese Übung lädt spielerisch dazu ein, auszuprobieren, wie sich die Qualität des Austauschs verändert, wenn wir etwas „Gas“ aus der Alltagskommunikation nehmen. Auf dieser Ebene lässt sich gut und sachlich diskutieren. Schöpferischer Dialog und Austausch brauchen jedoch mehr.
  • Wie in der Kontakt- und Beziehungskompetenz beschrieben, ist eine Begegnung von Subjekt zu Subjekt anstelle von Subjekt und Objekt wesentlich, damit Menschen ihr volles Potenzial zeigen und einbringen können. Und genau dieses brauchen wir, um der Kreativität und dem Neuen den Weg zu bereiten.
  • Otto Scharmer greift zudem noch die emotionale Beteiligung auf. Wenn wir lediglich mit dem Verstand und ohne unsere Gefühle (die sowieso vorhanden sind) sprechen und argumentieren, bleiben die Resultate und das gegenseitige Verstehen deutlich unter dem Potenzial. Denken Sie beispielsweise an eine Rede, die trocken und nüchtern gehalten wird und vergleichen Sie dies mit einer Rede, die uns emotional berührt. Im Meeting kann dazu gehören, die eigenen Gefühle bezüglich einer Sache eines Arguments zu benennen beziehungsweise zu zeigen. Und ebenso kann es dazugehören, dem Gegenüber auf der Sach- und auf der Gefühlseben zuzuhören. Dadurch erhalten die Beteiligten und ihre Redebeiträge „eine zusätzliche Ebene“. Wir können die Beiträge besser einordnen und das gegenseitige Verständnis sowie die Verbundenheit untereinander werden gefördert. Wenn dies gelingt, werden wir selbst für die Beiträge anderer erreichbarer und unsere Beiträge erreichen wiederum die anderen. Dies schafft eine andere Atmosphäre, die es erlaubt, gemeinsam unsicheres Neuland zu erkunden und ganz neue, ungewöhnliche Ideen und Lösungen zu entwickeln.

Wenn es uns gelingt, in dieser Art und Weise miteinander umzugehen, ist eine wirkmächtige Basis geschaffen, um Probleme zu besprechen, Lösungen zu finden und dem Neuen den Weg zu ebnen. Wenn sich solch eine Gruppe gemeinsam auf ein Ziel oder ein Thema ausrichtet, wie beispielsweise „Womit werden wir künftig unsere Umsätze machen?“ oder „Wie müssen wir uns organisieren, damit wir die Anforderungen bewältigen?“, werden vollkommen andere Ideen und Ergebnisse entstehen können, als es im Rahmen der gewöhnlichen Alltagskommunikation möglich gewesen wäre. Diese Form fördert, dass Menschen in Kontakt mit ihren Potenzialen kommen und ihr Bestes einbringen. Im Abschnitt Übungen und Tools am Ende dieser Publikation findet sich die Anleitung „Schöpferische Besprechung“. Dieses Regelwerk fördert solch einen Gruppenprozess.

Wie sind Begegnungsqualität und Kommunikationsstil in Ihren (Innovations-)Meetings (konstruktiv, wertschätzend, aufeinander aufbauend usw. oder eher berechnend, vorsichtig, ichbezogen usw.)? Welche Ergebnisqualität ist damit verbunden?

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Organisationale Rahmenbedingungen

Rahmenbedingungen und Prozesse

Warum gibt es so viele Berichte darüber, dass sich geniale Ideen oder Lösungen beim Spazierengehen, im Badezimmer, im Traum oder auf einer Zugfahrt gezeigt haben? Die Berichte haben gemein, dass die Ideen nicht am Arbeitsplatz entstanden sind. Denn durch konzentriertes Nachdenken – welches meist den betrieblichen Alltag dominiert – können wir kaum kreativ sein. Unser Denken ist sequenziell aufgebaut. Ein Gedanke baut auf dem vorherigen auf und der nächste baut sich wiederum auf diesem auf usw. Dieser Modus eignet sich zum Rechnen, zum Abarbeiten bekannter Sachverhalte oder um aus einem Berg Puzzleteile das passende herauszusuchen. Auch unsere Wahrnehmung wird in diesem Modus eng. Das heißt, Dinge und Aspekte, die außerhalb des Konzentrationsmodus (Tunnelblick) liegen, können wir kaum wahrnehmen (siehe dazu auch Basiskompetenz Achtsamkeit). In diesem Modus hat es das Neue, welches außerhalb der logischen Denksequenzen und des engen Fokus liegt, schwer. Stille, Entspannung, Irritation, eine andere Umgebung oder das bewusste Loslassen der Konzentration in Kombination mit einer klar formulierten Aufgabenstellung helfen uns, damit Informationen ins Unterbewusstsein absinken und sich dort neu sortieren können. Dies ist zwar keine Garantie für kreative Ideen, jedoch eine wichtige Voraussetzung, damit sie sich zeigen können. Für unsere Praxis kann dies bedeuten, …

  • gezielt für Pausen, Entspannung, Ablenkung oder auch Irritation zu sorgen.
  • Zeiträume und/oder echte Räume zu schaffen, um außerhalb des Tagesgeschäfts an etwas arbeiten zu können und um sich nicht an alle Regeln und Prozesse halten zu müssen.
  • zu Beginn weniger Verwertungsdruck und mehr Freiheiten für Mitarbeitende einzuräumen.
  • Techniken zu erlernen, die uns dabei unterstützen, die Konzentration und Anspannung während des Kreativprozesses abzubauen (siehe beispielhaft Basiskompetenz Achtsamkeit).

Dies ist kein Plädoyer gegen Ratio, Logik und hilfreiche Systeme. Sie spielen für Innovationen eine ebenso wichtige Rolle. Denn damit Ideen nicht Ideen bleiben, braucht es im Laufe des Prozesses zunehmend Leitplanken im Sinne von Projekt- und Innovationsmanagement. Entscheidend ist allerdings, sich bewusst zu machen, dass man es dabei mit unterschiedlichen aufeinanderfolgenden Phasen zu tun hat. Während in der Entdeckungsphase zu Beginn Freiräume und Kreativität im Vordergrund stehen, sind in der späteren Umsetzungsphase Logik, sequenzielles Denken und Disziplin gefragt, um die besten Ideen möglichst sicher in die Wirklichkeit zu überführen. Entsprechend unterschiedlich sind die jeweiligen Anforderungen an Mitarbeitende, Rahmenbedingungen oder geeignete Methoden.

Gibt es in Ihrem Unternehmen Räume oder andere Möglichkeiten, um außerhalb des getakteten Arbeitsalltags und des Verwertungsdrucks kreativ sein zu können? Würde dies Sinn ergeben?

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Unsicherheitstoleranz und Fehlerakzeptanzkultur

Insbesondere zu Anfang von Innovationsprozessen sind wir einem hohen Maß an Unsicherheit ausgesetzt. Unsicherheit darüber, wie oder mit welchem Prozess wir das Neue finden können und ob, wann und was herauskommen wird. Damit Mitarbeitende in einer solchen Situation sich trauen oder gar ermutigt sehen, neue, vielleicht sogar zunächst verrückt erscheinende Ideen überhaupt einzubringen, braucht es ein Klima, in dem Fehler nicht bestraft, sondern eher als Bestandteil des Neuen gesehen, behandelt und vielleicht auch begrüßt werden.

Ähnlich verhält es sich mit der ungeliebten Unsicherheit. Um das Neue zu erreichen, müssen wir das Gewohnte und Sichere verlassen. Führungskräfte müssen Unsicherheit aushalten, wenn sie entscheiden und wir alle werden mit Unsicherheit konfrontiert, wenn etwas anders als gewohnt gemacht werden soll. Es gibt praktisch keine Wandlung oder Innovation ohne Unsicherheit. Jeder von uns hat jedoch ein eigenes Verhältnis zur Unsicherheit. Der eine meidet sie vielleicht gänzlich und eine andere kann sie innerlich begrüßen. Für die meisten von uns ist sie jedoch herausfordernd, weil wir unsere Sicherheit verlieren. In Zeiten mit vielen Veränderungen ist es daher hilfreich, zu lernen, sich der Unsicherheit und den damit verbundenen Gefühlen aussetzen zu können (siehe dazu auch Emotionskompetenz). Und für ein Innovationsvorhaben kann es hilfreich sein, die organisatorischen und persönlichen Unsicherheiten der Beteiligten offenlegen zu dürfen. Unsicherheit kann so sichtbar und damit auch im Team bearbeitbar werden.

Wenn wir im Märchen wären, könnte man sagen, dass Fehler und Unsicherheit die „ungeliebten Stiefschwestern“ der Prinzessinnen Innovation und Wandlung sind. Je mehr es uns gelingt, die Stiefschwestern zu berücksichtigen und ihnen einen Platz im Unternehmen zu geben, desto besser können die Prinzessinnen strahlen.

Wie gehen Sie in Ihrem Unternehmen mit Fehlern um und wie mit denen, die sie erzeugt haben?

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Können Sie offen über Unsicherheit und die damit verbundenen Schwierigkeiten im Team sprechen oder macht das jede Person für sich selbst aus?

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Die Arbeit mit Testballons und Prototypen

Frühes und häufiges Testen von Ideen und Lösungen ist ein Weg, um die Unsicherheit bewusst zuzulassen und produktiv damit umzugehen. „Scheitere häufig und früh“ ist ein wesentliches Prinzip zahlreicher moderner, agiler Entwicklungsansätze, Tools und Konzepte wie das genannte „Design Thinking“, „Scrum“, „Minimum Viable Product“ oder „Lean Startup“ (eine Anleitung für die Methode „Design Thinking“ findet sich bei den Übungen und Tools am Ende dieser Publikation). Dies entspricht dem Ansatz „Kieselsteinchen ins Wasser werfen und zuschauen, was passiert“, der sich im Umgang mit komplexen Sachverhalten bewährt hat. Da wir im Vorfeld noch nicht wissen, was das Richtige ist beziehungsweise welche Wirkung es erzeugen wird, verringern wir somit die Chance eines großen Scheiterns. Und durch die Möglichkeiten, der Anpassung und Veränderung des Testballons vergrößern sich wiederum die Erfolgsaussichten. Spätestens hier wird auch die Nähe der Generativen Kompetenz zur Komplexitätskompetenz deutlich – in beiden Kompetenzen braucht es einen Umgang mit dem Unbekannten.

Dieses Vorgehen lässt sich auf vieles übertragen: Anstelle einer ganzen Abteilung bearbeitet vorerst ein kleines Team einen neuen Markt. Eine veränderte Organisationsstruktur und ein neuer Führungsstil werden zunächst in einem Unternehmensbereich erprobt, bevor es auf das gesamte Unternehmen ausgerollt wird. Oder ein neues System wird in einem definierten Team getestet, ehe es für alle gekauft wird.

Das Zusammenspiel von Alt und Neu

Das Neue kann es zu Beginn erfahrungsgemäß schwer haben. Neues – vor allem im Anfangsstadium – kann aus den verschiedensten Gründen versanden und Widerstände sind möglich. Die folgenden Aspekte können einen Beitrag leisten, dem Neuen den Weg in die Praxis zu ebnen. Was passiert etwa, wenn eine Chefin oder ein Chef mitteilt, dass ab sofort alle Produkte digital angeboten werden? Meist ist es so, dass ein Teil der Belegschaft sagt „Ja, endlich modernisieren wir uns.“ Ein anderer Teil könnte sagen: „Moment mal, wir brauchen auch noch unsere klassischen analogen Produkte.“ Dieses Beispiel weitergedacht: Das Neue könnte von einem Teil der Belegschaft unterstützt und vom anderen Teil mehr oder weniger abgelehnt werden. Das Neue birgt immer automatisch ein Bedrohungspotenzial für das Alte in sich – „Bis jetzt war es doch gut genug und nun auf einmal soll es …“ Wie in der Paradoxiekompetenz beschrieben, schränkt uns die Einseitigkeit einer Polarität ein. Wenn die Chefin oder der Chef des Eingangsbeispiels einseitig das Neue hervorhebt, ohne dabei auf den Wert und den Nutzen des Alten zu schauen, wird es das Neue schwer haben. Wenn es bestmöglich unterstützt werden soll, können das Alte und das Neue zusammengebracht werden. Sei es durch eine authentische und ernst gemeinte öffentliche Würdigung des Alten oder sei es in einer differenzierten Bearbeitung. Letzteres heißt, dass gemeinsam erarbeitet wird, was vom Alten unbedingt beibehalten werden muss und was gehen darf. Und umgekehrt kann besprochen werden,  was vom Neuen unbedingt benötigt wird und was davon vielleicht weniger. Erfahrungsgemäß finden sich im Alten oftmals erhaltenswerte Aspekte. Wenn Alt und Neu in dieser Art und Weise „zusammenkommen“ dürfen, können Widerstände verringert und die optimalen Bedingungen für das Neue erarbeitet werden. Im Abschnitt Übungen und Tools am Ende dieser Publikation findet sich dafür ein Moderationstool für Workshops.

Arbeiten Sie bereits mit Prototypen und Testballons? Wo und für was könnte dieses Vorgehen bei Ihnen Sinn ergeben (z. B. für neue Produkte oder aber auch neue Arbeitsformen usw.)?

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Zusammengefasst beinhaltet die Generative Kompetenz, …

  • gezielt Kontakt zu den inspirierenden „Rändern“ herzustellen.
  • die innovative Kraft der Menschen in einer Gruppe zu erwecken.
  • Verwertungsdruck übermäßiger Konzentration am Anfang gänzlich zu vermeiden.
  • Fehler und vor allem die Unsicherheit als „dazugehörig“ zu betrachten.
  • zu Beginn mit Prototypen und Testballons zu arbeiten.
  • das Neue in Wechselwirkung mit dem Alten zu sehen und zu berücksichtigen.
Wie wurde in der Vergangenheit mit dem Alten, Überholten umgegangen – wurde es gewürdigt und integriert? Wenn Sie sich nochmals hineindenken, hätte das einen Unterschied gemacht?

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