Motivation, Mut und Zuversicht
Ausgangslage
Viele der heutigen Babyboomer kennen nur Arbeit in abhängiger Beschäftigung. Selbstständigkeit ist für sie ein Fremdwort bzw. eine Herausforderung, mit der sie sich erst mal anfreunden müssen. Darüber hinaus sind in dieser Altersgruppe – der großen Heterogenität geschuldet – je nach Berufsund Lebensbiografie die Ausgangsbedingungen für die Gründung recht unterschiedlich, was die Beratungstätigkeit zusätzlich erschwert. Wer aus einem erfolgreichen Angestelltenverhältnis in die berufliche Selbstständigkeit wechselt, kann hier aus dem Vollen schöpfen. Anderen wiederum, bspw. Frauen und Männer nach der Familienphase oder arbeitslosen Gründerinnen und Gründern, bereitet es größere Schwierigkeiten, die Hemmnisse zu überwinden, die ihnen auf dem Weg in die Selbstständigkeit begegnen.
Informationsdefizite, aber auch (Versagens-)Ängste und Unsicherheiten aufgrund des Alters können angehende Gründerinnen und Gründer 45plus von einer Gründung abhalten. Eigentlich kein Wunder: Denn sie haben im Fall des Scheiterns oft mehr als Jüngere zu verlieren – das angesparte Vermögen, das eigene Haus, gesellschaftliches Ansehen. Die meisten älteren Gründerinnen und Gründer können sich eine Verschuldung nicht mehr leisten. Für einen Neuanfang würde die Zeit auch nicht mehr reichen.
Handlungsvorschläge
Da ältere Menschen in der Regel wenig oder keinen Kontakt mit der Gründung hatten, ist es gerade am Anfang der Beratung ganz wichtig, Ängste und Hemmschwellen abzubauen.
Wertschätzendes Beratungssetting
Dazu gehören vor allem die Entwicklung eines wertschätzenden und seriösen Settings sowie die Weitergabe passender Inhalte, die dazu dienen, Unsicherheiten abzubauen. Dieses Setting soll signalisieren, dass die Wünsche und Bedürfnisse im Rahmen der beabsichtigten selbstständigen Erwerbstätigkeit beachtet werden. Die Beratenden müssen dafür unter anderem
- die Gründungsidee der Ratsuchenden ernst nehmen
- genügend Zeit für alle vorliegenden Probleme mitbringen
- immer gemeinsam einen Lösungsweg suchen und finden
- die gleiche Sprache wie die älteren Ratsuchenden sprechen; keine „Alles-Besser-Wisser-Beratenden“ sein, sondern vielmehr eine glaubhafte und fundierte Lebensund Berufserfahrung mitbringen, als Basis für eine vertrauensvolle Atmosphäre
- Biografie und Lebenssituation der Teilnehmenden respektieren und berücksichtigen
Wertschätzendes Setting bedarf einer guten Balance zwischen Fordern und Fördern. Das heißt die Beraterin und der Berater sollen zunächst einmal in der Lage sein, die Möglichkeiten und die Grenzen der Ratsuchenden zur Umsetzung ihrer Geschäftsidee einzuschätzen.
Lebenslaufbezogene Beratung
Im zweiten Schritt geht es darum, angehende Gründerinnen und Gründer mit allen notwendigen Informationen zu versorgen, die von Fall zu Fall unterschiedlich sein werden. Die ideale Beraterin bzw. der ideale Berater sollte zuerst berücksichtigen, wen er/sie als Ratsuchenden vor sich hat. Ehemals Beschäftigte mit Führungserfahrung brauchen nicht nur andere Beratungsinhalte, sondern auch eine andere Ansprache als Gründerinnen und Gründer, die über längere Zeit arbeitslos waren. Es sollte keine „Beratung von der Stange geben, vielmehr eine individuelle, differenzierte, lebenswelt- und lebenslaufbezogene Beratung“.
Beraterinnen und Berater sollten sich daher nach Möglichkeit vor allem auf den ersten Beratungstermin gut vorbereiten. Ein Telefonat im Vorfeld kann hierzu bereits wertvolle Informationen liefern und darüber hinaus als vertrauensbildende Maßnahme wirken.
Zu den Orientierungsfragen für ein erstes Telefonat gehören beispielsweise:
- Warum wollen Sie sich selbstständig machen?
- In welchem Bereich möchten Sie sich selbstständig machen?
- Welche beruflichen Erfahrungen haben Sie gesammelt?
- Was wissen Sie über die besonderen Herausforderungen der Selbstständigkeit?
- Wie steht Ihre Familie zu Ihrem Plan, sich selbstständig zu machen?
In den ersten Beratungsgesprächen sollte sich die Beraterin bzw. der Berater ein Gesamtbild zu allen Faktoren eines Gründungsvorhabens durch Ältere machen, die Einfluss auf den Gründungsprozess haben können: Ressourcen, Netzwerke, Erfahrungen und Kompetenzen. Die Beratenden sollen vor allem möglichst genau die Beweggründe erfahren, aber auch die Ziele und Erwartungen, die die Gründerpersonen mit der beruflichen Selbstständigkeit verfolgen. Soll die Gründung dazu dienen, die eigene Existenz zu sichern, oder geht es darum, Kompetenzen einsetzen zu können, die in der vorherigen Berufstätigkeit nicht gezeigt werden konnten? Im Gespräch lässt sich dann gut erörtern, ob dieses Vorhaben eine Vollzeitgründung sein kann oder sich eher als Teilzeitgründung realisieren lässt.
Weitere Themen von Bedeutung für die Zielgruppe: Gesundheitszustand und Leistungsfähigkeit, genauso wie Work-Life-Balance. Auch die Klärung der Familienverhältnisse ist ratsam. Denn Lebenseinstellungen und Familienrollen können ggf. Anschub oder Hindernis für die Gründung sein. Dazu kommt, dass die Unterstützung des Umfelds, gerade bei den Gründungswilligen im fortgeschrittenen Alter, eine entscheidende Rolle spielt. Die Familie bzw. das nähere Umfeld sollten aus diesem Grund in die Beratung vom Anfang an berücksichtigt, bei Bedarf sogar mit einbezogen werden.
Selbstwertgefühl aufbauen: Empowerment
Zur Unterstützung von Arbeitslosen bzw. Wiedereinstegerinnen und Wiedereinsteigern eignet sich häufig ein sogenanntes Empowerment. Es zielt darauf, die Potenziale und Ressourcen der angehenden Gründerinnen und Gründer aufzuzeigen und zu (reaktivieren. In einigen Fällen kann eine schwierige berufliche Vorgeschichte das Selbstwertgefühl der Gründerperson so sehr beeinträchtigen, dass ein persönlicher (Wieder-)„Aufbau“ vor der eigentlichen Gründung nötig ist. Das kann auch gerade bei Langzeitarbeitslosen erforderlich sein. Je länger eine Phase der Arbeitslosigkeit dauert, je mehr Bewerbungen man ohne Erfolg verschickt hat, desto unsicherer fühlt man sich. Treten nun während der Vorbereitungen auf die Gründung Schwierigkeiten auf, beispielsweise harte, kontroverse Verhandlungen mit Kreditinstituten oder Ämtern, dann ist die Gründerin oder der Gründer unter Umständen schnell frustriert und hat zu wenig Selbstvertrauen, um sich und die Geschäftsidee überzeugend zu verkaufen. Die Beraterin bzw. der Berater soll in der Lage sein, die Ratsuchenden so zu stärken, dass sie ihr Gründungsvorhaben in Angriff nehmen und „bei der Stange bleiben“.
Eigeninitiative stärken
Einen ganz anderen Beratungsansatz benötigen Gründerinnen und Gründer mit ausgeprägten Berufserfahrungen. Dabei handelt es sich häufig um ehemalige Führungskräfte des mittleren Managements. Sie wurden nicht selten im Alter von etwa 50 Jahren freigestellt, haben eine Abfindung erhalten, verfügen meist über eine Immobilie und wollen sich neu orientieren. In diesem Fall ist es angebracht, Selbstständigkeit als Chance zu kommunizieren und auf diesem Weg die Gründungsinteressierten in ihrer Eigeninitiative zu stärken. Gründungsberatende werden dabei zu Partnern bzw. Begleitern im Gründungsprozess. Sie bewegen die Ratsuchenden dazu mitzumachen und helfen, wenn diese nicht allein weiterkommen.
Best Practice
"Ich wollte Spaß an der Arbeit haben, selbst entscheiden können, aber auch etwas Nützliches tun."
Ilona PetersMit 56 Jahren den alten sicheren Job abgeben und in eine völlig neue Branche durchstarten? Sicher!
Voller Zuversicht entschied sich Ilona Peters für eine Franchisegründung und wurde mit den Wuppertaler Zauberfrauen und deren haushaltsnahen Dienstleistungen erfolgreich. Kaum ein Jahr nach der Gründung, im Jahr 2014, expandierte sie bereits und zog in eigene Büroräume ein. Heute beschäftigt Ilona Peters 18 Mitarbeiterinnen. Die Gründung war ein mutiger Schritt, der sich gelohnt hat.Kurzprofil
- Gründerin: Ilona Peters
- Unternehmen: Zauberfrau Wuppertal
- Standort: Wuppertal (NRW)
- Gründungsalter: 56 Jahre
- Gründung: 2013, erstes Geschäftsjahr 2014
- Expansion (Umzug in eigene Büroräume): 2014
- Mitarbeitende: 18
- Auszeichnung: "Unternehmerinnenbrief NRW" 2014
- Qualitätssiegel für Haushaltsnahe Dienstleistungen seit 2014
Lesen Sie hier das vollständige Interview.
Persönliches Gespräch
Ältere Gründerinnen und Gründer legen großen Wert auf das persönliche Gespräch. Nur durch eine direkte und offene Atmosphäre kann der Austausch zwischen Beraterin oder Berater und Ratsuchenden gelingen. Eine webbasierte bzw. virtuelle Kommunikation, so verbreitet sie inzwischen unter den Jüngeren ist, kann den direkten Kontakt im Umgang mit dieser Altersgruppe keineswegs ersetzen. Die persönliche Ansprache ist unerlässlich.
Selbst wenn die Kommunikation zwischen Beratenden und Ratsuchenden der Grundstein einer erfolgreichen Beratung ist, kann in einigen Fällen die Teilnahme an Gruppenveranstaltungen, vor allem bei erfahrenen Gründungswilligen mit guten Startbedingungen, den Gründungsprozess beschleunigen.
Aus der Gruppendynamik schöpfen die Erfahrenen Kräfte und Antrieb zur Verwirklichung der eigenen Geschäftsidee bzw. können sich je nach Bedarf die benötigten Informationsinhalte „rauspicken“. Spielraum für aktives Networking geben solche Events ebenfalls.
Zeit gewähren
Möglicherweise stehen Gründerinnen und Gründer aufgrund ihres Alters oder ihrer beruflichen Situation unter dem Druck, jetzt sofort durchstarten zu müssen. Dem sollte eine Beratung unbedingt entgegenwirken. Auch älteren Gründerinnen und Gründern muss klar werden, dass mit ihrer beruflichen Selbstständigkeit Risiken verbunden sind, über die sie in Ruhe nachdenken müssen. Andererseits sollte sich die Beratungszeit immer am Bedarf orientieren, das heißt, wenn nötig, sind für Gründerpersonen im fortgeschrittenen Alter sogar eher längere Beratungszeiten einzuplanen
Weitere Informationen:
BMWi-GründerZeiten Nr. 19: Startvorteil Erfahrung. Existenzgründungen im besten Alter.
Tipp:
„Leistungsfähigkeit ist eine Frage der Kompetenz und nicht des Alters. Der Gründerperson sollte das Gefühl vermittelt werden, dass eine erfolgreiche Unternehmensgründung nicht nur etwas für Personen mit deutlich jüngerem Alter ist. Ältere Unternehmensgründerinnen und -gründer sollten auf keinen Fall mit jüngeren Existenzgründerinnen und -gründern gemessen werden.“
Thomas Nabein, IHK Aschaffenburg
Checkliste 1: Empowerment
Potenzielle Gründerinnen und Gründer aus (längerer) Arbeitslosigkeit haben oftmals ihr Selbstvertrauen und das Bewusstsein für die eigenen Fähigkeiten verloren. Man braucht für alles viel Zeit, man zweifelt, bleibt untätig.
Vor allem sogenannte Notgründer, für die eine Selbstständigkeit die einzige Chance ist, ins Arbeitsleben zurückzukehren, benötigen eine besondere Unterstützung auf dem Weg zum eigenen Unternehmen: Rückenstärkung dabei, selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu Handeln.
Ziel einer Empowerment-Beratung ist, die Eigenmacht der Gründerinnen und Gründer zu stärken, ihnen dabei zu helfen, Herrschaft und Selbstbestimmung über den eigenen Alltag zurückzugewinnen und einen Rollenwechsel zu vollziehen: vom passiven Objekt zum handelnden Subjekt.
Sicherheit und Vertrauen
Voraussetzung für eine Empowerment-Beratung ist eine Vertrauensbeziehung zwischen Berater und Gründer. Der Gründer wird nur dann bereit sein, sich offen und ohne Misstrauen mitzuteilen. Berater sollten dafür z.B.
- sich an der Lebenszukunft des Klienten orientieren;
- Geduld zeigen, wenn der Gründer seine "Geschichte" erzählt;
- ihn ernst nehmen und interessiert zuhören (und nicht nur so tun als ob). Wer das Gefühl vermittelt bekommt, nicht angenommen, sondern nur geduldet zu sein, verschließt sich;
- den Eigen-Sinn (auch das Selbst-Bewusstsein) des Gegenübers akzeptieren;
- auf entmündigende Expertenurteile verzichten.
Selbstermächtigung
Hier geht es um die Stärkung und Bestätigung des Gründers. Dabei stehen folgende Maßnahmen im Vordergrund:
- Werte bewusst machen: Der Berater sollte im Gespräch mit dem Gründer dessen Werte erfragen und deren Bedeutung auf die Geschäftsidee verdeutlichen. Beispiele: Gerechtigkeit, Selbständigkeit, Nachhaltigkeit, Hingabe. Wie wirken sich diese auf das Gründungsvorhaben aus? Wie werden diese Werte in der beruflichen Selbständigkeit gelebt?
- Kernqualitäten ermitteln: Der Berater sollte im Gespräch mit dem Gründer dessen persönliche Wesenszüge erspüren und benennen lassen. Beispiele: die Fähigkeit, sich in Situationen und Personen hineinzuversetzen, Mitgefühl, Tatkraft, Mut.
- Benennen und Belohnen von Erfolgen: Berater sollte für den Gründer Möglichkeiten schaffen, die eigenen Erfolge zu erleben, dafür Anerkennung zu bekommen und sich seiner Stärken bewusst zu werden.
- Herausforderungen kreieren: Berater und Gründer sollten gemeinsam nach Herausforderungen suchen, aber sich dabei auch bewusst machen, dass Herausforderungen für jede Person anders aussehen. Sie sollten darauf achten, dass die gemeinsam gewählte Herausforderung realistisch ist. Der Gründer sollte jederzeit das Gefühl haben, sie bewältigen zu können.
Soziale Unterstützung durch eine Gruppe Gleichgesinnter
Die Unterstützung durch eine Gruppe Gleichgesinnter, in der man sich geborgen fühlt, ist ein wichtiges Element des
Empowerments. Der Berater fungiert hier als Vermittler.
Soziale Unterstützung gibt dem Gründer die Möglichkeit,
- seine Meinung zu äußern;
- andere Gruppenmitglieder zu unterstützen;
- Erfahrungen auszutauschen und zu bestätigen;
- sich ermutigen zu lassen;
- über seine Sorgen zu sprechen;
- seine Stärken zu entdecken;
- sich besser zu fühlen.
Selbstständiges Ausführen von Aufgaben
- Aktives Lernen durch das selbstständige Ausführen von Aufgaben bringt Gründer dazu, wieder auf eigenen Füßen zu stehen und ihre Selbstregie zurückzugewinnen.
- Selbstständiges Ausführen von Aufgaben vermittelt Zufriedenheit und Selbstvertrauen. Man lernt zudem schneller und behält das Gelernte besser.
- Es stimuliert die Bereitschaft zu Eigeninitiative und Aktionsbereitschaft.
Quellen:
Mit weniger mehr erreichen – Empowerment und gruppenorientierte Ansätze in der Eingliederung Arbeitsuchender in den Ersten Arbeitsmarkt.
Carsten Höhre, Wirtschaftsförderung Region Kassel GmbH
Herausgeber: Stadt Offenbach am Main, 2012.
Übersicht 2: Zielgruppengerechte Herangehensweise in der Gründungsberatung 45plus (Typ 1: Notgründungen)
Merkmal, Problem | Methode, Vorgehen |
Wunsch nach verbindlicher Handlungsrichtschnur, Gewohnheiten aus dem bisherigen Arbeitsleben |
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Fehlende Eigeninitiative, fehlender Mut zum Handeln |
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Kürze der (vermeintlich) verbleibenden Zeit, bedingt oft nur eine Gründung zur Absicherung des Lebensunterhaltes (aus Perspektivlosigkeit) Folglich Klein-, Kleinstgründung oder Soloselbständigkeit, keine Wachstumsziele, keine Personaleinstellung, Gründung "aus eigener Tasche", selten Fremdfinanzierung | Gründungswillige kommen meist mit spezifischer Absicht zu gründen.
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Oft „persönlicher Rucksack“ (Lasten) im Umfeld:
| Der „persönliche Rucksack“ wird in direkter Verbindung mit der
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Vorurteile und vorgefasste Meinungen zum Teil auch Ängste und Hemmschwellen, die der Gründung gegenüberstehen. So stimmen auch Selbstbild und Fremdbild zu benötigten |
Im Beratungsgespräch achten auf:
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