Wirken im Kontakt und Beziehungsgeflecht
Während bei den Managementaufgaben noch Zahlen, Prozesse und Ressourcen im Vordergrund stehen, geht es beim Wirken im Kontakt und Beziehungsgeflecht vor allem um das Lebendige: Menschen in ihrer Vielfalt und Einzigartigkeit. Damit wird auch der „sichere“ Raum des Verstandes und der Berechenbarkeit verlassen und der Raum für das unberechenbare Zwischenmenschliche betreten.
Wirksamkeit kann am Ende immer erst mit und durch andere Menschen entstehen. Allein ist eine Führungskraft macht- und wirkungslos. Sie muss daher Beziehungen zu den geführten Mitarbeitern, anderen Führungskräften, Kunden sowie Partnern und schließlich zum eigenen Chef aufbauen und pflegen. Sie alle müssen etwas herstellen, leisten, unterstützen oder einfach nur „mitmachen“ und kooperieren, damit am Ende die Ergebnisse stimmen.
Die Führungsbeziehung nimmt eine besondere Rolle ein. Hier gibt es qua Rolle einen, der führt und mindestens einen, der sich führen lässt. Wenn der Chef vorn steht und „nach links“ ruft, aber keiner folgt, ist er wirkungslos. Anreize oder Druck können zwar noch etwas bewirken, jedoch brauchen heute die meisten Vorgesetzten etwas anderes. Nämlich das Beste, was die Mitarbeiter zu bieten haben: ihre Freiwilligkeit und Energie. In einer Geschäftswelt, die immer komplexer wird und auch nicht mehr durch einen allein überblickt, verstanden und beherrscht werden kann, steigt die Abhängigkeit vom Einsatz und den Leistungen der Mitarbeiter. Diese gibt es jedoch nicht auf Zuruf oder Anweisung. Führung und Kooperation können demnach nur da entstehen, wo sie vom Gegenüber auch zugelassen werden. Aus diesem Grund ist die Qualität der Führungsbeziehungen so wichtig. Sie wirkt und beeinflusst beispielsweise:
- Ob die Freiwilligkeit, Energie und Motivation der Mitarbeiter mobilisiert werden
- Ob mit Konflikten produktiv oder unproduktiv umgegangen wird
- Wie kritisierbare und unliebsame Entscheidungen akzeptiert werden
- Wie sehr Veränderungsvorhaben mitgetragen werden
- Wie sich das Wohlbefinden und die Gesundheit der Beteiligten entwickeln
- Inwieweit sich die Potenziale der Mitarbeiter entfalten können
Beziehungen sind immer lebendig, vielen Einflüssen ausgesetzt und verändern sich auch im Lauf der Zeit. Daher lässt sich hier kein definiertes Aufgabenset wie bei den Managementaufgaben benennen. Dennoch kann jede Führungskraft positiv auf die Führungsbeziehungen einwirken. Die Basis bildet die Einsicht, dass gelingende Beziehungen nie durch einen allein gestaltet werden können. Daher ist es entscheidend, dass beide dafür Verantwortung übernehmen. Deswegen macht es Sinn, die gegenseitigen Erwartungen und Bedarfe im Hinblick auf eine gelingende Führungsbeziehung zu besprechen. Zum Beispiel: „Was brauche ich von Dir, damit ich dich gut führen kann?“ Und: „Was brauchst du von mir, damit du dich gut führen lassen kannst?“ Beide wissen so genau, was es braucht oder auch nicht braucht und die Geführten werden als Mitgestalter der Führungsbeziehungen gestärkt. Dadurch können gemeinsam die Bedingungen geschaffen werden, um starke und belastbare Führungsbeziehungen und so auch gute Ergebnisse wirklich werden zu lassen.
Hinzu kommt, dass Beziehungen im Arbeitskontext durch Termin- und Kostendruck oder andere Zwänge beeinflusst und trotzdem weitergeführt werden müssen. Für eine Führungskraft kann es erforderlich sein, immer wieder zwischen den geschäftlichen Erfordernissen einerseits und dem Wohlbefinden der Mitarbeiter andererseits eine Balance zu finden. Für diese Kunst gibt es leider keine Patentrezepte und keine Standardlösungen. Erfolgreich führen heißt hier, die Beziehungen innerhalb solcher Spannungsfelder aktiv zu gestalten, mit den Menschen in Kontakt zu bleiben, umsichtig zu steuern und immer wieder neu eine Balance zu finden.
Eine große Hilfe für das Wirken im Kontakt und im Beziehungsgeflecht ist es, anzuerkennen und zu berücksichtigen, dass Beziehungen oft ganz individuell von Zuneigung, Interesse, Sympathie, Anerkennung, Bewunderung, Wohlwollen, Respekt, Vertrauen aber auch von Unsicherheit, Konkurrenz, Neid, Missgunst, Angst, Vorsicht, Zweifel und vielem mehr geprägt sind. All dies schwebt subtil in jedem Kontakt sowie Gespräch mit und beeinflusst die Qualität der Beziehung und so wiederum auch die Resultate der Zusammenarbeit. Wenn Führungskräfte dafür offen sind und lernen, diese Gefühle, die sowieso im „Hintergrund mitlaufen“ und wirken, wahrzunehmen und auch anzuerkennen (z. B. nach dem Motto: „Ja, da ist Wut.“ oder „Ja, da ist Unsicherheit.“ usw.) ist dies bereits hochgradig beziehungswirksam: Die Partner fühlen sich gesehen, es wird wieder Kraft für das Wichtige freigesetzt, Widerstände können verringert und die Beziehung kann wieder „frei“ für die Sache werden.