Technische Lösungen als Chance
Neben höheren Ausgaben für Gehälter, die durchaus die Motivation und Bindung an das Unternehmen sowie dessen Attraktivität für Stellensuchende steigern können, stellen sich Unternehmen also zu einem großen Teil auch auf Einnahmeverluste und schwindende Wettbewerbsfähigkeit ein. Investitionen in technische Lösungen sehen hingegen nur 13 Prozent der befragten Unternehmen als Konsequenz der Fachkräfteengpässe. Planungen in Gestalt von IT-Anwendungen und Robotik spielen insbesondere in „wissensintensiven“ Dienstleistungsbereichen wie Versicherung, Kreditgewerbe oder Rechts- und Steuerberatung eine Rolle (28 bis 34 Prozent); für den Gesundheits- und Pflegebereich sind sie dagegen von deutlich untergeordneter Bedeutung (8 Prozent). Dies dürfte nicht zuletzt in der Tatsache begründet sein, dass bei der Entwicklung von Systemen häufig zu technikorientiert vorgegangen wird und wichtige branchenspezifische Unterschiede unberücksichtigt bleiben:
„Die Technikentwicklung findet häufig „hinter verschlossenen Türen“ im Labor statt. Ingenieurinnen und Ingenieure mit unzureichender Kenntnis der Branche arbeiten an Lösungen, um die Pflege am und mit dem Menschen zu erleichtern. Sie haben eine andere Berufskultur verinnerlicht, die mit pflegerischen Werten kollidiert (kollidieren kann): Während sie ihre Befriedigung aus der Entwicklung technischer Lösungen erhalten, möchten Pflegende Menschen helfen.“ (BGW 2017)
Andererseits konstatieren mehr als 70 Prozent der befragten Unternehmen des Monitoring Report DIGITAL (BMWi 2018) einen starken bis sehr starken Einfluss der Digitalisierung auf den Unternehmenserfolg. Einer aktuellen Bitkom-Studie zufolge sehen 88 Prozent der Befragten große bis mittlere Potenziale durch den Einsatz digitaler Technologien für den verbesserten Kundenservice, lediglich 36 Prozent erwarten in diesem Umfang Effekte der Mitarbeiterbindung (Tata/Bitkom 2019). Fragen, die in einer anderen Studie den Einsatz von Assistenzsystemen in den Blick nehmen, kommen zu ähnlichen Ergebnissen:
„Vier von fünf Teilnehmern hoffen auf eine höhere Produktivität durch digitale Assistenzsysteme. Prozesskontrolle, Produktqualität und Wirtschaftlichkeit sind weitere wichtige Eigenschaften, die sich Anwender versprechen. Etwas seltener wurden die mitarbeiterbezogenen Kriterien ausgewählt. Beispielsweise fokussieren rund 40 Prozent der Unternehmen eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit.“ (Fraunhofer IAO 2019,10)
Dass Beschäftigte dem Technologieeinsatz durchaus positiv begegnen, zeigt eine Erhebung der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA). Dem Einsatz moderner Technik stehen professionell Pflegende nach eigenen Angaben zu 90 Prozent aufgeschlossen gegenüber und über 70 Prozent halten es für wahrscheinlich, dass sie die Qualität der Arbeit im Hinblick auf Sicherheit und Gesundheit der Pflegenden verbessert (INQA 2018).
Möglicherweise also blieben bisher gute Chancen, die Attraktivität des Unternehmens gegenüber Mitarbeitenden zu erhöhen und für die Personalentwicklung zu nutzen, unerkannt und damit ungenutzt.
„Durch die Entwicklung von Assistenzsystemen entstehen neue Potenziale für eine Humanisierung der Arbeitswelt, die den technischen Fortschritt dazu nutzt, (…) die Beschäftigten von schweren, monotonen, gesundheitsgefährdenden Tätigkeiten zu entlasten, die Qualität der Arbeit zu steigern, lern- und innovationsförderliche Arbeitsprozesse zu unterstützen und die Teilhabemöglichkeiten an Arbeit zu verbessern.“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2018, 7)
Prinzipiell sollte es auch darum gehen, die jüngst während des Corona-Ausnahmezustandes gesammelten Erfahrungen und den vielfach zwangsläufig entstandenen digitalen Entwicklungsschub als Chance zu nutzen, um für die Zukunft besser gerüstet zu sein.
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