Szenario 6: Beschaffungsrisiken bei wichtigen Fachkräften, Anpassung des Ausbildungsplatzangebotes
1. Strategische Ausgangslage
Das Unternehmen ist ein familiengeführter Pflegedienstleister mit 60 Mitarbeitern – überwiegend ausgebildete Fachkräfte. Es bewegt sich in einem stark wachsenden Markt und zählt in der Region zu einem der größeren Anbieter in der Pflegebranche. Seine Leistungen bietet es in drei Bereichen an: Grundpflege, häusliche Pflege und Tagespflege.
Potenzielle und starke Wettbewerber sind die großen überregionalen Pflegedienste wie Caritas und andere, die zentral und professionell mit der Pflegekasse ihre Preise aushandeln.
Zur Stabilisierung der eigenen Marktstellung will die Geschäftsführung den Umsatz ab dem kommenden Jahr um jährlich zehn Prozent steigern. Der relativ kostenintensive und wenig lukrative Bereich „Grundpflege“ soll minimiert, die beiden anderen Bereiche deutlich ausgebaut werden. Dabei müssen die Kosten (wegen der sehr niedrigen Personalkostenproduktivität8) mindestens in stabiler Relation zum Umsatz bleiben, um das Unternehmen nicht zu gefährden.
Diese Ziele können nur erreicht werden, wenn genügend neue Pflegekräfte eingestellt und dauerhaft an das Unternehmen gebunden werden können.
8Die Personalkostenproduktivität ist eine der wichtigsten Personalkennzahlen. Sie setzt den Rohertrag eines Unternehmens (Umsatz minus Material- und Fremddienstleistungskosten) in Beziehung zu dessen Personalkosten. Ein Wert < 1,5 ist für jedes Unternehmen kritisch. Ein „guter“ Wert liegt > 2.
2. Zusammenhang mit den Personalressourcen des Unternehmens
Wachstum mit knappen Personalressourcen erhöht die Belastung der Mitarbeiter kontinuierlich – und damit für das Unternehmen das Fluktuationsrisiko. Schon jetzt verlassen einzelne Fachkräfte in den Hauptwachstumsbereichen häusliche Pflege und Tagespflege das Unternehmen (trotz sehr gutem Betriebsklima). Dem versucht die Geschäftsführung entgegenzuwirken, indem sie internationales Personalmarketing für Fachkräfte betreibt sowie ein System von Bonuszahlungen für die Fachkräfte einführt. Für solche Vergütungen ist der finanzielle Handlungsspielraum allerdings sehr begrenzt, denn die Personalkostenproduktivität (siehe Fußnote 7) liegt mit dem Faktor 1,5 (zu) niedrig.
3. Optionen einer strategischen Vorsteuerung
Die Geschäftsführung hat folgende Optionen einer strategischen Vorsteuerung der Personalressourcen erarbeitet:
- Verstärkte Personalbeschaffung aus nahe gelegenen Bereichen (z.B. Arzt- und Pflegehelfer), wo allerdings ebenfalls Personalknappheit besteht.
- Intensivierung der Nachwuchsförderung durch verstärkte Kooperationen mit regionalen Netzwerken im Pflegebereich.
- Planung eines Trainee-Programms zur Vorbereitung von Nachwuchskräften auf leitende Positionen (Teamleiter, Management).
- Weitere Marketingmaßnahmen zur besseren Positionierung des Unternehmens auf dem Arbeitsmarkt (Arbeitgebermarke).
4. Mitarbeiterinteressen und Perspektive des Betriebsrats
Besonders die wichtigsten Fachkräfte und Teamleiter arbeiten am Limit. Beschwerden häufen sich, auch beim Betriebsrat. Zudem ist die Bezahlung der Mitarbeiter trotz Bonuszahlungen (branchenüblich) niedrig. Der Betriebsrat reagiert mit einem eigenen Vorschlag auf die Optionen der Geschäftsführung, da diese in seinen Augen lediglich den bisherigen Weg weitgehend erfolgloser Bemühungen fortsetzt.
Sein Vorschlag lautet: Erhöhung der Ausbildungsquote und Fokussierung der Azubi-Rekrutierung auf branchenfremde Zielgruppen (An- und Ungelernte, Schul- und Studienabbrecher), die ausreichend am Arbeitsmarkt verfügbar sind. Entsprechend wären die Auswahlkriterien für Azubi anzupassen.
Besonderer strategischer Fokus des Betriebsrats: Versuch der Lösung des Problems der Wachstumslimitierung durch knappe Personalressourcen durch Perspektiverweiterung (höhere Ausbildungsquote und branchenfremde Zielgruppen).
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