Veränderungen in (mittelständischen) Unternehmen gestalten – Erfahrungen und Thesen
„Man muss dem Besseren Gelegenheit geben, sich zu entfalten.“ – José Martí
Unter professionellen Gesichtspunkten fällt mir kaum etwas so schwer, wie dieses hier: das Formulieren von Hinweisen und Perspektiven, von denen ich mir erhoffe, dass sie auch losgelöst von mir und außerhalb eines persönlichen Kontakts für Sie hilfreich sein könnten. Ich behelfe mir damit, einige Thesen zu formulieren und zu erläutern, die mir selbst Orientierung geben, wenn ich in Veränderungsprozessen involviert bin. Ich lege hiermit auch eine Einladung bei, sich bei mir oder meinen Kollegen zu melden, um daraus etwas Gemeinsames zu machen.
Musterbrüche – oder: Wer etwas ändern will, muss das Bestehende würdigen
Mitunter treibt einen Geschäftsführer, der mit uns in Kontakt tritt, zunächst einmal nur ein ungutes Bauchgefühl oder die vage Wahrnehmung, dass es dem Unternehmen guttun würde, sich etwas weniger im Kreis zu drehen. Wer nun unmittelbar in die (sachliche) Planung eines neuen Geschäfts einsteigt, übersieht womöglich, dass es gute Gründe dafür gab, das Bestehende weiterzuführen; übersieht, dass es Kräfte im Unternehmen gibt, die (ohne Klärung) auch weiterhin am Bestehenden festhalten. Ein solcher Prozess dürfte häufig in die Kategorie „gut gemeint“ fallen. Meistens ist mit einer weitreichenden Veränderung ein Bruch mit bewährten Mustern verbunden. Es kann hilfreich sein, im Gespräch mit Vertretern des Bewährten eine Idee zu entwickeln, welche Widerstände ins Spiel kommen, wenn eine Veränderung ins Haus steht; sich erst das Alte und das Neue anzuschauen, um es anschließend mit einander in Kontakt zu bringen. Außerdem ist wichtig: In einer Organisation gibt es kaum etwas, das einen größeren Kraftaufwand bedeutet als ein solcher Musterbruch.
Erst kommt die Analyse, dann die Ziele, oder?
Es gibt sie: Strategie- und Geschäftsmodellentwicklungsprozesse, die sich in mittelständischen Unternehmen über 30 und mehr Tage erstrecken. Die Logik ist häufig ähnlich, erst kommt eine gründliche Analyse, dann die groben Ziele und dann der Workaround. Ich habe kein Unternehmen gesehen, dem dieses lineare Vorgehen wirklich angemessen gewesen wäre. Alleine schon: Was soll analysiert werden, ohne zu wissen, wohin man will? Häufig scheint es hilfreicher, erst Perspektiven zu entwickeln und die Analyse daran anzuschließen, beispielsweise nach dem Strickmuster: „Wie müsste die jeweilige Option aussehen, dass sie alle Anwesenden unterstützen können?“
Orientierung in einem widersprüchlichen, komplexen Prozess lauter Rückbezüge
Wir haben uns von linearen Modellen verabschiedet, die konsequent von A nach B laufen und daraufhin ein sinnvolles Ergebnis versprechen. Stattdessen bieten wir einen Rahmen an, der wesentliche Zusammenhänge in einem mittelständischen Unternehmen in den Blick nimmt und Orientierung in einem Prozess bietet, in dem es viele Zirkularitäten gibt. Hierfür nutzen wir das Geschäftsmodell, mit dem die Schlüsselfaktoren des Unternehmenserfolges intuitiv erfasst werden können. Je nach Bedarf können einzelne Elemente vertieft oder (auf einer neuen Stufe) wiederholt werden. In einem Bild gesprochen: Der Führungskreis wirbelt Staub auf, der auf den Orientierungsrahmen fällt. Dort kann er kommunikativ be- und verarbeitet werden, bis ein stimmiges Gesamtbild entsteht. Auch wenn es um die Sache geht, der Weg dorthin ist ein sozialer Prozess. Daneben gibt es eine gute Informationsquelle für jeden Geschäftsführer, nämlich das eigene Bauchgefühl.
Worauf lohnt es sich zu schauen, wenn man sich (anders) in (sich verändernden) Märkten aufstellen will?
Es ist bereits aufgetaucht: Damit sich ein Unternehmen an eine sich wandelnde Umwelt anpassen kann, braucht es eine Entsprechung im Innen. Die Formel „mehr Komplexität außen, mehr Komplexität innen“ scheint für uns nicht tragfähig. Vielmehr geht es darum, den Blick darauf zu lenken, welche Art der Entsprechung es im Innen braucht, um Erfolge im Zusammenspiel mit dem Markt zu erzielen. Wir halten das Konzept der Kernkompetenzen hier für ausgesprochen fruchtbar: Welche Kombination aus Basiskompetenzen braucht es, um dem Kunden den (beabsichtigten) Mehrwert zu verschaffen? So kann die Kernkompetenz in einem Unternehmen, das ein gesundes Wachstum über die Kombination von Auslastungskunden und Margenkunden erzielt und die mit einer hohen Komplexität der inneren Prozesse erkauft, darin bestehen, die Schnittstelle zwischen Arbeitsvorbereitung, Vertrieb und Produktion „gut“ zu gestalten (was auch immer das dann im Einzelnen heißt).
Umsetzung ist mehr als Projektmanagement und Controlling
Eine der spannendsten Fragen für uns: „Wie werden die schönen Pläne praktisch?“. Natürlich wird es meistens hilfreich sein aus dem großen Ganzen handhabbare Pakete zu schnüren. Also das „Wer macht was bis wann?“ kann genauso wichtig sein, wie eine Geschäftsführung, die eine klare Linie vorgibt. Viele Fälle zeigen aber auch, dass das nicht unbedingt reicht. Zumindest dann nicht, wenn nicht auch „Widerstände“ bearbeitet werden. Außerdem kommt für uns das ins Spiel, was Wigang F. Große Oetringhaus als „strategische Identität“ bezeichnet. Erarbeitet der Führungskreis eine schlüssige Vision und bringt diese in eine schlüssige Verbindung mit den eigenen Kernkompetenzen, kann eine Situation entstehen, in der Sog (der Vision) auf den Druck (der Kernkompetenzen) trifft. Diese Orientierung hilft auch dann, wenn sich herausstellt, was schon alle wussten: Dass die Planung von heute eben die Planung von heute ist und sich Meilensteine und Prioritäten im Prozessverlauf ändern.
Patrick Großheim ist Diplom-Sozialwirt, Vater einer Tochter und leitet gemeinsam mit seiner Frau das Projekt „Wettbewerbsfähig in der Digitalisierung“ im RKW Kompetenzzentrum. Dort erarbeitet er mit und für kleine und mittlere Unternehmen Angebote zu den Themen Geschäftsmodellentwicklung, Digitalisierung und strategische Personalarbeit – „Chefsachen“ eben.
Kontakt: grossheim(at)rkw.de
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