Unser Problemaufriss: Die dreifache Führungskrise
Unser tradiertes Führungsverständnis befindet sich – so unsere Hypothese – etwas zugespitzt in einer mindestens dreifachen Krise: Erstens wird offensichtlich, was sich bisher genaugenommen auch nur hinterher plausibilisieren ließ – nämlich, dass man vorher nicht wissen kann, was hinterher herauskommt (Planungskrise) und wenn dabei der Leistungsdruck zunimmt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Entscheidungsqualität, aber auch die Gesundheit der Führungskräfte, darunter leiden. Zweitens beobachten wir das, was mit den Diskussionen um die Generation X, Y oder Z nur sehr unzureichend zu fassen ist: der „Deal“ zwischen Management und Shopfloor bricht, das heißt Mitarbeiter brauchen die ihnen zugetragenen Aufgaben nicht mehr einfach abzuarbeiten und erhalten dafür auch keine vorab klar definierte Gegenleistung sowie „Leadershipcare“ (Anweisungs- bzw. Resonanzkrise). Drittens, sehen wir, dass Unternehmen und Führungskräfte mit New Work und Co. und den damit einhergehenden ungeklärten Steuerungs- und Komplexitätsfragen schnell vor neuen Herausforderungen stehen. So werden der Umgang miteinander, das Sozial- und Kooperationsverhalten aller oder die Offenheit, für vollkommen neue „Spielregeln“ (Krise der sozialen Innovation) zum Gradmesser, ob und inwiefern New Work und Co. ihre Potenziale ausspielen können.
Ein genauerer Blick auf die Führungskrisen
Führung in Organisationen war schon immer anspruchsvoll. Immer schon ging es auch darum, mehreres unter einen Hut zu bringen, was nicht gut zusammenpasst, sich gar widerspricht: menschliche Bedürfnisse und Liquiditätsinteressen, Qualität und Schnelligkeit, um nur zwei Beispiele zu nennen. Vor allem müssen Führungskräfte aber entscheiden, also zwischen zwei gleichwertigen Optionen wählen – und das in einem Umfeld, wo es mitunter „um sehr viel geht“: um Ergebnisse, Fristen, die (erfolgreiche) Zukunft, aber auch um die persönlichen Interessen oder die eigene Reputation.
Vom Planungsmythos zur Planungskrise
Nun ist mithilfe der Globalisierung, mit modernen Informations- und Kommunikationstechnologien und einigem mehr etwas in die Welt gekommen, das sich auf das Akronym VUCA zusammenfassen lässt. Ohne das Konzept hier angemessen zu diskutieren: Führungskräfte bekommen es mit volatilen, ungewissen, komplexen und mehrdeutigen Dynamiken zu tun, die ihren Job alles andere als leichter machen (Ähnliches gilt natürlich auch für die Geführten). Je mehr unberechenbare Variablen in eine komplizierte Gleichung kommen, umso schwieriger wird es, ein Ergebnis zu errechnen und es hinterher auch mit einer Abfolge geplanter Aktionen zu erreichen. Wenn ich ein gewünschtes Ergebnis aber nicht kontrolliert erreichen kann und wenn es schlicht zu viele und vor allem außerhalb der eigenen Reichweite liegende Variablen sind, stellt sich die Frage, was den Führungskräften bleibt. Wie sollen sie den Job bewältigen? Was sollen sie konkret tun, wenn sie am Ende nur einen beschränkten Einfluss in einer hoch komplexen Welt haben? Vor allem wie können sie als Menschen mit diesen Begrenzungen auf der einen und unzähligen Möglichkeiten auf der anderen Seite gut umgehen?
Ein brüchiger Deal – die Anweisungs- und Resonanzkrise
Führung soll zu einem sinnvollen Ergebnis führen. Liegt es jedoch wirklich in der Macht einer einzelnen Führungskraft, ob sie beziehungsweise der verantwortete Bereich erfolgreich ist und die erwarteten Ergebnisse hervorbringt? Der Mythos der Führungskraft, die alleine richten soll, was nur gemeinsam geschafft werden kann, begleitet uns schon viele Jahre. Wenn eine Führungskraft jedoch immer offensichtlicher auf den (freiwilligen) Einsatz der Kollegen angewiesen ist und sie diesen Einsatz immer seltener über Anreize, Druck und Anweisung erhalten kann, was kann sie dann konkret tun, um die angestrebten Ergebnisse (trotzdem) zu erreichen? Und im Umkehrschluss: Wenn sich gute Personalführung nicht mehr dadurch definieren kann, dass der Schäfer (die Führungskraft) sich gut um seine Schäfchen (die Geführten) kümmert – schlicht weil die heterogenen Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zunehmend wichtiger werden und die Arbeitswelt schnelllebiger – wie bleiben sie angemessen im Spiel?
Voraussetzungen für agiles Arbeiten – die Krise der sozialen Innovation
Daraufhin beobachten wir immer mehr Organisationen, die mit selbstorganisierten und agilen Kooperationsformen experimentieren: Enthierarchisierung, die Verlagerung von Verantwortung und Entscheidungsmacht an betroffene Teams und Mitarbeiter oder immer kürzere Planungshorizonte können als „Komplexitätskiller“ passende Antworten auf die veränderten Anforderungen und Dynamiken liefern. Zeitgleich werfen diese Lösungen aber unverzüglich neue Fragen auf: Was braucht es, damit wir – „von einem Tag auf den anderen“ – in der Lage sind, selbstverantwortlich, selbstorganisiert, selbstgenügsam und vor allem kooperativ in hierarchiereduzierten Umfeldern zu arbeiten? Wollen Führungskräfte Macht, Status und Einfluss überhaupt abgeben? Und wenn sie es wollen, können sie die Verhaltensweisen, die über Jahre förderlich waren (beispielsweise in Form des vielbesungenen Silodenkens) einfach so durch neue ersetzen? Ähnlich sieht es bei den Mitarbeitern aus: Wie können sie sich möglichst wirksam und schädigungsarm in agilen Teams mit verteilten Führungsaufgaben bewegen?
- © Mathisa_s / iStock.com – csm_1657_schmetterling__b13134cc7d.jpg