Die Schöne und das Biest? Über das Alte und Neue und scheinbare Gegensätze

Dr. Margret Klinkhammer verantwortet seit mehr als 30 Jahren in den Rollen der Führungskraft und Beraterin vielfältige Veränderungsprojekte auf individueller und organisationaler Ebene. Sie ist Aufsichtsrätin und Beirätin mittelständischer Unternehmen sowie Gesellschafterin und Geschäftsführerin der CORMENS GmbH, einem international arbeitenden Beratungsunternehmen. Ihre Erfahrungen aus Change-Vorhaben hat sie mit Kolleginnen und Kollegen zusammengefasst in dem Buch: „Change Happens – Veränderungen gehirngerecht gestalten“, erschienen 2018 in 2. Auflage im Haufe Verlag.

Kontakt: margret.klinkhammer(at)cormens.com

Das Alte und das Neue – dieser scheinbare Gegensatz erinnerte mich sofort an das französische Märchen „Die Schöne und das Biest“. Doch wer in der Auseinandersetzung von „Alt“ und „Neu“ nun „eingebildet und hartherzig“ und wer „mutig und dem anderen gegenüber aufgeschlossen-zugewandt“, wer also biestig und wer schön ist, scheint mir eher eine Frage der eigenen Haltung und Perspektive als eine objektiv zu beantwortende Frage zu sein. Anhand von drei Punkten möchte ich (m)einen Blick auf das Paar „Alt/Neu“ werfen.

1. Triff eine bewusste Entscheidung zur eigenen Rahmensetzung

Ich habe lange gehadert mit dem sogenannten „Neuen“ in meiner Arbeit als Trainerin, Coach oder neu-deutsch als Facilitator. Denn zu oft wurde mir in „agil“ benannten Ausbildungen und Kongressen anstelle eines neuen Inhalts, den ich erlernen wollte, nur eine neue Verpackung präsentiert. Stellvertretend nenne ich hier die als „Liberating Structures“ gesammelten Methoden zur Förderung der Zusammenarbeit: Ich hörte und las englische Titel für seit langem bekannte und bewährte Methoden, grafisch wunderbar aufgepeppt, aber inhaltlich fand ich… nichts Neues. Und konnte mich selbst dabei beobachten, wie ich anfing, das Neue pauschalisiert abzuwerten – innerlich und in Gesprächen mit anderen. Bis es mir mit Hilfe einer Kollegin gelang, das von mir Erlebte in einen anderen Rahmen zu setzen, zu „reframen“: „Margret, sieh es doch als Chance! Jetzt werden Methoden, die Du seit Jahren mit Freude und Überzeugung anwendest, einer neuen Zielgruppe systematisch zugänglich gemacht – in deren Sprache und deren Lernformat“, würde man in der Trainersprache sagen. Innerlich neu ausgerichtet probiere ich seitdem Bewährtes in der neuen bunten Verpackung aus, habe dabei überraschenderweise richtig viel Spaß, fühle mich angekoppelt an die neue Welt und lerne, dass es dort doch neuen Inhalt gibt. Den konnte oder wollte ich aber nicht sehen, da ich mir bisher durch meine inneren Abwertungsprozesse selbst im Weg stand.

2. Nutze die implizite Kompetenzzuschreibung an einen Akteur für die eigenen Zielsetzungen

Wir leben in einer Informations- und Wissensgesellschaft – Kenntnis und Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologie ist heute die Norm und nicht mehr die Ausnahme. Auch hat sich nach meiner Beobachtung über die letzten Jahre hinweg das Selbstverständnis vieler IT-ler gewandelt: Immer seltener sehen sie sich als „introvertierte Nerds“, die im stillen Kämmerlein auf die Lösung von Spezialproblemen angesetzt werden. Immer öfter sehen sie sich als Kommunikatoren und Teamarbeiterinnen, die sich verantwortlich fühlen für eine sinnvolle Zukunftsgestaltung. Und genau diesen Kommunikationsteilnehmern, diesen mit einem neuen Selbstverständnis auftretenden Verfechtern agiler Methoden und Manifeste schreiben wir Kompetenz zu im Umgang mit dem Unbekannten und noch zu Entwickelndem. Dass jetzt auch andere Bereiche wie Marketing, Personal und Vertrieb „agil“ arbeiten, ist meines Erachtens nach nicht nur eine oberflächliche „Wir sind auch dabei-Bewegung“ oder eine Freude am Ausprobieren neuer Arbeitsformen. Vielmehr ist es auch ein – mitunter unbewusstes – „Sich-Anlehnen-an“ und Nutzen von Kompetenzzuschreibungen an den typischerweise naturwissenschaftlich ausgebildeten Kommunikationsträger agiler Methoden. Diese Bezugnahme legitimiert das eigene Handeln, doch zu oft vergisst man zu prüfen, ob „agiles Arbeiten“ überhaupt zur gegenwärtigen Situation und zum Kontext passt.

3. Kombiniere geschickt „Neu“ mit „Alt“ und perfektioniere den erwarteten Kundennutzen

Mein Kollege Bernhard Praml hat mit seinem Mann zwei Hotels als Kleinunternehmen in Santa Cruz auf La Palma aufgebaut (www.hotel-santelmo.de). Beide Inhaber sind branchenfremd, haben aber ihr Unternehmen dank einer gekonnten Mischung von „Alt“ und „Neu“ erfolgreich auf die Beine gestellt. „Unter „Alt“ verstehen wir Tugenden wie exzellenter Service, Angebot eines ganz individuellen Ambientes, konsequente Ausrichtung auf die Kundenbedürfnisse, Einbinden lokaler Arbeitnehmer, Aufbau eines lokalen Netzwerkes in die Gemeinden hinein, intensives Empfehlungsmanagement vor Ort u.v.m. Und unter „Neu“ verstehen wir Maßnahmen wie die Digitalisierung der Buchungs- und Abrechnungsplattform, aktive Vermarktung über die typischen Online-Reise- und Social Media Plattformen, integriertes Multikanalmanagement via Web, Mail, Telefon und persönlich vor Ort, absolute Transparenz über Kundenbewertungen mit einem persönlichen Nachsorge-Service durch die Geschäftsführung, real-time Management-Dash-Board etc.“, erklärt Bernhard Praml. Die Aufgabe der Geschäftsführer besteht nicht im operativen Managen der beiden Hotels – also nicht im ‚Arbeiten im System‘, sondern in der strategisch und organisatorisch‚Arbeiten am System‘, bestehend aus der geschickten Verbindung von „gefühlt exzellentem Wohnerlebnis vor Ort“ mit einem als „professionell, transparent und hürdenfrei wahrgenommenen Such-, Buchungs-, Bezahlungs- und Bewertungserlebnis“. Bei einem ausschließlichen Fokussieren auf das „Eine-Alte“ oder das „Andere-Neue“ wäre ihnen womöglich nicht innerhalb von fünf Jahren der sichtbare Erfolg, die „besten Hotels am Platz“ zu haben, beschieden gewesen.

Fazit

Eine pauschale Antwort zu geben auf die Frage „Alt und Neu verbinden oder lieber nicht?“ maße ich mir daher nicht an. Wichtiger scheint mir, die eigene Haltung auf hindernde Vorannahmen zu prüfen, zu suchen den Wert des „Neuen“ und des „Alten“ zu bemessen, bewusst zu wählen oder abzuwählen. Das heißt auch, sich vor Augen zu halten, dass jede Entscheidung ihren Preis hat und ich erst in der Rückschau feststelle, ob ich richtig entschieden habe. Und dann gilt es, den Mut zu haben, meine Entscheidung zu korrigieren – wohlwissend, dass es eine kritische Öffentlichkeit gibt, die es immer schon richtig, also besser, gewusst zu haben meint.

„Das Schöne liegt im Auge des Betrachters.“

Thukydides (um 455 - 396 v. Chr.), griechischer Flottenkommandant im Peloponnesischen Krieg und Historiker

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